Lou Reed, Berlin, 1973
Produzent/ Bob Ezrin
Label/ RCA
Als „Film für die Ohren“ ist dies die Chronik vom Ende der Beziehung zwischen zwei Amerikanern (Caroline und Jim) in der geteilten deutschen Stadt. Die Songs winden sich durch Untreue („Caroline Says“), Drogenmissbrauch („How Do You Think It Feels“) und Gewalt („Caroline Says II“), und enden mit Carolines Selbstmord („The Bed“). Kalt weigert sich Jim, den Tod seiner Freundin zu betrauern, und „Sad Song“ schliesst mit mit den verstörten Zeilen „I’m gonna stop wastin‘ my time/ Somebody else would have broken both her arms.“
Produzent Bob Ezrin schuf den perfekten Breitwandsound zu Reeds Drehbuch – er holte sich eine erstklassige Studioband und unterlegte die zehn Tracks sorgfältig mit üppigen symphonischen Klängen. Das Resultat war glorreicher Orchesterrock, ganz anders als das minimalistische „Transformer“. Für solch ehrgeizig düstere Projekte gab es noch kein zahlendes Publikum. Das Album wurde kommerziell ein Reinfall, doch die finstere Atmosphäre gab einer neuen Musikgeneration viel Anregung. Weniger als ein Jahrzehnt später würde man Ian Curtis von Joy Division für genau solche dunkle Tonbilder lobpreisen, für die man Reed noch gekreuzigt hatte.
„They taken her children away….“ der Drogensumpf des alten Westberlin; der uns Ossis erspart geblieben ist und den wir als Zaungäste via TV kurioserweise beneidet haben; weil da soviel gute Musik draus hervorging- die all den Dreck beschrieb: Interzone, Neubauten, Iggy’s „Lust for life“. Die ich übrigens zum Thema besser finde. Letzte Abfahrt Kreuzberg. Kinder vom Bahnhof Zoo.B-Movie…. Irgendwann war das alles keine Anklage mehr, sondern nur noch kommerzieller Ekel-Kult.
Lou Reeds Platte hat verführerisch schöne Melodien. Aber die falsche Perspektive. „Mumy! Mumy! Mumey!!!“ Das Geschrei der abgeholten Kinder in „The kids“. Tränendrüse. Perfekt inszeniert. Aber:
Ämter brauchen in der Realität furchtbar lange, um Kinder aus Extrem-Assi-Verhältnissen zu holen.Lou reed als „the Waterboy“ bedauert in „The Kids“ die Mutter, die (gemeinsam mit dem verantwortungslosen erzeuger) angeklagt gehört.
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Natürlich ist „Berlin“ überarrangiert, – produziert und -kandidelt, ja fast geschmacklos und grössenwahnsinnig. Aber das Album enthält einige von Lou Reeds schönsten Songs (z.B. „Caroline Says“) und hat eine geschlossene Stimmung, die sich fast als düster und morbide bezeichnen lässt. Das Beste an „Berlin“ ist aber, dass es nicht von Berlin handelt und Reed noch nie dort gewesen war, als er die Songs schrieb. Die Mauer tauchte in seinen Songs als Metapher für die Trennung der Geschlechter, für Gefühlskälte und Depression auf. Rückwirkend betrachtet gehört „Berlin“ zu den interessanteren Platten von Lou Reed, für dessen Solo-Output die Abwechslung zwischen grossartigen und grottenschlechten Alben kennzeichnend war.
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Zustimmung zum letzten Satz. Vor allem seine Livesachen sind ne Zumutung. Ich halte mir da lieber die „Blue Mask“ und die „Legendary Hearts“ in Ehren. Die „Streethazzle“ und „New York“ sind noch ganz ordentlich.
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Ich habe leider sehr spät aufgehört, Lou-Reed-Platten zu kaufen, weil er mir so viel bedeutet hatte. Er war schon in seiner scheiss Feuilleton-Altersweitsichtigkeitsphase, als ich mir noch seine Sachen kaufte.
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Hm. Da mochte ich ihn schon auch noch. Mit extasy hab ich mich bekauft. Die Magic and Loss hab ich bei nem Freund gehört und für nur einen Tick zu langweilig empfunden. The Raven – das Gleiche. Den Kopf aller heftigst geschüttelt hab ich lediglich über diese unlustig gestartete Velvet Underground Reunion – nach soooo viel klugen Sprüchen über ausgelutschte Wiedergänger macht der dann doch mit bei sowas? Hilfe!
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Von den früheren Alben von Lou Reed möchte ich hier vor allem „Transformer“ nennen. Das Album hat eine ähnliche Gestaltung und Thematisierung wie David Bowies „Hunky Dory“. Gefallen hat mir auch das rohe, düstere „Blue Mask“ mit Robert Quine an der Gitarre. Die Reunion von Velvet Underground 1993 war nun wirklich nicht nötig. Zumindest konnten sie damals ihre nie zustande gekommene Europa-Tour nachholen, bevor sich die beiden Egomaniacs Lou Reed und Johne Cale einmal mehr zerstritten.
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Hunky Dory ist zurecht ein Meilensteinalbum. Die Parallele zwischen Bowie und Reed wird gerne gezogen. Deshalb war ich sehr gespannt drauf, „Transformers“ kennenzulernen. Aber der Eindruck war eher mau. „Walk on the wild side“ ist okay, aber der Rest?
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Man darf hier nicht vergessen, dass diese Transformierbarkeit der sexuellen Indentitat in den frühen 70er Jahren auch ungut aufstiess. Billig, affig und völlig daneben sei das. Damals engagierte sich Rockmusik grundsätzlich links, war establishmentfeindlich und weltumarmend. Man erwähnte das bedauerliche Verschwinden von Woodstock und Altamont, Jethro Tull und von Country Joe – „walk on the wild side“, dass war mehr irrationale Fremdbestimmung, verinnerlichte Abhängigkeitsverhältnisse, etwas für die Privatsphäre.
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Oder eben individualistische Abkehr vom Klassenkampf. So sahen es unsere Staatsbürgerkundelehrer. Wir nicht. Aber inzwischen sehe ich: Da war was dran. All das haarspalterische Linkssprech (West) der Zeit half doch eher zu verwirren statt Klarheiten zu schaffen.
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„aller“ solte „aber“ heißen. Grummelgrummelgrummel. Wie konnte mir das passieren?
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Kein Problem!
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I really like this album. I knew you’d get to it.
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I always was fascinated by „Berlin“ and I don’t think art should always be easy and fun.
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