Bob Dylan, The Man in Me, 1970

Text/Musik/ Bob Dylan

Produzent/ Bob Johnston

Label/ Columbia

Und dann wacht man doch wieder auf. In einem fremden Zimmer, in einem fremden Land, mit fremdartigen Gefühlen unter der Haut. Schlaftrunken und nervös zugleich schlurft man in die Nasszelle und stellt sich in den lauwarm heruntersprudelnden Wasserstrahl – ein fremder Mensch mit gereizten Augen und geschwollenen Füssen. Er öffnet seinen Mund und singt lautlos ein paar Zeilen, die ihn die ganze Reise über schon verfolgen: „I can see clearly now the rain is gone/ I can see all obstacles in my way“ – ein leises Lächeln. „Are you really just a shadow of the man I once knew?/ Are you crazy, are you high, are you just an ordinary guy?“ – ein feines Schnippen mit den Fingern. „Oh, mama, can this really be the end/ To be stuck inside of Mobile with the Memphis Blues again“ – ein leichtes Knistern in der Nase. „The vagabond who’s rapping at your door/ Is standing in the clothes that you once wore/ Strike another match, go start anew/ Strike another match, go start anew/ And it’s all over now, baby blue?“

Man kann seine eigene Existenz zerstören, alle Zelte abfackeln, um den halben Erdball reisen, doch gewisse Dinge wird man einfach nicht los. Eines davon ist das grosse Bob Dylan Songbook, das so tief in den Eingeweiden steckt, dass man gar nicht anders kann, als es immer bei sich zu tragen. Musik und Reisen – eine komplexe Kombination, bei deren Nennung im Kopf sofort jene monumetale Filmszene auftaucht, in der Jeff Lebowski mit einer Bowlingkugel über das nächtliche Los Angeles fliegt und selig grinst, während im Hintergrund Dylans „The Man in Me“ läuft.

Und dann steht man in einem anderen Land mit einem Bier in der Hand. Auf der Nase eine Sonnenbrille, in der Hosentasche ein paar zerknitterte Geldscheine und auf dem Handy ein paar neue Fotos – und unter der Haut dieses fremdartige Gefühl. Es könnte Liebe sein. Es könnte Ungewissenheit sein. Oder es könnte Tod bedeuten. Genau in dieser Reihenfolge.