Bruce Springsteen, Born in the U.S.A., 1984
Text/Musik/ Bruce Springsteen
Produzent/ John Landau
Label/ Columbia Records
Die Beschwörung eines Amerika von unten, das die Werte des Landes hochhält, die von Politik und Wirtschaft verraten werden im Namen des Volkes, ist ein zentrales Moment in vielen von Springsteens Songs. Aber die Kritik wird in den frühen mythisch verseuchten Stücken nie konkret, operiert ohne überprüfbare Aufgaben, verzichtet auf Namen und Handlungen. Das verleiht den Texten ihre poetische Kraft, beraubt sie aber ihrer politischen Wirkung; wo jeder mitgemeint sein könnte, kann sich jeder dispendieren.
Wer solche Missverständnisse in Kauf nimmt, läuft Gefahr, dass seine Arbeit anderen Zwecken zugeführt wird. Als Ronald Reagan Springsteen vor seiner Wiederwahl für seine Wahlzwecke instrumentalisierte, fiel dessen Dementi auffallend zahm aus, eher Korrektur als Analyse.
Reagan wie Springsteen appellieren an den amerikanischen Patriotismus. Sie meinen nicht denselben, evozieren ihn aber mit denselben Symbolen. Auf der Platte „Born In The USA“ ist Springsteen von hinten, aber vor der amerikanischen Flagge zu sehen. Er eröffnete die Konzerte jener Zeit mit dem Titelsong, während im Hintergrund der Bühne eine riesigen US-Flagge aufgespannt war, auch in Europa.
„Fahnen sind sichtbar gemachter Wind“ schrieb Elias Canetti, aber der Wind, der durch Springsteens Fahne weht, bläst aus verschiedenen Richtungen. Natürlich handelt „Born In The USA“ nicht von Reagans Amerika, sondern von seinen Opfern. Das Stück berichtet von Vietnam-Veteranen, die als Patrioten in den Krieg zogen und als Krüppel zurückkehrten. Der Refrain aber, das fanfarisch eingehämmerte „Born In The USA“, die im Takt gestreckten Fäuste im Stadion, verkehren die Botschaft in ihr Gegenteil, wenn Zweifel im Tonfall des Triumphs dargeboten werden, dominiert der Triumph. Der Rock’n’Roll denunziert seine Bekenntnisse in ihrer Ausführung.
Plusminus 35 Jahre alt und immer noch zeitlos…
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Die Deutlichkeit einer Botschaft schützt aber noch lange nicht vor Banalisierung…
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Das Lied sorgt nach wie vor für Diskussion.
Das mit dem Banalisieren – ich würde meinen, Bruce Springsteen ist auch gar nicht unschuldig daran. Seine Reaktion zu Ronald Reagans Fehlinterpretation war ein – Achtung! – banales: „Ich bin mir sicher, dass „Nebraska“ nicht zu seinem liebsten Album gehört.“ oder ähnlich.
Ursprünglich ist „Born In The U.S.A.“ im Zuge der Aufnahmen zu „Nebraska“ entstanden und war ja eine ziemlich ruhige, eindringliche Ballade. Jon Landau hatte mal wieder den richtigen Riecher gehabt und seinen Schützling dazu ermutigt, dass dieses Lied als stampfende Rockhymne besser geeignet wäre… naja, der Rest ist Geschichte.
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Vordergründig wehrt sich jeder Künstler dagegen, die individuellen Erfahrung seiner Lieder auf gesellschaftliche Zustände abzupausen. Das Springsteen-Managment hat lange an der Rolle gearbeitet, mit der sich der Sänger auf der Bühne präsentiert. Der singende Arbeitersohn aus New Jersey, der aussieht wie ein Automechaniker, der heimlich Gedichte schreibt, hat dann seine Biographie in die Bühnenrolle überführt. Dort spielt der Millionär Springsteen die Rolle des Proleten Bruce, während sein Management Mitarbeiter entlässt, horrende Gagen aushandelt und alles andere für ihn erledigt. Das geht überall so. Ich will hier Springsteen auch nicht vorwerfen, dass er das Spiel spielt oder wie gut er es tut.
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Solange es Leute gibt, die bereit sind, die horrenden Ticketpreise zu zahlen… Woody Guthrie hätte sich sicher im Grabe umgedreht.
Ich stehe dazu, dass ich ein großer Fan von Bruces Musik bin, aber zum Glück mag ich auch nicht ALLES an ihm.
Im Broadway-Stück (Stück? Aufführung? Predigt?) gibt er ja selber zu, dass er noch nie gearbeitet hat – aber die Automechaniker, Nachtwächter, teilweise Polizisten und viele andere kleinen Leute fühlen sich von ihm verstanden. DAS ist ihm gelungen.
Und es gibt kaum internationale Live-Musiker, die auf den Bühnen eine solche Präsenz zeigen können (ohne irgendwelchen Bühnenschnickschnack im Hintergrund) und wir sind alle dankbar, dass er mit seiner E Street Band über drei Stunden ohne Pause spielt, Setlisten durcheinanderwirbelt und uns nicht früher heimgehen lässt, bis er wirklich nicht mehr kann. Das kann ihm keiner nehmen.
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Ich war ja auch schon mit 50’000 anderen in einem Stadion und kenne die Begeisterung, die einen an Springsteens Konzerten erfasst. Diese Mitgerissenheit in der Menge hat aber auch ihre Gefährlichkeit. Singen ist aktive kulturelle Selbsttätigkeit und geht in Ordnung, das gemeinsame Armheben ist aber blosse Unterwerfung, weckt böse Assoziationen. Ich möchte mich hier nicht von der eigenen Begeisterung distanzieren, mich beschäftigt vielmehr die Frage, warum so wenig von dieser Begeisterung übrigbleibt, wenn das Konzert zu Ende ist.
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Hm, an diese Assoziationen habe ich auch oft gedacht.
Was genau meinst Du mit der Frage „Warum bleibt sowenig von dieser Begeisterung, wenn das Konzert zu Ende ist?“?
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Excellent review. “Rock N’ Roll denounces it’s confessions in its execution” brilliant
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Thanks! The intrusive a musician operates on stage, the weaker is his stuff in generally.
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Sicherlich ist „Born In The U.S.A.“ einer der am meisten missverstandenen Rocksongs. Wohingegen ich nicht glaube, dass Springsteen dies beabsichtigte, kann man ihm wohl einen gewissen Grad an Naivitaet vorwerfen. Wenn man einen Song „Born In The U.S.A“ nennt und dazu eine hymnenartige Musik schreibt, muss man sich nicht sonderlich wundern, dass es zu Missverstaendnissen kommen kann, die Politiker schnell zu ihrem Vorteil ausnutzen – insbesondere in einem Land wie Amerika, in dem der Durchschnittsbuerger eher unpolitisch und/oder uninformiert ist.
Gleichzeitig gebe ich bei aller Kritik zu, dass mir das „Born In The U.S.A.“ Album nach wie vor gefaellt, wenngleich der Titelsong und mehere andere Stuecke im Radio seinerzeit zu Tode gespielt wurden. Ausserdem will ich mich mit meinen Bemerkungen ueber den Durchschnittsamerikaner nicht zu weit aus dem Fenster haengen. In Deutschland gab es 1983 den Neue Deutsche Welle Song „Bruttosozialprodukt“ von Geier Sturzflug, den die CDU eifrig in ihrem Bundeswahlkampf einsetzte. Inwieweit deren Anhaenger nicht kapierten, dass der Text satirisch war, kann ich allerdings nicht belegen.
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Noch peinlicher war ja der „Angie-Wahlkampf“ in den Nullerjahren mit dem Stones-Song. 🙂 Die Idioten, die DEN ausgesucht haben, kannten die deutsche Version nicht.
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Da waren die Stones aber sauer: „Wie können die sich unterstehen, unsere Musik zu benutzen, um ihren Mist zu bewerben?“
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Echt? Haben die reagiert?
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Die CDU hatte zwar bei der Gema nach den Rechten gefragt. Für „Angie“ ist allerdings ein anderer Musikvertrieb zuständig. Eine Sprecherin der Stones sagte: „ Wir haben keine Erlaubnis erteilt. Wir sind überrascht, dass man uns nicht nach einer Genehmigung gefragt hat. Wenn man uns gefragt hätte, hätten wir die Verwendung abgelehnt“. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn die CDU-Verantwortlichen auch mal auf den Liedtext geschaut hätten: „All the dreams we held so close, seems to all go up in smoke“. Oder: „ Angie, ain’t it time we said goodbye?“
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Interessant! Der deutsche Text, den die Stones selber eingesungen haben begann mit „Angie! Angie! Was hast du aus dir gema-hacht….“ und es ging im weiteren ebenfalls um ein Drogenwrack. Eignet sich nu wirklich nicht für ne Wahlwerbung.
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Vielleicht ist es ja tatsächlich Naivität. Auf jeden Fall ist Springsteen ein Musiker ohne ironische Distanz, einer der versucht hat seine Biographie in Songs zu packen oder wenigstens so tat. Am besten ist er dann, wenn er fremde Rollen ausprobiert, wie z.B. auf „Nebraska“ oder „The Ghost of Tom Joad“.
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Great tune no matter which way you slice it or how many times I hear it. ‚Fortunate Son‘ a few years later.
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