Lou Reed, New Sensations, 1984

Produzent/ John Jansen, Lou Reed

Label/ RCA

Eigentlich war Lou Reed ein Schriftsteller, der die Kurzgeschichte in einem Song untergebracht hat. Er hat über Dinge erzählt, die mit ihm geschehen sind und die er erfahren hat. Auch mit „New Sensations“ hat Lou Reed für sich ein paar der wichtigsten Eindrücke im Moment festgehalten, welche da sind: Liebe zu Frauen („I love You Suzanne“), Eifersucht (“Endlessly Jealous“), Pechvögel („Turn To Me“, „My Friend George“). Am liebsten widmet sich Lou Reed seinem Motorrad („New Sensations“), von dessen Rücken er sich die Welt besieht.

Musikalisch bleibt das Ganze eben Lou Reed. Sein Gesang und seine Gitarre müssen einfach um Haaresbreite schief liegen. Der beste Beweis: „Turn To Me“. Das erste Drittel des Songs besteht nur aus Lou Reed plus Gitarre, bevor ein Chor den Einsatz der restlichen Musikinstrumente einleitet. Trotz Chor und Horn Section sind die Stücke fast sparsam gespielt. Ausser über Personen und Erlebnisse, erzählt Lou Reed hauptsächlich von sich. „Doing The Things That We Want To Do“ ist eine Widmung an alle, die ihn mögen und seine Vorliebe für Typen wie Travis Bickle aus „Taxi Driver“ mit ihm teilen – mit dem Kopf durch die Wand gehen. Den persönlichen Abschluss des Albums ist „Down At The Arcade“, ein mehr oder weniger selbstkritischer Song aus der „Weltmeisterposition“ eine alten Rock’n’Rollers: „Down at the arcade… Oh, I’m the Great Defender and I really think I’ve got it made…“

Maureen Tucker, Life in Exile After Abdication, 1989

Produzent/ Moe Tucker

Label/ Skidillion Watts

Vielleicht hat Lou Reed eh schon alles zu Moe Tucker gesagt, was es zu sagen gibt: „There are two kinds of drummers – Moe Tucker and everybody else.“ Womit gleich mal das Klischee, nachdem im Gefüge Band nach landläufiger Meinung das Schlagzeug (neben dem Bass) wohl am leichtesten zu ersetzen wäre, in Luft aufgelöst wird. Denken wir uns einfach die Beatles ohne Ringo Starr und wir landen etwa dort, was Velvet Underground ohne Moe Tucker gewesen wären.

Angeregt durch Bo Diddley, die Rolling Stones, Girlgroups und vorallem durch den aus Nigeria stammenden Trommler Babatunde Olatunji entwickelte Moe Tucker autodidaktisch ihren Stil. Das bedeutete: Keine Cymbals, keine Breaks, keine Wirbel und keine Rolls. Oder wie sie ihren Job bei den Velvet Underground einmal zusammenfasste: „Keep something steady, so the two lunatics (gemeint sind Lou Reed und John Cale) would have something to come back too“.

Auch auf ihrer Rückkehrplatte „Life in Exile After Abdication“ kann man hauptsächlich hören, wie herrlich Coolness ist, die sich nichts beweisen will, die einfach da ist wie ein Stein. Klar, dass Maureen Tucker nach Beendigung ihrer Tätigkeit bei Velvet Underground und nach fünf Kindern und einem Job an der Kasse im Supermarkt ihre Stücke immer auf der gleichen Höhe hält, immer im Takt, immer trocken, trotz der Stimme, die sich sofort in eine Girlgroup hineinfinden würde; minimal-swing. Wie beruhigend das ist. Acht-Minuten-Instrumental-Geschrummel, ein kleines Lied danach, winzig von der Jugend erzählend. „Work“, das Lied des arbeitenden Menschen, hier der arbeitenden Frau und Mutter; Rechte fordernd, aber niemals verzweifelt, direkt von der Basis. Abgehoben dagegen der mit Teenager-Stimme vorgetragene Leadbelly-Klassiker „Goodnight Irene“, eine lange Version „Pale Blue Eyes“, wie auch „Hey Mersh“ mit Reed selbst an der Gitarre, immer eine Spur nebenbei, doch mit einer Spur Ätherischem. Maureen Tuckers Album „Life in Exile After Abdication“ ist eine einzigartige Bereicherung.

Trio, Da Da Da, 1982

Text/Musik/ Stephan Remmler, Gert „Kralle“ Krawinkel

Produzent/ Klaus Voormann

Label/ Mercury

Ja, was soll ich sagen? Trio waren halt jedermanns persönliche Lieblingsschelme, weil sie anscheinend für jeden die Funktion erfüllten, den auf’s Korn zu nehmen, von dem man’s gerne möchte. Das Konzept von Trio war gut, überall und immer wirksam, ihre Musik intelligent gemacht. Sie reduzierten und verfremdeten und machten sich über den Rock’n’Roll lächerlich, indem sie ihn originaltreu spielten und im nächsten Moment einen schrecklich seichten Schlager anstimmten. Nie allerdings ohne Anspruch. Der Anspruch war Trio.

Einen grossen Hit hatten sie auch und der war „Da Da Da“ – „Was ist los mit dir mein Schatz? Aha. Geht es immer nur bergab? Aha. Geht nur das was du verstehst? Aha. Is this what you got to know? Love you do you didn’t show?“ – and as the refrain comes watch out for the english version…“Ich lieb‘ dich nicht, du liebst mich nicht. Ich lieb‘ dich nicht, du liebst mich nicht. Da Da Da“ – Natürlich ist das blöd, aber Trio machten subversive Unterhaltung für die Masse. Und das war gar nicht so einfach in Deutschland. Ich werde „Da Da Da“ kaum mehr auflegen, habe mich aber damals über den schrägen Scherz amüsiert. Gut, dass es Trio gab.

Peter Green, In the Skies, 1979

Produzent/ Peter Vernon-Kell

Label/ EMI

Eine mittlere Sensation war das schon für mich, als ich das blaue, aber grau verhangene Cover bei Musik Bestgen aus dem Regal zog: Peter Green, Mythos und einer meiner vielen Lieblingsgitarristen aus den 60er, hatte nach neun Jahren Abstinenz endlich wieder ein Platte gemacht. Zwar hatte er sich dafür einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht, denn supercoole Bluesgitarristen gab es Ende der 70er Jahre wie Sand am Meer. Fast jeder versuchte Mark Knopfler zu imitieren, der wiederum J. J. Cale und den frühen Carlos Santana zu kopieren.

Ich habe Leute gekannt, die hatten für Greens Laid-Back-Blues-Musik nur ein müdes Lächeln übrig. Sicherlich ist die Grundstimmung von „In The Skies“ eher kühl als unterhitzt. Auch wenn Peter Green auf „Slabo Day“ die Soloparts ganz Snowy White überlässt und nur den pulsierenden Rhythmus schrummt, gibt es hier wieder jene wahnsinnigen Sprünge, Phrasen, Melodien wie man sie aus „Albatros“ und „Then Play On“-Zeiten kennt. Die Songs haben entrückte bis tiefreligiöse Texte; dafür kommt in der Musik ein elegant-dezenter Schlagerschwung vor, der dem der Shadows an Pep um nichts nachsteht. „In the Skies“ ist ein schönes Album; einfach zum entspannen und zuhören, zumindest für solche Leute, die anstatt elektronischer Klangerzeuger lieber Gitarrenmusik hören, die nach Mensch riecht.

Graham Parker & The Rumour, Howlin Wind, 1976

Produzent/ Nick Lowe

Label/ Vertigo

„Howlin’ Wind“ war so ziemlich das Beste was neben Dr. Feelgood puncto Pub-Rock Ende der siebziger Jahre aus England herüberkam. Graham Parker zeigte hier allen Zweiflern, dass es tatsächlich noch geht, die Herzen von abgebrühten und abgestumpften Musikkonsumenten, wie meins wieder zum Schlagen zu bringen und emotionell Verschwommenes wieder aufzurühren, wie es in den frühen sechziger Jahren vielleicht die Kinks mit „You Really Got Me“ schafften oder später – und verfeinert – die Small Faces mit „Itchycoo Park“.

This wasn’t my first Parker and the Rumour record but like Fox said this music got to me first listen. They craft some cool music from their influences, R&B, rock n roll, soul etc. The music is akin to early Morrison, Springsteen, Southside Johnny, the Band,  They learned their craft playing gigs and they are hardened, tight players with a fantastic front man in Graham.

Ich stelle Graham Parker und seine exzellenten Musiker in eine Reihe mit den heutzutage doch recht selten gewordenen Leuten, bei deren Musik kein Bruch da ist zwischen Gefühl und Aussage, zwischen kommerzieller und künstlerischer Qualität, weil sie einfach Ausdruck einer Persönlichkeit ist, die sich durch eine ganz eigene Musik vermittelt, auch wenn die Formen nichts Neues sein mögen. „Nothin‘ Gonna Pull Us Apart“, „Gypsy Blood“, „You’ve Got To Be Kidding“ und „Hey Lord Don’t Ask Me Questions“ sind für mich die atmosphärisch dichtesten Titel auf dem Album.

„White Honey“ opens the record and it’s a real good feel on what GP is all about. „Red Hot Gypsy Blood“ is another highlight. It starts out with a ballad feel and ends up with Graham and the band building it into a soulful groove, You get a range from the softer stylings of ‚Between You and Me“ to the punchy more street sound of „Lady Doctor“. Add these to Fox’s tracks above and you get an album with no weak cuts. As Parker sings „Swing time is here children“.

Stimmt, CB! Das Album lässt keine schwachen Momente aufkommen, dafür sorgen schon die routinierten Profis von The Rumour, zu denen u.a. Brinsley Schwarz gehört. „Howlin’ Wind“ ist eine historische Rockplatte, auch wenn Graham Parker nie über den Status des Geheimtips herausgekommen ist.

Parker is no one trick pony. His music has got into me and is part of my regular music spins. I pull him and this album out a lot. Im with you on „historic record“. It is that for me. Good choice Fox!

Dieser Beitrag entstand im Dialog mit Cincinnati Babyhead

And All Because The Lady Loves, …Anything But A Soft Centre, 1988

Produzent/ John Sylvester

Label/ Paint It Red

Da liegt ein grosses graues Meer, kaum abzusehen mit dem Auge, bis zum Horizont, doch die Frauen, die davor sitzen und reden, die imaginieren sich all die Farben und Abstufungen rein. Mal Treffen und Reden kann so grausam oder so wundersam sein. Die beiden Frauen reden von allem „was sonst noch geschieht“, Gefühlsdiagnosen, Lieben, Lügen, Beziehungskram, Traurigkeit, Probleme. Die beiden Mädchen heissen Rachel Collins und Nicky Rushton und sie kommen aus irgendeiner Randgegend von Newcastle. Ihr Album „…Anything But A Soft Centre“ ist ganz sanft, ganz Nicht-Pop, aber auch nicht eine beliebige Folknummer; der doppelte Gesang ist eher von verwegener Trägheit, ihre Texte Frauen-Junk, Fem-Trash, von der sehr englischen Art, untertrieben, mit dieser gewissen Fadheit, vom Feinsten… Leider ist das Album kaum mehr greifbar.

Tom Waits, Heartattack and Vine, 1980

Produzent/ Bones Howe

Label/ Asylum

Tom Waits schreibt keine Musik, die einfach ist oder vordergründig oder leicht verständlich. Mit 30 Jahren hatte er genug Dreck und Abscheulichkeiten gesehen, um einen Song oder ein ganzes Album darüber zu schreiben, aber nicht so viel, dass er sich davon ferngehalten hätte.

Der Titelsong von „Heartattack and Vine“ ist eine karge, unbehagliche Komposition mit warmen, übersteuerten Gitarrentönen und Waits‘ heiserem Gesang. „Es gibt keinen Teufel“, mahnt er, „das ist Gott, wenn er betrunken ist.“ In Anspielung auf die Niederungen des Lebens in L.A. porträtiert Waits Menschen, die fehlerbehaftet sind, aber nicht ohne Aussicht auf Erlösung. „Wenn du wissen willst, wie Wahnsinn schmeckt, musst du dich hinten anstellen“, spottet er. „Wahrscheinlich siehst du jemanden, den du kennst.“

Es ist ein Drogensong, aber auch ein Song über Menschen, ein trostloses, aber irgendwie feierliches Bild eines Lebens in fröhlicher Verzweiflung. Waits klagte gegen Levi’s, die Screamin‘ Jay Hawkins‘ Version in einer Werbung verwenden wollten; die bittere Ironie ist ihm sicher nicht entgangen.

Syd Straw, War And Peace, 1996

Produzent/ Syd Straw

Label/ Capricorn Records

Die Karriere von Syd Straw verlief auf ziemlich krummen Wegen. Sehr begabt, von Grossen umschmeichelt, als Backingstimme auf deren Aufnahmen genutzt, in unzähligen Booklets dankend erwähnt – nur sie selbst bekam es irgendwie nicht so richtig auf die Strasse! Ihre Stimme ist spröde, seltsam uncharmant, ihre Kompositionen im Kleinen schräg, obwohl es doch nur Rockmusik ist, eigentlich gar nichts ambitioniertes, es klingt nur oft so ungeniessbar. Dabei hatte sich ihre alte Firma Virgin sogar Mühe mit Syd Straw gegeben und sie durfte für ihr erstes Album „Surprise“ alles einladen was Rang und Namen hat, von Michael Stipe bis Richard Thompson, von Greg Leisz bis Marc Ribot usw. Trotzdem wurde „Surprise“ ein Flop. Spröde Songs, spröde Stimme – unverkaufbar.

Dann ein neues Label, immer noch ein grosses, aber offensichtlich kleines Budget. Für die Stars reichte es diesmal nicht mehr. Also einfach eine Rockband ins Studio eingeladen. Und das ist genau das Reizvolle an diesem Album – Die Skeletons die hier den musikalischen Background abgeben sind ganz Abgehangene, uralte Füchse, die zeitlosen Rock’n’Roll spielen – und das bekommt „War And Peace“ gut! Die Platte ist aus einem Guss; Syd Straw hat auch alle Texte selbst geschrieben und die Songs produziert.

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Steve Earle, I Feel Alright, 1996

Produzent/ Ray Kennedy, Richard Bennett, Richard Dodd

Label/ Warner Bros.

Steve Earle kam gerade aus dem Gefängnis nach einer längeren Drogenphase und hatte einiges auf dem Herzen, was er unbedingt musikalisch sagen wollte. Dieser satte, abgezockte Gitarren-Sound, die teils grimmigen, teils sentimentalen Texte vermitteln eine unmittelbare Kraft – besser geht’s kaum. Man glaubt dem Ex-Junkie alles, sogar wenn er „I Feel Alright“ singt. Sein Countryrock ist wie ausgemergelt: kein Hall, kein Schnörkel. Kunst und Künstler sind eins, denn Earle hat viel durchgemacht. Nach dem Akustikalbum „Train A-Comin“ von 1995, das zum Bewegendsten seit Neil Youngs „Tonight’s The Night“ gehörte, hat er die Strassenseite gewechselt. Hier scheint die Sonne, doch Earle erinnert sich natürlich nur an den Schatten.

„Cocaine Cannot Kill My Pain“ heisst ein Lied, und eines nennt sich „The Unrepentant“, nach dem, der nichts bereut, und schliesslich taucht der Teufel zum Showdown persönlich auf: „You Got Your Pitchfork And I Got My Gun“. Einer wie Steve Earle muss die Drecksarbeit machen. „Wenn die Welt untergeht“, sagt Earle, „werden drei Dinge übrigbleiben: die Kakerlaken, Keith Richards und ich.“ Nicht die schlechteste Gesellschaft.

Steppenwolf, Born To Be Wild, 1968

Text/Musik/ Mars Bonfire

Produzent/ Gabriel Mekler

Label/ Dunhill

Kürzlich habe ich mir „Easy Rider“ wieder angesehen, die Geschichte dieser zwei Hippies, die sich 1969 auf ihren Harley-Davidsons auf der Suche nach Amerika machen. Henry Fonda, der schweigsam ist wie ein Cowboy und dessen Benzintank die amerikanische Flagge ziert, scheint den Traum nach dem mythischen Amerika zu haben. Der Film endet bekanntlich schlecht: Der Cowboy und der Indianer (Dennis Hopper) werden von Rednecks von ihren Eisenrössern geholt. Die beiden Amerikas entpuppen sich als unvereinbar.

Ein grosser Part im Film hat auch der Song „Born To Be Wild“ aus dem ersten Album von Steppenwolf und irgendwie sind Steppenwolf auch eine One-Hit-Wonder-Band, aber das nicht, weil sie schlechte Musiker sind oder weil das Material schlecht ist, sondern weil ein „Born To Be Wild“ als Vergleich einfach alles andere schlecht aussehen lässt und in den Schatten stellt. Dabei hat das Debütalbum von Steppenwolf auch, wie zum Beispiel mit „The Pusher“, andere grosse Songs. Steppenwolf und „Born To Wild“ sind ein Klassiker, ob man sie nun mag oder nicht.