Small Faces, Whatcha Gonna Do About It, 1965

Text/Musik/ Brian Potter, Ian Samwell

Produzent/ Ian Samwell

Label/ Decca

Die Small Faces gab es gerade mal ein paar Wochen, als im August 1965 „Whatcha Gonna Do About It“ herauskam, ihre erste Single. Das hypnotische Riff war zwar von einem Song von Salomon Burke abgekupfert, trotzdem kam die Platte in die britischen Charts und die kleinwüchsige, aus engagierten James-Brown- und Ray-Charles-Fans bestehende Band wurde zur Lieblings-Beatschuppengruppe der party- und klamottensüchtigen Mods. Vorallem ihr Sänger Steve Marriott, ein Krakeeler und Rumpelstilzchen, sorgte auf der Bühne für Alarm. Das Publikum tanzte bei ihren Konzerten wie wild.

Es gibt es diese vergnügliche Geschichte, wie Don Arden, der Manager der Small Faces, bei den Eltern der Musiker aufgetaucht war, um die geringen Einkünfte der Small Faces durch eine von ihm erfundene Heroinabhängigkeit zu erklären. In Wahrheit speiste er die Band mit einem Taschengeld ab und liess sie zum Beispiel nie in die USA reisen, weil sie dort unweigerlich mitbekommen hätten, welche Summen ein Musiker in den 60ern bereits verdienen konnte.

The Who, Substitute, 1966

Text/Musik/ Pete Townshend

Produzent/ Pete Townshend

Label/ Polydor

Ein bisschen Beat-Musik, so sagte man, in Zeiten des „Beat-Clubs“, damals noch, aber diese drei Minuten haben mir etwas suggeriert, was ich nicht mehr missen wollte. „Substitute“, das war nicht nur ein schlichtes Liebesliedchen. Das war ein Song, der einem Gänsehaut über den Rücken jagte. „Substitute“, das war Revolte, Auflehnung gegen alles. „Substitute“, das heisst Ersatz. Und für mich als 12-Jähriger Schüler, war das Ersatz für das richtige Leben. Das eigentlich Leben ohne Ersatz sollte ja erst nach beginnen. Wir sehnten uns nach Real Life. Mit Lebensersatz hatte man uns lange genug abgespeist. Wir wollten Experimente machen, aber in der Gesellschaft, in der wir aufgewachsen waren, hiess es „Keine Experimente!“ Substitute. Der stampfende Rhythmus. das hektische Schlagzeug und das aufgeregte Gitarrenriff des Songs verlangten nach mehr.

Und es kam: die Stones mit „Jumpin’ Jack Flash“, Jimi Hendrix mit „ Purple Haze“ oder Cream mit „Strange Brew“. Jeder Song war mit einer ganz bestimmten Bedeutung verbunden. Und wenn ich heute „Substitute“ höre, dann ist es wieder da, dieses bestimmte Musikgefühl mit Gänsehauteffekt. Vieles von dem, was damals dachte und fühlte, wurde Wirklichkeit, aber da ist immer ein Rest Ersatz, und das wird auch so bleiben.

The Lovin’ Spoonful, Summer in the City, 1966

Text/Musik/ John Sebastian, Mark Sebastian, Steve Boone

Produzent/ Erik Jacobsen

Label/ Kama Sutra

Daaa Bammm, Daaa Bammm, Daaa Bammm, mit drei gnadenlosen Schlägen begann der Sommer 1966. Die Lovin’ Spoonful hatten Platz 1 der Charts in den USA und eroberten nun England. Mit „Do You Believe in Magic“, „Daydream Believer“ oder „Nashville Cats“ waren sie 1965 in den Phalanx der englischen Bands eingedrungen mit ihrer Mischung aus Rock’n’Roll, Folk Music und Country. Für Gesang und Mundharmonika war der nickelbebrillte John Sebastian zuständig, der seine Karriere in Greenwich Village in New York, dem Ostküsten-Flower-Power-Mekka, begann. „Summer in the City“ war harter, guter Beat und hatte mit dem Flower-Power-Gesülze nichts zu tun.

Mitte der 1960er hörte ich regelmässig Radio Caroline, denn die spielten die Musik, die ich hören wollte, brachten die neusten Scheiben, dazu Gespräche mit den Bands. Die Lovin’ Spoonful hatten sich in der englischen Hitparade etabliert. „Summer in the City“ war der Sommerhit 1966. Es passte alles. Noch heute verkörpert der Song für mich das Lebensgefühl einer bestimmten Zeit und vermittelt die Stimmung und den Klang der Stadt im Sommer.

The Trashmen, Surfin’ Bird, 1964

Produzent/ George Garrett

Label/ Garrett Records

Die Trashmen kamen nie gross raus, aber ich habe eine Menge Spass an ihnen. Mit ihren dunklen, pomadisierten Haaren und grauen, schlankgeschnittenen Anzügen sahen sie eher aus wie Kreuzungen aus italienischen Schnulzensänger und Aushilfs-Buddy-Hollys; nicht gerade der Typ des kalifornischen Frischluftjünglings mit sauberen Ohren. Waren sie auch gar nicht; sie kamen aus Minnesota, fast 2500 Kilometer entfernt von jenen goldenen Stränden.

Viele Leute kennen wohl „Surfin’ Bird“, wenn auch eher von den Ramones oder den Cramps. Nun, das Original ist von den Trashmen, und es ist eigentlich die beste Version. Sie waren ihrer Zeit voraus. Sie liessen sich fotografieren, mit Anzug und Krawatte, aber eben auf einem Müllwagen mit alten Autoreifen, verbeulten Blechfässern, lauter Gerümpel. Damals war das noch nicht Mode. Mitte der 60er Jahre schossen im Westen der USA Garagebands aus dem Boden. Von ihrer Herkunftsgeschichte gehören die Trashmen auch dazu. Aber während die meisten der anderen Gruppen die Beatles oder die Stones kopierten, waren sie etwas Besonderes: Atombombenexplosionen zum Beispiel bei „New Generation“ und bei „Birth Bath“ – was sonst – das Geräusch eines Vogels unter der Dusche. Die Trashmen brachten es auf ein Album und ein paar Singles, aber das breitere Publikum nahm keinerlei Notiz von ihnen.

The Rolling Stones, Get Off Of My Cloud, 1965

Text/Musik/ Mick Jagger, Keith Richards

Produzent/ Andrew Loog Oldham

Label/ Decca

Die Themen, die in „Satisfaction“ angesprochen wurden – die Frustration, die die Konsumgesellschaft hervorruft, weil sie an den wahren Bedürfnissen der Menschen vorbeiproduziert, und den exaltierten Wunsch nach Befriedigung nicht nur sexueller Triebe- , griff die Band mit „Get Off Of My Cloud“ Ende 1965 erneut auf. Der Mensch, von dem Jagger hier mit Dylan’schem Erzählgestus berichtet, fühlt sich von Werbung und Interessenvertreter derart belästigt, dass er schliesslich nur noch allein sein und seine Ruhe haben will. Seine Klage kulminiert in dem wütend vorgebrachten Wunsch: „Hey You! Get off of my cloud/ Don’t hang around ‚cause two’s a crowd/ On my cloud, baby“.

„(I Can’t Get No) Satisfaction“ und „Get Off Of My Cloud“ sind zwei aus einer ganzen Reihe von Top-Ten-Singles (darunter auch „19th Nervous Breakdown“, „Paint It Black“, „Have You Seen Your Mother, Baby, Standing In The Shadow?“), die in den beiden folgenden Jahren den Status der Rolling Stones als einer der wichtigsten britischen Bands festigten.

Dave Davies, Death of a Clown, 1967

Text/Musik/ Dave Davies

Produzent/ Dave Davies, Ray Davies

Label/ PYE

Dass Dave Davies von den Kinks auch ein begabter Songschreiber war, das beweist sein herrlich trauriger Hit „Death of a Clown“. Leider war da die notorischerweise diffizile Beziehung zu seinem Bruder Ray. Der spielte sich als Egomane auf, komponierte alle Songs und hielt auch die geschäftlichen Fäden in seinen Händen. Bei seinen Eltern zu Besuch, setzte sich der junge Dave schon etwas angetrunken ans Klavier und stimmte ein spontanes Lied an. „Let’s all drink to a death of a clown“. Wenige Augenblicke später wurde ihm plötzlich bewusst, dass er gerade einen Hit geschrieben hatte. Er beschloss, seinem Bruder eins auszuwischen und veröffentlichte den Song als Solosingle. „Death of a Clown“ wurde ein Hit – und für Dave Davies ein kurzes Intermezzo als Solokünstler.

In in dem Lied geht es nicht nur um den Tod eines Clowns, sondern um den Niedergang einer ganzen Zirkuskultur, die durchaus Symbolcharakter für das Leben im Allgemeinen hat. Der alte Wahrsager liegt tot auf dem Boden, es gibt sowieso niemanden mehr, der sich wahrsagen lassen will. Und selbst die minimalste Form des Zirkuslebens, der Flohzirkus, ist zum Scheitern verurteilt. Der Insektendompteur kriecht auf den Knien herum und sucht wie wild nach entfleuchten Flöhen. In diesem Sinne: „Let’s all drink to the death of the Clown“ – Dave Davies war gerade mal 20 Jahre alt, als der Song ein Hit wurde, vielleicht hat sich inzwischen jemand gefunden, der ihm geholfen hat „to break up this crown“, d.h. den Kronkorken von der Flasche zu kriegen.

The Walker Brothers, The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore, 1966

Text/Musik/ Bob Crewe, Bob Gaudio

Produzent/ Johnny Franz

Label/ Philips

Die Sonne scheint nicht, und sie wird auch niemals mehr scheinen, da kann die Musik noch so sorglos klingen und dank Streicherarrangements glorios glänzen. Denn die „loneliness“, diese schwer zu greifende Einsamkeit, die der Sänger besingt, ist der Mantel der das Lied umhüllt.

„The Sun Ain´t Gonna Shine Anymore“ war der Nummer-1-Hit der Walker Brothers. Sie waren weder Brüder noch hiessen sie Walker, aber sie sahen aus wie Geschwister, verdammt gutaussehende obendrein. Noel Scott Engel ( alias Scott Walker) war der Teenage-Schwarm, Gary Leeds und John Maus assistierten. Die Schwermut in Scotts klarer wohlklingender Stimme sprach die Romantik-Sehnsucht der Teenies an. Der Song, von Frankie Valli & The Four Seasons 1965 zum erstenmal aufgenommen, war der kommerzielle Höhepunkt der Walker Brothers Band und in gewissem Sinne die amerikanische Antwort auf die Beatlemania – mit einem orchestralen Pop, der selbst Lebensmüdes in grosse Gesten packte.

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Various Artists, Da Doo Ron Ron (From The Ellie Greenwich & Jeff Barry Songbook)

Produzent/ Mick Patrick

Label/ Ace Records

Es gibt ja viele Songschreiber-Teams, die untrennbar mit der Blüte der 60er Jahre Pop Musik verbunden bleiben. Leiber & Stoller, Pomus & Schuman, Goffin & King und natürlich Ellie Greenwich & Jeff Barry. Dieses blutjunge Paar aus Brooklyn spannte 1962 zu einem der erfolgreichsten Komponisten-Duos zusammen. Die Girl-Group-Welle der frühen Sechziger war ihr bevorzugtes Betätigungsfeld. Nach New Yorks berühmteste Girl-Groups jener Zeit – The Shangri-Las, The Crystals, The Chiffons, The Jelly Beans, The Ronettes, The Dixie Cups, The Exicters – verdanken ihre unsterblichen Song, ihre grössten Hits Greenwich und Berry.

Noch Dekaden später üben geniale Würfe wie „Da Doo Ro Ron“ oder „I Can Hear Music“ einen unwiderstehlichen Zauber aus, trotz aller Süsse und Phil Spectors Opulenz (oder gerade deshalb?). Für dessen Plattenlabels Philles und Red Bird lieferten die beiden Hits am Fliessband, später auch für Bert Bern’s Bang Records, wo Jeff Berry The McCoys mit einer Handvoll Hits versorgte. „Don’t Ever Leave Me“ war Connie Francis’ Beitrag zum Girl-Sound, im selben Jahr (1964) stürmte Lesley Gores „Look Of Love“ die Charts. Ebenfalls vertreten sind Tommy James & Shondelles mit „Hanky Panky“. Wie in den Liner Notes nachzulesen, hatten die beiden das in einem Auto geschrieben, anstatt sich mit dem ansonsten auf einem Rücksitz üblichen hanky panky zu vergnügen. 1966 hatte sich Ellie Greenwich privat mittlerweile von Jeff Barry getrennt, aber die beiden entdeckten einen für ihre Begriffe höchst talentierten jungen Songschreiber namens Neil Diamond. Den verbandelten sie mit dem Brill Building-Mogul Don Kirshner. Der liess seine neuste Retorten-Band The Monkees dessen „I’m A Believer“ aufnehmen.

The Rolling Stones, Charlie Is My Darling Ireland 1965, 2012

Produzent/ Bob Ludwig

Label/ ABKCO

Er hatte ein Gesicht wie Buster Keaton und liess sich schwer beeindrucken. Er hiess Charlie Watts, spielte Schlagzeug bei den Rolling Stones. Ohne Mick Jagger gäbe es keine Show, ohne Keith Richards gäbe es keine gute Show, aber ohne Charlie Watts gäbe es die Stones schon lange nicht mehr. Er hatte oft das letzte Wort, entwarf mit Mick die Bühnenbauten, entschied sich für den Jazz-Bassisten Darryl Jones als Nachfolger für Bill Wyman, wurde von Keith verehrt und nicht nur von ihm; alle in der Band wollten sein wie er. „Charlie Is My Darling“ heisst ein früher Dokumentarfilm über die Band, auf der Hülle von „Get Yer Ya-Ya’s Out“, dem Livealbum der Stones auf der Höhe ihres Könnens, sieht man nur ihn, und wenn der Sänger an den Konzerten die Band vorstellte, bekam der Schlagzeuger die längste Ovation.

Er blieb bescheiden. Sechzig Jahre beschränkte sich Charlie Watts auf ein minimales Aufgebot: Basspauke, Snare, Hi-Hat, zwei Toms, drei Becken. Sein Spiel klingt trocken, aber federnd, stilbewusst und elegant: harte Linke, swingende Rechte. Obwohl er sich, der Autodidakt, als Techniker nicht hoch bewertete, wurde er von vielen Schlagzeugern für seine Effizienz und seinen Ausdruck bewundert. Wirbel machte er selten, und es gibt kein einziges Schlagzeugsolo von ihm. Jeder Schlag zählt, weil keiner zu viel ist. Auch heute noch suchen junge Bands in Inseraten Schlagzeuger mit einem einzigen Satz: „Must play like Charlie Watts“.

The Kinks, Greatest Hits!, 1966

Producer/ Shel Talmy

Label/ Reprise

Es soll Leute geben, die von den Kinks nur „Lola“, „Waterloo Sunset“ oder „Apeman“ kennen. Diesen Armen hilft diese Oldie-Ausgrabung ganz entscheidend. Auf dem Album sind alle Hämmer von Ray Davies, bis „Lola“ (als Bonustrack) enthalten. Meisterwerke der Popmusik von einem ihrer Grössten. Was für eine Pfeife ist so ein Neurockstar wie Machine Gun Kelly verglichen mit Townshend, Lennon und Ray Davies. „All Day And All Of The Night“, „A Well Respected Man“, „Sunny Afternoon“, „You Really Got Me“, „Dedicated Follower Of Fashion“ und und und. Es macht heute genauso Spass, sich diese Songs anzuhören wie damals.