
Neil Young, Rockin’ in the Free World, 1989
Text/Musik/ Neil Young
Produzent/ Neil Young, Niko Bolas
Label/ Reprise
Neil Young geht ab Juni auf Europa-Tour und will zum Auftakt ein „kostenloses Konzert für alle“ in der Ukraine geben. „Keep on Rockin’ in the Free World.“ Die Oberzeile „Slava Ukraine“ und eine Ukraine-Flagge machen deutlich, dass Young seinen Plan als politisches Statement verstanden wissen will. Es wäre Youngs erstes Konzert in der Ukraine, und mit Blick auf seinen ikonischen Song, der den Höhepunkt all seiner Konzerte bildet, würde sich ein Kreis schliessen. Entstanden war der Song, als die Mauern zwischen der freien und der unfreien Welt noch solide schienen. Sein Plan einer Tour durch die Sowjetunion hatte sich zerschlagen. Also „rocken wir halt in der freien Welt weiter“, sagte er, legte ein paar deftige Gitarrenriffs darunter, und fast fertig war der Rockklassiker.
Vielleicht hat die freie Welt Youngs Phrase besser verstanden als er selbst. Sie dehnte das „wir“ von der Band auf die Menschheit aus und hörte: Wir wollen rocken, und zwar in einer freien Welt. So wurde der Song zu einer Hymne auf die Freiheit, zu der alle abrocken wollten. Trump benutzte den Song für seinen Wahlkampf 2016. Young kritisierte Trump aber vor allem dafür, dass er keine Lizenz gekauft hatte. Nachdem dies nachgeholt war, durfte Trump den Song verwenden. Auch Bernie Sanders sowie die Demokratische Partei haben „Rockin’ in the Free World“ schon verwendet. Den Song in der Ukraine zu performen, bedeutet, darauf zu pochen, dass die Ukraine zur freien Welt gehört. Youngs Ankündigung kommt im Moment, in dem Trump die Unterstützung für die Ukraine infrage stellt.
Die Wucht geht aber weniger vom plakativen Refrain als von den Strophen aus. Ein fast apokalyptisches Bild wird vom angeblich freien Amerika gezeichnet. Den Strassen entlang treiben Obdachlose, die lieber tot wären: „There’s a lot of people saying we’d be better off dead.“ In der zweiten Strophe heisst es: „I see a woman in the night / With a baby in her hand/ There’s an old street light / Near a garbage can …“. Dann legt sie das Kind „weg“ – in den Müll? – und setzt sich einen Schuss. „She hates her life and what she’s done to it“. Ein Kind mehr, das nie zur Schule gehen, sich nie verlieben wird.
In der letzten Strophe zitiert Young die Antrittsrede von Präsident Bush sr. (1989). Die Nation würde nun „kinder, gentler“ werden, versprach Bush. „We got a kinder, gentler machine gun hand“, stellt Young die verlogene Phrase vom Kopf auf die Füsse und weist auf die kalte Sozialpolitik und Kriegstreiberei der republikanischen Regierung hin. „Keep on rockin’ in the free world“, der kraftvolle Aufruf des Refrains kann nach dieser bitteren Anklage nur als höhnische Ironie verstanden werden – sollte man denken.
