The Stooges, 1969

Produzent/ John Cale

Label/ Elektra

Ann Arbor, Michigan, 1967. Der 20-jährige Schlagzeuger James Osterberg wurde zu Iggy Pop, dem Leadsänger. Er tat sich mit Ron (Gitarre) und Scott (Schlagzeug) Asheton zusammen und dem Bassisten Dave Alexander, nicht zuletzt, weil deren Eltern Häuser hatten. Iggy war im Wohnmobil aufgewachsen, da liess sich schlecht ein Proberaum einrichten. Die Asheton-Brüder waren exzessive Kiffer, das heisst, dass eine auf zwei Uhr angesagte Probe frühstens um vier begann, um fünf aber kamen die Eltern von der Arbeit nach Hause und wollten ihre Ruhe. Klar, dass die Band so auf keinen grünen Zweig kam.

Also erklärte Iggy kurzerhand zum Konzept, dass die Band bloss ein 18-Minuten-Set auf Lager hatte. Die Stooges probten und komponierten fortan auf der Bühne und kreierten damit, was später Punkrock ausmachen sollte: der Moment, in dem Ignoranz und Dilettantismus eine geistige Freiheit erzeugen, die interessante Musik entstehen lässt. Und eine unglaubliche Energie, chaotisch, aggressiv und sexuell. Das Debütalbum der Stooges nahm sich 1969 in dem grassierenden Love & Peace-Fieber aus wie ein kopulierendes Paar in einem Krippenspiel. Fast zehn Jahre später traten die Punks mit einem Stooges-Slogan zur musikalischen Revolution an: „Search and Destroy“.

Die Stooges waren wohl die konsequenteste Ausformung dieses grossen Gestus des klassischen Punkrocks. Damit sind sie heute radikal unmodern, in einer Zeit, in der viele Junge die bedrohliche Lage der Welt genau in diesem Gestus bedroht sehen. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht. Aber sie wirkt noch, diese Musik, und zwar gewaltig. Sie lebt.

Creedence Clearwater Revival, Proud Mary, 1969

Text/Musik/ John Fogerty

Produzent/ John Fogerty

Label/ Liberty

Mit „Proud Mary“ ging es damals los und ab. Das Intro: ein Riff, zwei Akkorde im Wechsel zunächst, nochmal ansetzend, und noch mal, bevor dann die Band einstieg, zu der noch John Fogertys älterer Bruder Tom an der Rhythmusgitarre zählte: kompakt, kraftvoll, straight. Das war das klassische Creedence-Opening, nach diesem Muster zelebriert auf fast allen Hits dieser Band.

Mit „Proud Mary“ ist bekanntlich keine angebetete, aber unnahbare Schöne, sondern ein behäbiger Mississippi-Schaufelrad-Dampfer gemeint. Über das Ambiente dieses in den Swamps des Südens angesiedelte Songs ist schon viel Kluges und viel Blödes geschrieben worden. Wer aber Deep South nur mit Country, White, Redneck, reaktionär assoziiert, dem ist eh nicht zu helfen. Und wer darin vorallem eine Beschwörung des vormodernen Amerika eines Mark Twain entdeckte, in dem alles seinen Platz und seine Ordnung hatte, sei zumindest daran erinnert, dass diese rustikale Welt bei CCR zwar immer wiederholt und vorallem als Fluchtpunkt fungierte („Green River“, „Up Around The Bend“), über ihr gelegentlich aber auch drohend ein „Bad Moon“ aufzog, wenn es zwischenzeitlich nicht sogar heftig wie metaphorisch regnete („Who’ll Stop The Rain“). Und „Fortunate Son“ schliesslich gehört untrennbar in das Amerika des Vietnam-Krieges.

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The Rolling Stones, Jumpin‘ Jack Flash, 1968

Text/Musik/ Jagger/Richards

Produzent/ Jimmy Miller

Label/ Decca

Freiheit, Frechheit, Geilheit, Bosheit, Brüderlichkeit! Das Ding aus dem Sumpf, in dem du dich spiegeln kannst, und was siehst du? Dein eigenes wahres Gesicht, den Teufel, der nicht etwa im Detail steckt, sondern irgendwo zwischen deinen Rippen? Oder dein Wunsch-Ich, all das, was du immer sein und werden wolltest, das, was der Rock’n’Roll dir gegeben, dir aber auch immer wieder weggeschnappt hat?

Im Volksmund war „Jumpin’ Jack Flash“ das Stones-Stück, mit dem sie die Dämonen endlich zu sich eingeladen haben, die die Leute ihnen immerzu angedichtet hatten. Man hört hier den Ringkampf, das Leiernde und Aggressive, Tierische, wahnsinnig Lebensgierige, die Klapperschlange und den alten Mann mit Gitarre an der Unheilskreuzung. Wie der Körper zuckt und schlottert, durch den Howlin’ Fleischwolf gepresst wird, der Mythos in der Papiertüte landet – aber das alles soweit in Ordnung, ja „it’s a gas“. Es macht Spass.

Dusty Springfield, Son of a Preacher Man, 1968

Text/Musik/ John Hurley, Ronnie Wilkins

Produzent/ Jerry Wexler

Label/ Atlantic Records

Immer mitten in die Fresse rein. Dusty Springfield stammte aus einer komplexbeladenen Londoner Kleinbürgerfamilie und neigte zur Selbstverstümmelung. Auf Parties warf sie mit dem Abendessen um sich. Gegen Bühnenangst kippte sie Drinks. Sie prügelte sich mit dem selbstgefälligen Jazz-Schlagzeuger Buddy Rich, weil sie dessen sexistische Sticheleien nicht mehr ertrug.

Wer genau hinhört, kann ein Echo dieser inneren äusseren Konflikte in ihrer Musik vernehmen. Ab 1963 hatte Dusty Springfield ein paar Hits, die sich scheinbar passgenau in das damals gängige Popschema einfügten. Doch Titel wie „Wishin’ And Hopin“ oder „I Just Don’t Know What To Do With Myself“ lassen eine emotionale Abgründigkeit durchscheinen, die eher im Blues und Soul zu finden ist als im britischen Pop. Als Ende der 60er Jahre ihre Karriere stagnierte, kam man auf die Idee, Dusty in die USA zu schicken, nach Memphis. Der Produzent Jerrry Wexler schlug ihr 80 Songs vor, die ihr alle nicht gefielen; einige Wochen später suchte sie doch zwanzig davon aus. Zu den Studioterminen erschien sie oft zu spät, weil sie morgens endlos fürs Make-up brauchte. Nach endlosem Psychokleinkrieg sang sie die Titel des Albums „Dusty In Memphis“ dann in New York ein. „Son Of A Preacher Man“, im November 1968 erschienen, wurde ein Hit, doch das Album floppte. Was die Künstlerin kein bisschen überraschte: „Ehrlich, ich habe keine Ahnung, warum die Platte so hoch angesehen ist“, behauptete sie und hörte sich ihr Meisterwerk erst ein Jahr später an.

Ike & Tina Turner, River Deep – Mountain High, 1966

Text/ Musik/ P. Spector, Jeff Barry, Ellie Greenwich

Produzent/ Phil Spector

Label/ Philles

„River Deep – Mountain High“ war Phil Spectors ultimative „Wall of Sound“-Produktion und gleichzeitig ein Meilenstein in Tina Turners Karriere, der ihren späteren Erfolg als Solokünstlerin, ohne ihren Mann Ike, vorwegnahm. Spector hatte beinahe ein Jahr keinen Hit mehr gelandet. Mit dem Songwritingteam Jeff Barry und Ellie Greenwich, das für ihn Hits wie „Da Doo Ron Ron“, „Then He Kissed Me“ und „Be My Baby“ geschrieben hatte, steckte er alle Energie in die nächste Single. Tina Turners Stimme war genau das, was er brauchte, weil sie als einzige kraftvoll genug erschien für den massiven Sound, der ihm vorschwebte. Aber um sie zu bekommen, war er gezwungen, Ike & Tina Turner als Duo unter Vertrag zu nehmen. So bezahlte Spector Ike 20.000 Dollar dafür, nichts zu dem Song beizusteuern, und willigte ein, dass als Interpreten beide genannt werden, Ike und Tina.

Spector scheute weder Mühe noch Kosten bei der Produktion; im Orchester firmierten grossen Namen wie Jazzgitarrist Barney Kessel und Country-Sänger Glen Campbell. Die Single, die im September 1966 herauskam, hatte schliesslich 22.000 Dollar gekostet. Während sie in Grossbritannien bis auf Platz 3 kam, erreichte sie in den US-Charts jedoch nur Platz 88. Damit war für Spector das Mass voll; er zog sich vom Musikgeschäft zurück. Erst mit der Neuveröffentlichung 1969 wurde das Lied in den USA besser angenommen und gilt seitdem als Spectors Meisterstück. Für Tina Turner wurde es zu einem ihrer Markenzeichen.

Aretha Franklin, Respect, 1967

Text/Musik/ Otis Redding

Produzent/ Jerry Wexler

Label/ Atlantic

„Respect“ war nicht nur das Ziel der Bürgerrechtsbewegung. Ursprünglich bei Otis Redding, war es nur um den Respekt gegangen, den der Ehemann von seiner Frau verlangt, wenn er nach einem harten Tag heimkommt. Während sich der „weisse“ Protestsong der 60er immer an den Staat, das Establishment, die da oben oder die ältere Generation richtete, jedenfalls stets in einem Ton sprach, der eine ältere väterliche Autorität voraussetzt, wendet sich ein später zum symbolischen Protest eingesetzter Song wie „Respect“ an den Ehepartner. Soul-Protest nimmt nicht nur in diesem Fall eher die Position einer an einen erwachsenen Partner gerichteten Beschwerde ein. Während der (weisse) Protest(song) immer nur im Konjunktiv oder Futur von einer Situation phantasiert, in der es zum Machtkampf kommen könnte, sind die Machtkämpfe im schwarzen Song schon da. Fragt sich nur, welches Personal sie gerade austrägt: Mann und Frau, Mann und Gott, Zuhälter und Prostituierte oder – seltener – Black Nation und Unterdrücker.

Bevor „Respect“ zur Hymne werden konnte, musste Aretha Franklin den Song covern. Dass hier eine Frau sang, machte zwar die Ausgangslage – arbeitender Ehepartner beschwert sich über den zu Hause Faulenzenden – nicht unrealistischer, entscheidend aber war, dass in ihrem Arrangement das Einzelschicksal in einem gospelartigen Chor eingebettet wird. In dem im Kollektiv eingepassten Gesang wird das praktisch-persönliche Problem zu allgemeinen einer grösseren Community wie etwa der Black Nation.

Jimi Hendrix, Smash Hits, 1968

Produzent/ Chas Chandler

Label/ Polydor

Ende der 60er Jahre war eine Single trotz des mit den Beatles, The Who, The Kinks, Pink Floyd, Moody Blues und den Rolling Stones heraufdämmernden Albumzeitalters immer noch das Mass aller Dinge. „Smash Hits“, die einzige von Hendrix noch zu Lebzeiten veröffentlichte Compilation, sollte vorallem eine Zusammenfassung seiner Seven-Inch-Juwelen – sowohl der A- als auch der B-Seiten – sein. Wobei zu dieser Zeit grosse Unterschiede in der Veröffentlichung von Singles in den verschiedenen Ländern gang und gäbe waren. So war etwa der europäische und japanische Singlehit „Purple Haze“ auf der nordamerikanischen Version von Hendrix’ Debüt-LP „Are You Experienced“ enthalten. Nimmt man die zuerst erschiene UK-Version von „Smash Hits“ als Grundlage, ist „Foxy Lady“ das einzige Stück, das nicht als Single erschien. Zumindest nicht in Europa, denn unter dem Namen „Foxey Lady“ wurde der „Are You Experienced“-Song in den USA als Single veröffentlicht. „Fire“, auch als „Let Me Light Your Fire“ bekannt, erschien 1969 in Europa als Seven Inch.

Was „Smash Hits“ als Originalalbum aber so grandios macht, war nicht unbedingt das Alleinstellungsmerkmal einiger Songs, sondern die pure Kraft und Magie von Jimi Hendrix, komprimiert auf jeweils etwa drei Minuten. Wahre „Smash Hits“ eben! Da wurde keine Zeit verschenkt, da ging es gleich zur Sache. Rockgeschichtsschreibung und Pop, abgeleitet von Popularität, erlebten hier eine seltene und stilsichere Fusion. Kernstück des Albums war Hendrix’ erste Single „Hey Joe“. Mit jenem Lied brannte er sich 1966 ins kollektive Bewusstsein der Rockmusik-Fans ein. Bis zu „Smash Hits“ gab es den Song eben nur als Single. Da diese Platte schon vor den Aufnahmen zu „Axis: Bold As Love“ konzipiert worden war, konnte sie keine Songs von diesem Werk enthalten, obwohl einige von ihnen bestens zu ihr gepasst hätten.

Cream, Sunshine of your Love, 1967

Text/Musik/ Pete Brown, Eric Clapton, Jack Bruce

Produzent/ Felix Pappalardi

Label/ Reaction

Nach den Massstäben von 1967 war Cream die ultimative Stilfusion, eine Kombination aus jahrzehntealtem Blues, modernem Jazz und Psychedelic-Rock mit ganz eigener Nuance. Daher ist es nur logisch, dass „Sunshine of your Love“ so viele Jahre später musikalisch noch intensiv wirkt, denn es verkörpert genau die Synthese aus neu und alt. Der Song ist simpel und komplex zugleich. So mancher Gitarrist, der eine elektrische Klampfe in die Finger bekommt, hat das Riff schon ausprobiert.

Die besten Kompositionen haben oft Texte (in diesem Fall von dem Cream-Mitarbeiter Pete Brown), die sprachlich nicht unbedingt einen Sinn ergeben müssen. Wenn Jack Bruce singt „It’s getting near dawn“, entführt er den Zuhörer in die Zeit des ersten elektrischen Blues, und der Voodoozauber der Worte wird kein bisschen schwächer, nur weil der Sänger – ein studierter Jazzmusiker – kulturell weit weg vom Mississippi-Delta war. Der Song ist höchst emotional, aus der Sicht des Erzählers wird auf eine symbiotische Beziehung zwischen Mann und Frau angespielt, in der nur das Objekt der Begierde zählt. Pfiffig trotz liebeskranker Töne, modern trotz uralter Wurzeln – „Sunshine of your Love“ war und ist ein Statement, das sowohl die Schwingungen seiner Zeit als auch die Talente von Eric Clapton, Ginger Baker und Jack Bruce in sich trägt.

Jefferson Airplane, Somebody To Love/ White Rabbit, 1967

Text/ Musik/ Grace Slick

Produzent/ Rick Jarrard

Label/ RCA Victor

„White Rabbit“ war der erste wirklich populäre Pro-LSD-Song. Anhand von Bildern aus „Alice im Wunderland“ wird hier zu trockenen Marschrhythmen die Welt der „pills“ und „mushrooms“ besungen. Natürlich ist „White Rabbit“ en Masse attraktiver als die Musik späterer Tage, in der LSD als „künstliches Paradies“, als vermeintlich natürliche Begabung der Phantasie attraktiv gemacht wird. Es geht in dem Song nicht darum sich in indische Heilige zu verwandeln, sondern das Künstliche, willkürlich Herbeigeführte des Trips zu lieben. Und Grace Slick meinte es dann schon ziemlich ernst, wenn sie am Schluss von „White Rabbit“ forderte: „Leave Your Head!“

Noch wichtiger als Drogen war Sex. Grace Slick hob bei Konzerten gern ihren Minirock und hatte nichts darunter. Das war damals viel brisanter, als man heute denken könnte, aber die Airplane gingen noch einen wesentlichen Schritt weiter: „Tears are running down your breast…/ And all the joy within you dies/ Don’t you want somebody to love/ Don’t you need somebody to love/ Wouldn’t you love somebody to love/ You better find somebody to love.“ Und Millionen Teenager im ganzen Land schrien „Ja! Ja! Ja!“. Und „to love“ hiess nicht „lieben“ sondern „ficken“. Und die Teenager gingen raus und suchten sich jemanden zum Ficken. Auch heute denken die jungen Leute keinen Deut anders als damals. Von Phasen und Genies mal abgesehen, fragen sich 14- bis 24jährige in ihrer Musik wie in ihrer Literatur immer dasselbe, wo komme ich her, wie fühle ich mich, fühle ich mich wohl, was ist das eigentlich, Sichwohlfühlen, wo gibts Liebe und was kostet sie, was ist das eigentlich Liebe?

The Fugs, Kill For Peace, 1966

Text/Musik/ Tuli Kupferberg, The Fugs

Produzent/ Ed Sanders, Richard Alderson

Label/ ESP-Disk

Dieser Song ist auf der zweiten LP der Fugs, dieser aus französischen Symbolismus, griechischen Philosophen, Boheme-Humor, Sappho, englischer Romantik, Ezra Pound und radikaldemokratischen Happenings zusammengesetzten Band, die in den 60er Jahren ein paar schöne, scharfe und lustige Platten aufnahmen. Ed Sanders machte sich später als New-Journalist („The Family“) und griechisch-amerikanischer Lyriker einen Namen, Tuli Kupferberg, blieb bis zu seinem Tod 2010 ein East-Village-Aktivist, nur Ken Weaver ging auf die andere Seite und wurde zum antikommunistischen Geschichtsprofessor, der es nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, in einer Band zu spielen, die Amerika verhöhnt.

Auch wenn der Band vorgeworfen wurde, dass sie ihre Instrumente nicht beherrschte und schlampige Platten veröffentlichte, hatte sie doch anderseits ein Talent, in amüsanten Collagen, mit ungewöhnlichen, geschmackvoll eigenartigen musikalischen Mitteln Kulturgeschichte aus der Sicht des Anarcho-Hippie zu schreiben. Selbst wenn sich ihre lustigen, bösartigen Protestsongs in Nachhinein manchmal sehr naiv und blauäugig anhören. Ich meine, solche Lyrik sagt ja nie die Wahrheit, aber das ist nicht schlimm, weil sie nicht nur als blöder jugendlicher Zorn daherkommt, sondern als Besorgnis.