
Bob Dylan, Maggie’s Farm, 1965
Text/Musik/ Bob Dylan
Produzent/ Tom Wilson
Label/ Columbia
Am 24. Juli 1965 stakste ein chaplinesker junger Mann in schwarzer Kluft, mit gepunktetem Hemd und Sonnenbrille über das Gelände des Newport Folk Festival auf Rhode Island. Wie anders hatte der 24-Jährige ein Jahr zuvor gewirkt, als er am gleichen Ort in Jeans und Arbeiterhemd den Song „Mr. Tambourine Man“ vorstellte! Nun aber war er nicht mehr mit Klampfe und Mundharmonika zugange, sondern mit den Kumpels von der Paul Butterfield Blues Band.
Man hatte kurz zuvor ein bisschen geprobt. Für mehr als drei Stücke hatte es nicht gereicht, dafür für jede Menge Speed und verwandte Stoffe. Barry und Michael hatten schon ausgiebig gekotzt. „Play Fuckin’ Loud!“ hiess nun die Devise. Hinter der Bühne schimpfte Pete Seeger herum, man müsse die brutalen Nichtskönner vom Mischpult verjagen. Nach „Maggie’s Farm“, „Like a Rolling Stone“ und „It Takes a Lot to Laugh“ war der Spuk vorüber. Der Sänger kam noch für zwei Solo- Zugaben zurück. Das Publikum aber hatte gerade einem Ereignis beigewohnt, das es später als Wendemarke der Rockgeschichte deuten sollte.
Zunächst erzählte jeder die Geschichte anders. Sie hatten gebuht, weil der Sound so miserabel gewesen sei, sagten die einen. Mit dem zugedröhnten Haufen sei einfach nichts anzufangen gewesen, meinten die andern. Wieder andere fühlten sich düpiert, weil der Star des Festivals sie mit diesem schrägen Kurzauftritt abgespeist hatte. Und dann gab es auch einige, die meinten, der Barde habe seine Anhängerschaft, die rotgrüne Folkbewegung, verraten, um sich den Pop-Kids anzudienen. Erst allmählich fand das Stimmengewirr zum Cantus firmus zusammen: Bob Dylan habe in Newport unvermittelt zur elektrischen Gitarre gegriffen, den Folkrock erfunden und ihn gegen 15 000 buhende Zuschauer durchgesetzt.
Geschichte ist, was sich als beste Geschichte durchsetzt. Was wirkt, wird Wirklichkeit.
