Tony Joe White, Uncovered, 2006

Produzent/ Jody White, Tony Joe White

Label/ Swamp Records

Wenn ein legendärer Künstler einen alten Hit neu aufnimmt, ist das gewöhnlich ein ganz schlechte Idee. Zu sehr riecht das nach billigem Kaufanreiz. Doch dann hört man diese Zeitlupenversion von „Rainy Night In Georgia“… So viel Nacht war nie um diesen Klassiker, so bedrohlich leise hat White ihn noch nie geraunt; solch Orgelschmelz, so eine verletzliche Harmonika, so sanft gepatschte Trommelstöcke trugen diesen Song noch nie; und selbst die „Aaahs“ und „Uuuhs“ des Frauenchors schaden seiner intimen Intensität nicht.

„Rany Night In Georgia“ ist der siebte Song auf Tony Joe Whites Album „ Uncovered“, und die davor sind auch gut. Der Mann, der Ende der 60er Rock, Soul und Blues zum Swamprock verschmolz und Hits für Elvis („Polk Salad Annie“) oder Ray Charles (eben „Rainy Night…“) schrieb, bewegt sich altersweise auf ureigenem Terrain. Nichts erinnert mehr an seinen Schlafzimmersoul der späten 70er- und der 80er Jahre. Jeder Gitarrenton, jeder Bläserton hat seinen richtigen Ort. Und die Superstars unter den Gästen – darunter Eric Clapton, Mark Knopfler und J. J. Cale – ordnen sich ganz einem ebenso Grossen unter. Ein Album, das man eher mit glühenden Kohlen als mit einem offenen Kaminfeuer assoziiert.

Tony Joe White, Hoodoo, 2013

Produzent/ Jody White

Label/ Yep Roc Records

Bereits die ersten dreissig Sekunden geben uns alles, was wir von Tony Joe White erwarten. Ein monoton treibendes Boogie-Intro dunkel gestimmter Instrumente führt uns geradewegs auf den Friedhof: „I was sitting in the graveyard late one night/ I didn’t know what to do“ oder so ähnlich – Tony Joe White ist nicht der am saubersten artikulierende Sangeskünstler. Nicht nur die verschleppten Blues- und Boogie-Rhythmen, nicht nur der auf das Wesentliche reduzierte Sound, auch Stimme und Texte dienen in erster Linie dem Beschwören von Stimmungen. Und davon bekommt man auf „Hoodoo“ eine grosszügige Ladung: Sumpf und schwüle Hitze, Mücken und Alligatoren, dichtes Unterholz und ruhiges Wasser, Nächte auf dem Friedhof und Begegnungen mit einsamen Männern und zwielichtigen Wesen.

„Hoodoo“, das Tony Joe White für das Label Yep Roc aufnahm, zeigt den 2018 im Alter von 75 Jahren verstorbenen Meister des Swamp-Rock nochmals in Hochform: Phlegmatisch, über seine Gitarre gebeugt, den Hut tief über die Stirn gezogen, mit seinen Kumpels jammend, dann und wann ins Mikrophon nuschelnd oder in die Mundharmonika pustend – und sich immer wieder zum Fischen verabschiedend, um nicht nur Fische aus dem Wasser zu ziehen, sondern auch neue Songs aus seinem Kopf.

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Tony Joe White, Polk Salad Annie, 1969

Text/Musik/ Tony Joe White

Produzent/ Billy Swan

Label/ Monument

Bereits die ersten dreissig Sekunden von „Polk Salad Annie“ führen uns geradewegs in den Süden der Staaten. Hier wurde 1943 der Swamp Rock Gitarrist und Sänger Tony Joe White geboren. Er wuchs zusammen mit sechs Geschwistern unter bescheidensten Verhältnissen auf einer Baumwollplantage in der Nähe von Oak Grove, einem fünfzehnhundert Seelen Dorf in Louisiana auf. In den frühen Sechzigerjahren hatte er zunächst wenig Erfolg, weder mit seinen Bands, noch mit seiner Solokarriere. Erst Ende des Jahrzehnts wurde er populär, erstaunlicherweise erstmal in Frankreich. „Polk Salad Annie“ wurde ein globaler Hit, nicht zuletzt durch die Version von Elvis Presley. In dem Song geht es um Arme-Leute-Essen, und Annie kann sich und ihre Familie nur ernähren, indem sie auf die Wiese geht und ein bisschen Polk Salad pflückt. Das sind die jungen Blätter der Kermesbeere (Phytolacca americana). Man muss sie drei Mal im Wasser kochen, damit sie geniessbar sind, und, laut Tony Joe White schmecken sie ein bisschen wie Steckrübengrün oder Spinat.

Trotz der Bekanntheit von „Polk Salad Annie“ und „Rainy Night In Georgia“ (zu dem auch das Cover von Ray Charles beitrug), war Tony Joe Whites Erfolg bescheiden und er fokussierte sich auf das Songwriting. Dank der Zusammenarbeit mit Tina Turner besserte sich das in den Neunzigerjahren. Seither war er wieder vermehrt unterwegs und veröffentlichte etliche Alben. Das Album „Hoodoo“ aus dem Jahr 2013 zeigt Tony Joe White nochmals in Hochform: Phlegmatisch, über seine Gitarre gebeugt, den Hut tief in Stirn gezogen, mit seinen Kumpels jammend, dann und wann ins Mikrophon nuschelnd oder in die Mundharmonika pustend – Tony Joe White starb am  24. Oktober 2018 in seinem Haus im Leiper’s Fork (TN), „unter natürlichen Umständen“, wie seine Familie mitteilte.