Johnny Winter, 1969

Produzent/ Johnny Winter

Label/ Columbia Records

John Dawson Winter stammte aus Beaumont, Texas. Schon als Teenager tourten die Brüder Johnny und Edgar Winter mit verschiedenen Formationen durch den Süden der USA. Johnny Winter schloss Freundschaft mit Jimi Hendrix, Michael Bloomfield und Al Kooper. Columbia Records nahm den Musiker aus der Provinz unter Vertrag und verkaufte ihn als neuen Gitarrenstar, als „weissen Jimi Hendrix“. 1969 trat Winter beim legendären Woodstock-Festival auf.

Obwohl sich er sich in den frühen Siebzigern mehr dem straighten Rock’n’Roll zuwandte, verabschiedete er sich nie vom Blues. Eher schon aus der Musikszene: 1972 musste er zur Behandlung seiner Heroinsucht eine längere Auszeit nehmen. Ausserdem litt der Mann an diversen psychischen Störungen.

Ende der Siebzigerjahre nahm Johnny Winter mit seinem alten Vorbild Muddy Waters drei LPs auf und begleitete die Blues-Legende auf der Gitarre. Triumphal war Johnny Winters Auftritt im ARD „Rockpalast“ am 21. April 1979: Bis zum Morgengrauen verzückte er seine Fans mit traditionellem Blues und Rockkrachern wie „Johnny B. Goode“ und „Jumpin‘ Jack Flash“.

Johnny Winters vielleicht beste Platte ist sein Debütalbum von 1969. Sämtliche Spielarten des Blues, die er hier anpackt, gelingen vollkommen und er zelebriert sie mit einem Feeling, das sich vor der schwarzen Musik nicht im geringsten verstecken muss. Ob mit Marshallstack oder auf der Dobrogitarre: Johnny spielt als gäbe es kein Morgen!

Bis zuletzt stand Winter rund 200 Mal im Jahr auf der Bühne. Doch dann lief alles schief: Nach einem Konzert in Frankreich machte er in einem Hotel nahe des Zürcher Flughafens Station. Dort starb er am 16. Juli 2014. Unfreiwillig. Was im Land des lukrativen Sterbetourismus eher ungwöhnlich ist.

Mark Knopfler, One Deep River/ The Boy, 2024

Produzent/ Mark Knopfler, Guy Flechter

Label/ EMI

Während des Corona-Lockdowns ging Mark Knopler in sein eigenes Studio und empfing mehr oder weniger Mitglieder seiner Band. Die Sessions waren von Freude geprägt, das hört man den Songs an. Die meiste Zeit auf sich gestellt, entwickelte er die Songs allein. Die Stärken sind Mark Knopflers Sorytelling und die Arrangements. Die Band spielte 30 Songs ein, insgesamt erschienen 25, verteilt über verschiedene Medien. 21 auf dem Album „One Deep River“ und vier weitere auf der EP „The Boy“. Weshalb welcher Song auf welchem Format landete, ist musikalisch nicht immer ersichtlich. Thematisch befasst sich die die EP mit dem Leben auf den Rummelplätzen und dem Glücksspiel Ende der 50er- und 60er-Jahre. Auf dem Album sind die Themen gemischter, von Aufbruch und Abschied („One Deep River“) über das Liebeslied („Janine“) und der Nacherzählung eines brutalen Mordes („Tunnel 13“) bis zum Reflektieren über das Erstarken der politisch extremen Rechten („This One’s Not Going To End Well“).

Manchmal sprechsingt Knopfler nicht nur, sondern versucht sich sogar als Sänger. Und er bringt es fertig, Melodien zu komponieren, die er mit seinem Stimmumfang gar nicht singen kann. So verwunderlich es ist, dass Mark Knopfler mal ein Rockstar war, so logisch erscheint es, dass er seine Rolle gefunden hat: als Barde, der musikalische Geschichten erzählt. Das ist ihm dieses Mal sehr gut gelungen.

John Cale, Poptical Illusion, 2024

Produzent/ John Cale, Nita Scott

Label/ Domino

John Cale ist 82 Jahre alt. Das bremst seine Produktivität nicht aus, im Gegenteil: das Bewusstsein, dass die meisten seiner Weggefährten gestorben sind, löste bei ihm vor zwei Jahren einen schöpferischen Schub aus. Auf „Mercy“ (2023) liess er sich von jüngeren Musikerinnen und Musiker herausfordern; kaum ein Jahr später suchte er für „Poptical Illusion“ die Intimität und arbeitete mit den langjährigen Vertrauten Dustin Boyer und Nita Scott. „Poptical Illusion“ ist ein Album, auf dem sich Paranoia und (leise) Euphorie, Dunkelheit und Licht, Alterspessimismus und Altersweisweit die Waage halten. „Make it happen for you in the future/ It’s better life than in your past“.

„Poptical Illusion“ ist beeindruckend. Die Offenheit und Neugierde, die John Cale seit seinen Anfängen auszeichnet, ist auch hier zu spüren. Mehrmals bezieht er sich aber auch auf seine Geschichte – in „Edge of Reason“ zitiert er „Fear Is a Man’s Best Friend“, das Stakkato-Piano in „Shark-Shark“ erinnert an „I’m Waiting for the Man“, „How We See The Light“ an „Wrong Way Up“. John Cales Geschichte und Karriere ist einzigartig; auch wenn er kommerziell nie erfolgreich war, hat er doch der Popmusik immer wieder seinen Stempel aufgedrückt.

„There’s always room to change my friend“ singt Cale in dem sanft, noisigen „Calling You Out“ – diese Räume zu Veränderung und Weiterentwicklung nutzt er auch mit 82 Jahren noch auf seinem 18. Studioalbum. „Poptical Illusion“ ist atmosphärisch dicht, musikalisch und textlich vielschichtig, die Songs sind ebenso fordernd wie eingängig, und über allem liegt sein dunkler, melancholischer Bariton und beschwört Unheil und Erlösung.

 

Neil Young & The Bluenotes, This Note’s For You, 1988

Produzent/ Neil Young, Niko Bolas

Label/ Reprise


„This Note´s For You“ von Neil Young ist eine Rhythm & Blues-Platte, nicht im übertragenen Sinne, sondern im Original-Sound und mit einer Big-Band. Auf diesem Album geht es darum, auf die gleiche Weise, wie bei früheren Gelegenheiten, das Leben auf dem Lande, das Leben in der Stadt zu feiern. Ein Lob den Hangouts, den Bands und den Frauen, die dance und know how to jump and shout.

Neil Youngs Rhythm & Blues ist für den Rhythm & Blues, was Fassbinders 50er für die 50er sind: eine dick aufgetragene, verführerische Idee, die für einen guten Zweck vermischt, was nicht zusammengehört: hineingeschmissene Elmore-James-Riff, mehrfach B.B.King und gestopfte Trompeten, keine akademische Rekonstruktion, sondern Blues als Bühnenbild, das auch auf die ganz normale Neil-Young-Gitarre und Komposition nicht verzichten darf. Leute wie Joe Jackson und Pete Townshend haben versucht ein solches Album zu machen und sind dabei gescheitert, weil sie sich nicht (mehr) trauten, irgendwo drauf zu hauen, weil sie keine expansiven, einnehmenden Persönlichkeiten sind (the real meaning of jump and shout), weil niemand so genau wie Neil Young weiss, wofür er kämpft, wenn er für das gute Leben kämpft.

AC/DC, If You Want Blood You’ve Got it, 1978

Produzent/ Harry Vanda, George Young

Label/ Atlantic

Das erste Live-Album von AC/DC präsentiert die Band zu einer Zeit, bevor sie zur Marke wurde. Malcom Youngs Riffs waren noch frisch, Angus’ Griffbrettfingerei verspielt. Und vor allem fangen die Aufnahmen Bon Scotts Qualitäten als Sänger ein wie auch seinen Strizzi-Charme, der seinem Nachfolger stets fehlte.

Von „Bad Boy Boogie“ über „The Jack“ bis „Whole Lotta Rosie“ und „Let There Be Rock“ ist die Setlist gespickt mit Songs, die heute Klassikerstatus haben. „If You Want Blood You’ve Got It“ erschien im selben Jahr wie das oft übersehene „Powerage“ und war die vorläufig letzte AC/DC-Produktion von Harry Vanda und dem älteren, 2017 verstorbenen, Young-Bruder George. Ein Act für die grossen Massen waren die Australier zu dieser Zeit noch nicht. Das kam erst mit „Highway to Hell“. Bon Scott starb nach „Highway to Hell“, AC/DC machten weiter mit einem neuen Sänger und „Back in Black“. Sie wurden berühmter, die Hallen grösser und schliesslich zu Stadien. Zwischenzeitlich traten sie mit Axl Rose als Sänger auf und hatten dabei ein halbes Dutzend Songs auf der Setlist, die schon auf diesem Live-Album waren. Das geriet durchaus goutierbar. Die Essenz dieser Band findet man aber für immer auf “f You Want Blood You’ve Got It“.

The Rolling Stones, Street Fighting Man, 1968

Text/Musik/ Jagger, Richards

Produzent/ Jimmy Miller

Label/ London

1968 hatte Mick Jagger in London eine eher friedliche Demonstration gegen den Vietnamkrieg mit seiner eher kurzen Anwesenheit beehrt und sich ziemlich im Hintergrund gehalten. Vielleicht war er nur deshalb dabei gewesen, um hinterher einen Song darüber schreiben zu können. Der fiel dann jedenfalls entsprechend desillusioniert aus. Es sei zwar genau der richtige Zeitpunkt für eine Palastrevolution, aber da, wo er lebe, in dieser verschlafenen Stadt London, würden dummerweise nur Kompromisse gemacht, das sei einfach kein Platz für Strassenkämpfer. Insofern habe er gar keine Wahl: „Well, what can a poor boy do/Except to sing for a rock ’n‘ roll band.“

Das Cover der Single sprach eine andere Sprache. Drei Cops in Kampfmontur stehen vor einem niedergestreckten Demonstranten, einer hebt den Fuss, offenbar um noch einmal nachzutreten. Und so kann man hier einmal mehr beobachten, wie sehr der Kontext die Rezeption steuert. „Street Fighting Man“ wurde nun als forcierte Kampfansage aufgefasst – und eben nicht als faule Ausrede, warum man mit Jagger et alii nicht unbedingt rechnen müsse.

Jimi Hendrix, All Along the Watchtower, 1968

Text/Musik/ Bob Dylan

Produzent/ Jimi Hendrix

Label/ Polydor

Jimi Hendrix nahm sich volle sieben Monate, in denen er immer wieder an seiner Coverversion dieses Bob-Dylan-Songs feilte. Als er mit dem Ergebnis endlich zufrieden war, erschien der Song einerseits auf der LP „Electric Ladyland“, anderseits als Single, und zwar als erste Stereo-Single in England überhaupt – was vielleicht das (aus heutiger Sicht etwas übertriebene) Changieren des Hauptsolos zwischen den Kanälen erklärt. Die Originalversion von Bob Dylan, die 1967 auf der LP „John Wesley Harding“ erschien, wirkt dagegen geradezu belanglos. Und was sagte der Komponist zum Hendrix-Cover?

„Es überwältigte mich, wirklich. Er hatte solch ein Talent, er konnte in einem Song Dinge finden und sie mit grosser Energie entwickeln. Er verbesserte den Song wahrscheinlich durch Pausen, die er machte. Ich habe dann eigentlich seine Version des Songs übernommen.“ Übrigens hat Dylan hier treffend analysiert, was ein gutes Cover ausmacht: Nämlich in einem Song musikalische Potentiale aufzuspüren und diese auszuarbeiten. Und Jimi Hendrix, der überhaupt keinen Grund hatte, seine eigenen Kompositionern zu verstecken, war ein Meister dieser Disziplin.

The Kinks, Sunny Afternoon, 1966

Text/Musik / Ray Davies

Produzent/ Shel Talmy

Label/ Pye

Wie so viele Songs aus der Zeit zwischen 1966 und 1968 schien „Sunny Afternoon“ den Geist des Wandels zu verkörpern, der damals die USA und Europa durchströmte. „Tune in, turn on, and drop out“, lautete das Motto der Gegenkultur, und immer mehr Menschen begriffen, dass man nicht zum Mainstream gehören musste. Auch die Beatles rieten ihren Fans 1966, sich zu entspannen, die Gedanken auszuschalten und sich flussabwärts treiben zu lassen. Die Kinks jedoch waren vor ihnen da.

Musikalisch und textlich war der Song eine Offenbarung. Der Schritt zurück, den Songwriter Ray Davies damit wagte (zurück in die verrückte Music-Hall-Zeit seiner Jugend), statt die progressive Richtung weiterzuverfolgen, in die die früheren Hits der Band zu weisen schienen, erwies sich im nachhinein als genial. Hinter der warmen, lakonischen Weichheit der Aufnahme verbergen sich kluge Köpfe – eine Beobachtung, die, mal wieder auch auf die Beatles zutrifft, die im Jahr darauf ihre eigene Music-Hall-Hommage, „Being for the Benefit of Mr. Kite“, aufnahmen.

John Lee Hooker, Boom Boom, 1961

Text/Musik/ John Lee Hooker

Produzent/ Calvin Carter

Label/ Vee-Jay

John Lee Hooker starb am 21. Juni 2001 im Alter von 83 Jahren. Er war das letzte lebende Fossil des archaischen Blues. Er war der Meister der Einakkord-Gitarre, des rhythmisch stampfenden Begleitfusses und der unglaublich seltsamer Verstimmungen. Zudem war er einer der Prototypen des individualisierten modernen Blues, der einzige, der den Spagat zwischen Tradition und Moderne wirklich schaffte, einer, der sogar in eine Klamotte wie „Blues Brothers“ für ein paar Sekunden Bluesrealität brachte, zu Zeiten ein dämonischer Genius, oft aber auch der Heiler für die Boogie-Kinder.

Bluespuristen hassten Hooker für das, was er ihrer Musik antat. „Das ist keine Musik. Das sind nur einzelne Noten“, meinte etwa Hayes McMullen. Und Paul Oliver hat in seinem Standardwerk „The Story of Blues“ kaum zehn Zeilen für Hooker übrig. Richtig: John Lee Hooker kümmerte sich niemals um das berühmte Bluesschema. Aber es klingt immer nach Blues. Seine Texte reimen sich selten. Aber sie klingen immer wie gut gereimt. Seine Begleitbands verzweifelten regelmässig, wenn sie mit Hooker spielen mussten, weil er weder Tonart noch Taktschema beachtete. Aber mit einzelnen Musikern wie Eddie Kirkland, Eddie Burns oder Eddie Taylor gibt es Live-Aufnahmen und Studiosessions, die von traumwandlerischem Verständnis zeugen. Wer sich das Vergnügen leisten will, den gleichen Song in verschiedenen Aufnahmen zu hören, wird nie eine identische, immer eine veränderte, eine neuerfundene Version finden. Und um die kurze Analyse von John Lee Hookers Besonderheiten abzurunden, ein Zitat aus Charles Shaar Murrays Biographie „Boogie Man – The Adventures of John Lee Hooker in the American Twentieth Century“: „Er hämmert diese dissonanten Klänge auf seiner Gitarre, dass einem die Nervenenden entzünden, und dann macht er Pausen, Pausen zwischen einzelnen Noten, die so lang und so unberechenbar sind, dass noch jeder Möchtegern-Imitator darüber die Nerven verloren hat.“

Rory Gallagher, A Million Miles Away, 1973

Text/Musik/ Rory Gallagher

Produzent/ Rory Gallagher

Label/ RCA


Schon mit sechs Jahren suchte Rory Gallagher im Radio nach Bluessongs. Als Neunjähriger kaufte er sich seine erste Gitarre, die Lehrjahre absolvierte er in der Fontana Showband, einer Tanzkapelle, mit der er Songs aus der englischen Hitparade nachspielte. Mit 16 begann er, mit seinem Trio Taste Rock und Blues zusammenzubringen. Rory Gallagher galt nicht nur als exzellenter Gitarrist, sondern wurde auch als Rockstar gefeiert – das hatte es in Irland noch nicht gegeben. 1970 kam auch der Erfolg in England: Gallagher hatte mit seiner Band ein zweites Album aufgenommen, auf dem er sich, angeregt durch Ornette Coleman, auch auf dem Saxophon versuchte. „On The Boards“ schaffte es bis in die englischen Charts. Doch nach einem Auftritt beim Festival auf der Insel Wight löste Gallagher seine Band auf.

Als Solokünstler blieb er nicht nur seinen musikalischen Vorlieben treu, sondern machte auch in derselben Bandkonstellation weiter: Gitarre, Bass, Schlagzeug. In den Siebziger nahm Rory Gallagher unermüdlich Platte um Platte auf. Zu den besseren gehört „Tattoo“. Da gibt es ein bisschen Blues, ein bisschen Country, saftigen Rock und mit „A Million Miles Away“ auch einen berührenden Song über das Gefühl der Isolation, während man von Menschen umgeben ist.

In der Rockszene war Rory Gallagher bekannt dafür, jeden unter den Tisch trinken zu können – der Alkohol war dann in den Neunzigern auch für seinen Abstieg verantwortlich und für seinen Tod. Rory Gallagher starb am 14. Juni 1995 in Alter von 47 Jahren.