Miles Davis, We Want Miles, 1982

Produzent/ Theo Macero

Label/ Columbia Records

Das Album „We Want Miles“ gefällt mir ausserordentlich gut. Eine packende Mischung aus Rhythmus und weichen, klaren Stellen, ruhig, melodisch, Ruhepause, dann wieder Tempo. Intensität. Jazz. Ob er nun der Grösste war oder nicht, spielt keine Rolle, es zählt die Musik. Bei der werde ich nachdenklich und melancholisch. Oder: in einem dunklen Café sitzen, durch Milchglasscheiben schauen, träumen – aber hellwach. Oder: Im 31. Stock eines Hochhauses. Vielleicht New York. Wie immer: Miles Davis versteht es als Bandleader elegant mit dem Klangraum umzugehen und nur die nötigsten Noten zu spielen. Al Foster am Schlagzeug und Marcus Miller am Bass grooven lässig und reduziert. Mike Sterns heftige Rockausfälle an der Gitarre wirken stellenweise deplatziert und Bill Evan’s Tenorsaxophon manchmal formelhaft. Die Band insgesamt aber ist exzellent, der Sound ungewöhnlich kompakt und Miles an der Trompete ein Charismatiker. Kategorien, Mauern, Stecknadeln fallen… Miles away… Ich trinke den Rest kalten Kaffee in der Tasse auf dem Schreibtisch aus. Ein Blick auf die Uhr. Das Fenster ganz weit öffnen. Room-Service. „Hallo???“ –  „We want Miles!“

Miles Davis, A Tribute To Jack Johnson, 1971

Produzent/ Teo Macero

Label/ Columbia

Das Album ist der Soundtrack zu einem Dokumentarfilm über den ersten schwarzen Box-Weltmeister Jack Johnson, der zwischen 1908 und 1915 die Weltmeisterkrone im Schwergewicht trug und der für Rassenunruhen sorgte. Einen Schwarzen als stärksten Mann der Welt akzeptieren zu müssen, war wohl für die damals herrschende weisse Klasse in den USA ein wenig zu viel. Jack Johnson war das Freiheitssymbol für die unterdrückten Schwarzen. Als Johnson 1912 seinen Titel gegen die „weisse Hoffnung“ Jim Flynn verteidigen sollte, schickte ihm der Ku-Klux-Klan vor dem Kampf einen Brief: „Entweder Du fällst im Kampf um, oder wir hängen Dich auf!“

Die Platte hat ein über beide Seiten laufendes Stück. Drummer Billy Cobham, Bassist Mike Henderson und Gitarrist John McLaughlin sorgen für einen frei fliessenden, doch ständig gleich bleibenden Rhythmus, über den Miles Davis seine bereits in den 50er Jahren praktizierten Trompeten-Improvisationen legt. Neben Miles spielen auch Herbie Hancock (Orgel), Steve Grossman (Sopransax) und John McLaughlin (Gitarre) lange, ausführliche Soli: Musik, die zunächst sehr offen und frei erscheint, sich aber beim näheren Hinhören doch als straff organisiert erweist.

Miles Davis, Bitches Brew, 1970

Produzent/ Teo Macero

Label/ Columbia Records

Miles Davis war ein unkonventioneller Musiker. Er hatte den Jazz bereits mehrmals neu erfunden, als er mit 43 Jahren zu seiner wohl innovativsten Schaffensphase ansetzte. Für den Trompeter standen neben künstlerischen Ambitionen damals auch geschäftliche Interessen im Vordergrund. Während er sich für kleine Gagen in winzigen Clubs abmühte, begeisterten junge Rockbands Tausende Menschen bei bestens bezahlten Stadionkonzerten: Jimi Hendrix, Carlos Santana und Sly Stone waren nur einige von vielen Musikern, die harmonische und rhythmische Konzepte von Davis übernommen hatten. Nun wollte der Meister sich auch ein Stück von diesem Kuchen abschneiden.

Insgesamt 12 Musiker (darunter Wayne Shorter, Chick Corea und John McLaughlin, Joe Zawinul und Billy Cobham) holte Davis Ende August 1969 zu sich in die Studios der New Yorker Plattenfirma Columbia. Das 1970 erschienene Doppelalbum „Bitches Brew“, das bei diesen Sessions entstand, gilt als Geburtsstunde des sogenannten Jazzrock. Die freien Improvisationen von Davis‘ Grossformation mit multiplen Keyboardern, Perkussionisten und Bassisten tönen wie ein musikalischer Höllenritt. Weil auf „Bitches Brew“ jeder Musiker zugleich ein Solist ist, drohen die losen Soundstrukturen immer wieder auseinanderzubrechen. Schon das Eröffnungsstück „Pharaoh’s Dance“ hat eine brodelnde Intensität, die bis zum sanft versöhnlichen Finale „Sanctuary“ nicht abebbt.

„Bitches Brew“ war für Miles Davis der Höhepunkt seiner Karriere. Immerhin hatte sich das Album 500.000 Mal verkauft. Gerne berichtete Davis, dass ihm das Konzept aus weniger Jazz und mehr Rock den Durchbruch bei der Hippie-Generation brachte; gerne berichtete er aber auch von Aktien und sechsstelligen Einnahmen oder von seinem Lamborghini.