Blondie, Eat To The Beat, 1979

Produzent/ Mike Chapman

Label/ Chrysalis

Blondie war wohl die einzige Gruppe im Umfeld der New Yorker-Punkszene, die sich einen Seitensprung ins Disco-Lager erlauben konnte. Das lag vorallem an Debbie Harry – eine Punk-Marilyn, eine Superblondine des Pop. Ihr Image war der Schlüssel für den Aufstieg der Gruppe. Letztlich war die Kunstfigur Blondie Teil einer bewussten Strategie, mit der sie die stereotypen Erwartungen an ihre Weiblichkeit scheinbar bereitwillig bediente, sie letztlich aber unterlief, sie ironisierte und dazu benutzte, ihren persönlichen Aufstieg zu Ruhm und Reichtum zu bewerkstelligen.

Spätestens zeigte sich das in in ihrem vierten Album „Eat To The Beat“ von 1979, wo Debbie Harry innerhalb einer einzigen Schallplatte soviele Rollenspiele gesammelt hatte, dass sie sich durch die Bandbreite einer Madonna-Gesamtretrospektive schlängeln konnte. Keine Blondie-Album klingt ungeduldiger und launischer. Der Schlagzeuger Clement Burke spielt viel zu viel: In „Accidents Never Happen“ versechzehnfacht er den Rhythmus, Debbie Harry maunzt erst „Now you love me“ (lockend), keift dann „I, yeah, I can tell“ (wegstossend). Blondie hatten zwei Gitarristen, aber keiner von ihnen spielt Rhythmus-Gitarre – beide nibbeln, das kann New Wave sein oder sehr alter Rock’n’Roll.

Genau, eigentlich braucht es gar nicht viele Worte, um die Musik zu beschreiben. Blondie waren halt eine ausserordentlich seichte Gruppe, und je länger es sie gab, desto mehr wurden sie – während Debbie Harry ihre Methoden ausdifferenzierte – zu Katalysatoren für das ganze Zeug, das im Supermarkt als Hintergrundmusik aus dem Radio gekommen war. Aber letzlich geht es mir bei diesem Album eher um Erinnerungen und Ausdruck einer vitalen spät-70er-Jahre Energie.

16 Gedanken zu “

    1. Gemeinsam mit „Plastic Letters“ und „Parallel Lines“ gehört „Eat To The Beat“ für mich zu den besten Blondie Scheiben.  „Union City Blue“ und „Accidents Never Happen“ oder das bombastische „Atomic“ sind hier die Highlights. Sehr schön auch die Neon-Typo auf dem Cover! Typisch für den Stil und die damalige Zeit.

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  1. Wie Maccabros bereits schrieb: 1980 gekauft. ( im Kompanieurlaub, während der Armeezeit im Intershop) und immer noch gemocht. Wie kommst du da auf Kaufhausbeschallung? Blondie sind meilenweit entfernt von Bakerstreet &Co! Und in den Drummer ist der Geist von Keith Moon gefahren.
    Aber ansonsten schön beschrieben, was diese Platte ausmacht.

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    1. Blondie war eine Gruppe, die ich eigentlich nie so richtig gemocht aber aufgrund ihrer musikalischen Vielfalt akzeptiert habe. Ob New Wave, Disco, Pop oder Reggae – jeder musikalischer Trend, der in den späten 70er Jahre angesagt und erfolgreich war, wurde von Blondie aufgegriffen und in einen für die Band typischen Sound gepackt. „Eat To The Beat“ gehört für mich sicher mit zu ihren besseren Alben, auch wenn es gegen Schluss hin leicht abstürzt. Es war halt sexy, damals. So sexy wie der Callboy Richard Gere im Film „American Gigolo“, für den Blondie den Titelsong „Call Me“ machten. Da singt Debbie Harry ein bisschen französisch. So eiskalt. In den letzten 40 Jahren muss sich da aber irgendetwas stark verändert haben.

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      1. Bei „Call me“ war es mit meiner Blondiebegeisterung dann aber sowas von vorbei! Das und tight is high – das war zum Abwinken. Vorher mochte ich sie sehr.

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      2. Ging mir auch so! Spätestens nach „Autoamerican“ war Schluss. In den 1980er Jahren machte Debbie Harry ihre ersten Soloalben und setzte verstärkt auf aktuelle Pop-Trends.

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  2. …und weil ich viel zu spät auf die Welt gekommen bin, muss ich bei Blondie immer an ihren Ohrwurm aus dem Jahre 1999 denken: „Maria“. (Aber mir taugt das Lied.)

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    1. Danke Sori! „Maria“ habe ich nicht gekannt. Ich mag zwar die Blondie der End 70er besser, aber Debbie Harrys Altstimme kommt bei diesem Lied gut zur Geltung.

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  3. Der Text gefällt mir. Mit der Musik kann ich nichts anfangen. Da ist mir die Dunkelhaarige (mittlerweile grau gewordene) aus der New Yorker Punk-Szene lieber.

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    1. Blond und Schwarz. Die beiden Alpha-Frauen waren sehr verschieden, aber beide versuchten sich in derselben ruppigen und überschaubaren New Yorker Kunst- und Alternativszene der mittleren 70er Jahre durchzusetzen. Mir gefiel Patti Smith besser, weil sie in ihren Songs den rebellischen Geist des ursprünglichen Rock’n’Roll mit poetischem Intellekt kombinierte. Ende der 70er Jahre war aber auch da das vertraute Erfolgssyndrom unübersehbar.

      An dieser Stelle möchte ich Ihnen ein Kompliment machen. Sie verstehen es wirklich gute und spannende Geschichten zu schreiben, ohne jegliche nervige Moral und überflüssige Phrasen.

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  4. Und mir gefällt Ihre Kunst des Abwägens und dann eine klare präzise Stellungnahme.
    Vielleicht war das Erfolgssyndrom neben Fred Sonic Smith mit ein Grund, dass sie Patty Smith für so lange Zeit aus dem Show-Business zurückgezogen hat. Bei gewissen Bemerkungen, die sie in ihren Interviews machte, kriegt man jedenfalls diesen Eindruck.

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    1. Patti Smith habe zweimal live erlebt. Ihre Auftritte waren für mich ziemlich zwiespältig und brüchig. Sie quasselte zwischen den Songs oft so viel pseudomystischen Tiefsinn, bis das Publikum ungeduldig wurde und es zu Zwischenrufe kam.

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  5. Ich habe sie auch ein paar Mal live gesehen. Es gab ein paar gute Konzerte darunter, aber auch sehr mittelmässige. Das Publikum kriegte es zu spüren, wenn es ihr gestunken hat.
    Man hat ihr wohl schon zu lange eingeredet, sie sei eine Schamanin der Rock-Musik, da muss sie irgendwelche heilsbringenden Botschaften an den Konzerten vermitteln.
    „Drink more water“, ist so ein Standard-Spruch, den sie an jedem Konzert fallen lässt.

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