Joe Strummer & The Mescaleros, Streetcore, 2003

Produzent/ Rick Rubin, Martin Slattery, Scott Shields

Label/ Hellcat Records

Am 22. Dezember 2002 schied Joe Strummer während der Vorbereitungen zu „Streetcore“ aus dem Leben. Die beiden Mescaleros Scott Shields and Martin Slattery stellten das Album nach vorliegenden Arbeitsnotizen fertig. Immerhin ergaben ihre Recherchen und Nachbearbeitungen eine Spielzeit von knapp 42 Minuten. Weder das wacklige, eigentlich für Johnny Cash geschriebene, aber nicht von ihm gesungene „Long Shadow“, noch die rührend ruppige Coverversion von „Redemption Song“ waren ursprünglich für „Streetcore“ vorgesehen. Die Interpretation von Bob Marleys berühmten Protestsong hätte allerdings seinen Platz auf dem Album verdient, hatte Strummer die Gott- und Trostlosigkeit der westlichen Welt doch schon oft selbst beklagt.

Im Gegensatz zu dem Vorgängeralbum „Global A Go-Go“ (2001) profitiert „Streetcore“ von der Direktheit und Einfachheit der Stücke. Obwohl die Arrangements mit Effekten und Verfremdungen gespickt sind, steht das dichte Zusammenspiel der Mescaleros im Mittelpunkt der Aufnahmen, und ihre krachende Finesse täuscht über die schwindende Kraft in Strummers leidenschaftlichem, aber nicht ganz tonsicheren Bauarbeitergesang hinweg.

Mich erinnert „Streetcore“ an das Clash-Album „Combat Rock“, was als Kompliment zu verstehen ist. Die vielen Gemeinsamkeiten unterstreichen nämlich die musikalische und textliche Kontinuität in Strummers Werk. Neu in „Streetcore“ ist hingegen die Ruhe in Strummers Gangart – als hätte der störrische Polemiker erst in den letzten Jahren seines kurzen Lebens richtig Schritt gefasst. Besser spät als nie.

The Clash, Complete Control, 1977

Text/Musik/ Joe Strummer, Mick Jones

Produzent/ Lee „Scratch“ Perry

Label/ CBS

Was sagen einem heute Songs, die wesentlicher Bestandteil der Jugend waren. Mit geballter Faust vor dem Computer sitzen, „Complete Control“ hören und sich vorkommen wie ein Boulevard-Journalist beim Abfassen einer „70er-Punk-Story“. Ich erinnere mich noch an die Fahrt nach Lausanne mit Pädu an das  Konzert von Clash 1981 im Palais de Beaulieu. Dort, wo ein paar Typen versucht haben Strummer von der Bühne zu ziehen und der mit der Gitarre um sich schlug. Zerdepperte Bierflaschen auf der Eingangstreppe und eine Schmierpizza am Verpflegungsstand und sich unheimlich Urban-Guerilla-mässig vorkommen. Klar, das wussten wir doch damals schon, dass die in England Punk schon hinter sich hatten. Es war dann auch schon fast ein absolut nostalgisches Konzert mit allen wilden, wüsten Hits, Fussballchören und Strummer-Hymnen. „Complete Control“, ein feiner Punkrocksong, auch heute noch hörbar. Stay free, Buddy. Die Welt ist nicht besser geworden.

The Clash, The Magnificent Seven, 1981

Text/Musik/ The Clash

Produzent/ The Clash

Label/ CBS Records

Die Clash machten – im Gegensatz zu den Sex Pistols – nach den Punkerlebnissen weiter. Zur selben Zeit, als sich die Sex Pistols, genervt von der Öffentlichkeit, auflösten, entdeckten The Clash neue musikalische Zugänge. Da war der Reggae, den sie schon immer geliebt hatten. The Clash gingen nach Jamaica, doch sie wurden aus dem Studio gejagt, denn die Rolling Stones waren kurz davor und mit mehr Geld dagewesen. Die Londoner kehrten frustriert nach England zurück.

„Sandinista“ ist ein Dokument dieser Zeit. Original als Dreifach-Vinyl-Album veröffentlicht, mochte es damals niemand. Der Plattenfirma war es zu teuer, den Kritikern zu lang und den Fans zu unverständlich. Aber vielleicht sollte man sich dieses Album heute noch einmal anhören, um zu begreifen, dass diese unerfüllte Suche das Grossartige von The Clash ausmachte. Auf diesem Album befindet sich auch das Stück „The Magnificent Seven“. Es machte seinen Weg von London nach New York. Dort war es sowohl in der Disco-Szene wie in der neu entstehenden Hip-Hop-Szene populär. 1980 spielten The Clash mehr als eine Woche lang am Broadway vor ausverkauftem Haus. Sie brachten später bekannte Graffiti Künstler wie Futura dazu, Bühnenplakate für sie zu entwerfen, und nahmen diese mit nach Europa. 1980 war der Höhepunkt dessen, was man heute als „kulturelle Interaktion“ oder „Crossover“ bezeichnet. „Magnificent Seven“ beweist nicht nur wie vielseitig The Clash damals waren; es ist auch ein funky Hit, der sofort ins Ohr und in die Füsse geht.

The Clash, Combat Rock, 1982

Produzent/ The Clash, Glyn Jones

Label/ CBS

Nach dem (misslungenen) Versuch sich in einer musikalischen Welt zurechtzufinden, die in immer mehr Stile, Posen und Idome zerfällt, konzentrierten sich Clash auf das, was sie wirklich beherrschten – Rock. Es hat ihnen dabei sicher auch gut getan, dass sie sich mit „Sandinista“ selbst vom Thron der Rebellenführer gestürzt haben, und dass sie ebenso verwirrt und hilflos den Post-Punk-Entwicklungen gegenüberstanden, wie jeder halbwegs vernünftige Mensch, der nicht gleich beim Anblick jeder neuen Garderobe des Kaisers in Verzückung gerät.

„Combat Rock“ ist ein Rock-Album, weil hinter der Musik, den Texten nichts steckt, d.h. es steckt alles drin. „Know Your Rights“, zugleich die letzte Single der Gruppe, enthält das Programm des ganzen Albums: es gibt keine Rechte, kein Leben, das man nicht gegen „sie“ durchsetzt. „ You have the right not to be killed. Murder Is a crime, unless it was done by a policeman or an aristocrat. Know your rights!“ Aber es ist kein Album der schieren Verbitterung. „Should I Stay Or Should I Go“ zum Beispiel ist eine Hommage, eine Parodie an die Sechziger: Kinks-Riffs, beschleuniger Mittelteil und dazu Mick Jones, der den Stimmbruch probt, unterlegt mit spanischem Hintergrundgesang. „Rocking The Casbah“, „Overpowered By Funk“ sind weitere Stücke, die schon nach zweimaligem Hören die Gehörgänge nicht mehr verlassen. Auffällig sind auch Titel wie „Ghetto Defendant“ (mit Vortrag von Allen Ginsberg) oder „Inculated City“, wo die Musik völlig dem Text untergeordnet wird und fast so etwas wie Rock-Poetry herauskommt. Und es ist das entweder zurückhaltende, aber akzentuierte Spiel der Gruppe oder Joe Strummers Stimme, die sie vor dem Umkippen ins Lamento bewahrt.

The Clash, Give ‚Em Enough Rope, 1978

Produzent/ Sandy Pearlman

Label/ CBS Records

Mit ihrem zweiten, 1978 vom amerikanischen Produzenten Sandy Pearlman ( u.a. Blue Öyster Cult, Mahavishnu Orchestra) produzierten, Album lösten The Clash etliche Kontroversen innerhalb der damaligen Punk-Szene aus. Mainstream, Verrat schrien da einige ohne sich auch nur ansatzweise auf das Album einzulassen.

„Give ‚Em Enough Rope“ war die Einstimmung auf den Crossover-Klassiker „London Calling“ und braucht sich vor dem ebenfalls überragenden Debütalbum keinesfalls zu verstecken. Ich glaube auch nicht, daß sich Strummer, Jones und Kollegen dem amerikanischen Markt anbiedern wollten, denn dazu sind die Texte viel zu politisch. The Clash war das starre Korsett des Punk einfach zu eng und daher wandten sie sich anderen Sounds und Genres zu, um daraus ihre ureigene Musik zu entwickeln. Neben „klassischen“ Punk-Granaten à la „Tommy Gun“, „Safe European Home“, „English Civil War“ oder „Cheapskates“ finden sich Glam-Rock Anleihen, wie bei dem hymnischen „All The Young Punks“, Ska-Reggae „Julie’s Been Working For The Drug Squad“ oder gar straighter Hard-Rock „Guns On The Roof“, das von einem wüsten Abenteuer auf dem Dach eines Hotels handelt.

Ich höre dieses Album nach 40 Jahren immer noch gern. „Give ‚Em Enough Rope“ ist für mich ein weiterer Beweis für die überwältigenden Qualitäten dieser Londoner Band, auch wenn man das Album heute allzugerne in den riesigen Schatten ihrer beiden strahlenden Klassiker „The Clash (1977)“ und  „London Calling (1979)“ stellt.

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The Clash, London Calling, 1979

Produzent/ Guy Stevens

Label/ CBS

Schon wieder trinken sie an allen Ecken auf Weihnachten, die lieben Heilsarmeekapellen, und preisen den Heiland, als ob er der leibhaftige Elvis wäre. Das erinnert mich daran, dass vor vierzig Jahren, im Dezember 1979, das Doppelalbum „London Calling“ von den Clash erschienen ist. Ich muss zugeben, dass mir die Selbstmythologisierung der Band und ihre Art über Politik zu singen, ohne viel Ahnung zu haben, damals ziemlich auf den Wecker gingen. Heute kann ich mich eines Nostalgieanfluges nicht erwehren. Was mir an der Band im Nachhinein besonders imponiert, ist, dass sie der mit gewöhnlichem Vokabular unfassbaren Aggression der Sex Pistols eine rock’n’rollende Punksprache entgegensetzten, die jeder verstand.

„London Calling“ war das definitive Statement der Band nach dem Punkmanifest der ersten LP und der US-orientierten Produktion „Give Em Enough Rope“. Für die beiden Songwriter Joe Strummer und Mick Jones gab es nun ausser Punk und Reggae auch andere Einflüsse wie Rockabilly ( „Brand New Cadillac“) , Pop ( „Lost In The Supermarket“ ) und R&B ( „I’m Not Down“ ), während Simonon die düstere Hymne „Guns Of Brixton“ schrieb. „Spanish Bombs“ war ein politisches, bewegendes Lied, aber erst die hackende Basslinie, die schneidende Gitarre und der fetzende Gesang des Titelsongs verschafften der Band ihre grösste Hitsingle.

Das Tüpfelchen auf dem i erhielt die Platte durch Guy Stevens Produktion. Seit Ende der sechziger Jahre war Stevens ein genialer Unternehmer in der Plattenindustrie; dann kam eine Durststrecke, aber sein enthusiastischer Ansatz überging die einschüchternde Reputation der Band. Das Cover spielt bewusst auf das erste Album von Elvis an, obwohl das Photo von Simonon kurz vor dem Zertrümmern seiner Bassgitarre purer Punk ist. „London Calling“ ist eines der raren Alben, das die Ära definiert und dabei zeigt, wie die Musiker ihre Kunst in den Griff bekamen.

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The Clash, Sandinista, 1980

Produzent/ Mikey Dread, The Clash

Label/ CBS

„Sandinista“ ist ein Dreifachalbum mit viel Reggae, Funk, auch Streicher, leichtfüssiger Pop mit weiblichem Leadgesang, Kinderlieder, Gospel, Dub – und wenn Joe Strummer singt, dann klingt das wie Dylan vor vielen Jahren; also nörgelig und einsam. Also selten als Strummer zu erkennen.

Auch textlich betreibt er auf „Sandinista“ wieder die Einführung der Sechziger: Die dritte Welt, letztes Residuum orthodoxer Linker, wo die Widersprüche noch die alten sind, wo man nicht denken muss, wo man mit beziehungslosen Klischees fetzen kann: „Remember Allende, remember Victor Jara“. Mythenbildung. Nichts gegen Strummers linkes Gewissen, aber viel gegen die verzweifelte Beziehungslosigkeit mit der sich die Clash aus dem grossen Füllhorn der Dinge, die „politisch“ heissen, das herausgreifen, was sie ohne hinzusehen in die Finger bekommen. Wer brauchte den 1980 schon eine Gruppe, die in greinender, mittsechziger Protestsong-Manier, das poetisch-sensible-Rock’n’nRoll-Ego wieder auferstehen lassen will, dessen Gehirn längst vom Weltganzen wie von Blitzen durchzuckt ist…

Der Gerechtigkeit halber muss man aber auch erwähnen: Musikalisch ist vieles, so unzusammenhängend die Stücke auch untereinander sein mögen, recht gelungen.  Der Ghetto-Reggae „One More Time“, das funky „Lighning Strikes“, fast die ganze  Seite eines der LP, und ca. die Hälfte der Seiten zwei bis vier. Eddie Grants „Police On My Back“ ist da und noch einiges anders. Es hätte für ein intelligentes, buntes Mainstream-Pop-Album gereicht, aber hier muss man sich erst durchfressen und die guten Songs markieren.