The Who, Substitute, 1966

Text/Musik/ Pete Townshend

Produzent/ Pete Townshend

Label/ Polydor

Ein bisschen Beat-Musik, so sagte man, in Zeiten des „Beat-Clubs“, damals noch, aber diese drei Minuten haben mir etwas suggeriert, was ich nicht mehr missen wollte. „Substitute“, das war nicht nur ein schlichtes Liebesliedchen. Das war ein Song, der einem Gänsehaut über den Rücken jagte. „Substitute“, das war Revolte, Auflehnung gegen alles. „Substitute“, das heisst Ersatz. Und für mich als 12-Jähriger Schüler, war das Ersatz für das richtige Leben. Das eigentlich Leben ohne Ersatz sollte ja erst nach beginnen. Wir sehnten uns nach Real Life. Mit Lebensersatz hatte man uns lange genug abgespeist. Wir wollten Experimente machen, aber in der Gesellschaft, in der wir aufgewachsen waren, hiess es „Keine Experimente!“ Substitute. Der stampfende Rhythmus. das hektische Schlagzeug und das aufgeregte Gitarrenriff des Songs verlangten nach mehr.

Und es kam: die Stones mit „Jumpin’ Jack Flash“, Jimi Hendrix mit „ Purple Haze“ oder Cream mit „Strange Brew“. Jeder Song war mit einer ganz bestimmten Bedeutung verbunden. Und wenn ich heute „Substitute“ höre, dann ist es wieder da, dieses bestimmte Musikgefühl mit Gänsehauteffekt. Vieles von dem, was damals dachte und fühlte, wurde Wirklichkeit, aber da ist immer ein Rest Ersatz, und das wird auch so bleiben.

Tim Buckley, Dream Letter: Live in London 1968, 1990

Produzent/ Bill Inglot

Label/ Manifesto Records

Tim Buckley wäre mir wohl kaum gross in Erinnerung geblieben, wäre nicht 1990 unter dem Titel „Dream Letter“ der Mitschnitt eines Konzertes veröffentlicht worden, dass er 1968 in London gegeben hatte. Der Folkmusiker von der amerikanischen Westküste hatte seinerzeit gesungen wie kaum jemand sonst. Und man hätte es wissen können, wie die Wiederveröffentlichung seiner Studioalben anschliessend zeigte, Buckleys Musik erlebte in den frühen 90er Jahren eine Renaissance, es wurden Anthologien veröffentlicht und weitere Konzertmitschnitte; die kurze erfolgreiche Karriere seines ebenfalls früh verstorbenen Sohnes Jeff weckte auch das Interesse an Tim, dem Vater.

„Dream Letter“ ist ein Album, das ich häufig spät nachts hörte. Die Songs sind sparsam arrangiert, leicht fast schwebend, und trotzdem von beinahe unerträglicher Melancholie. Tagelang hatte ich dann noch seine Stimme im Ohr, wie sie „ Just like a buzzin‘ fly / I come into your life / Now I float away / Like honey in the sun / Was it right or wrong / I couldn’t sing that song anyway“ singt.

Eigentlich war Tim Buckley kein Folksänger sondern ein obsessiver Eklektizist, der alles verwendete, was ihn musikalisch beeindruckte und weiterzubringen schien: türkische Volks- und balinesische Tempelmusik, Geräuschkollagen, Funk, Chansons, Avantgarde, Blues, Karnevalsklänge. Der psychdelische Folkrock seiner ersten Platten war nur die Aneignung einer neuen, gerade entstehenden Spielweise. Buckleys Stimme umfasste vier Oktaven, er war ein Bariton und ein Tenor mit dem Volumen eines Opernsängers: ein Sänger, kein Dichter. Die Lieder waren für ihn nur das Medium für die höhere Wahrheit des Gesangs. Buckley wollte nicht nach Sternen navigieren, sondern sie, in einem heute fast altmodischen Sinne, erreichen. Diese Radikalität ruinierte sein Leben und die Karriere. Am 29. Juli 1975 starb Tim Buckley in Alter von 28 Jahren an einer Überdosis Heroin. Es war ein Versehen, er hatte das weisse Pulver für Koks gehalten, und eigentlich war er gerade clean. Er hatte keinen Plattenvertrag.

J. J. Cale, Call Me the Breeze, 1972

Text/Musik/ J. J. Cale

Produzent/ Audie Ashworth

Label/ Shelter Records

Es war 1996 und J. J. Cale trat mit seiner Band in der Eulachhalle in Winterthur auf. Obwohl ich es hätte wissen müssen, war ich von seinem Auftritt verblüfft. Der Mann aus Oklahoma rührte sich praktisch nicht, er sass einfach das ganze Konzert über nur da, manchmal stellte er irgendetwas an seinem Fusspedal um oder wippte leicht mit dem Takt, den Kopf hielt er meist über die Gitarre gebeugt, er sprach zwischen den Songs fast kein Wort, aber er wirkte nicht autistisch oder abgewandt, er war einfach cool. Man war expressiv, laut wild oder authentisch. J. J. Cale war cool, er war laid back. Und er hat den Pop-Haiku erfunden. Da ist eine Magie, die seine Musik und seine Songs ausstrahlen, die meist berühmter wurden, wenn andere sie spielten, wie „After Midnight“ oder „Cocaine“. Ein grosser Hit in seiner Einspielung war „Call Me the Breeze“: „They call me the breeze/ I keep blowing down the road/ They call me the breeze/ I keep blowing down the road/ I ain’t got me nobody/ I ain’t carrying me no load.“

Einfacher können Worte gar nicht sein, Cale macht auch in seinen nie sehr langen Songs nie viele Worte. Über sich selbst spricht er fast gar nicht, aber in seinen Songs, an denen er ewig herumfeilt und -bastelt, ist alles gesagt, über die Liebe, die Vergänglichkeit, den amerikanischen Süden, seine Lebenshaltung, über den Rausch, den Tod. Die Texte sind voller Ironie, trockener Hinterlist, auch wenn sie so schlicht, manchmal auch sehr melancholisch daherkommen. Die Magie kommt von ihrer Verknappung, der perfekten und doch zurückhaltenden Instrumentierung, dem grandiosen aber dezenten Gitarrenspiel. Wo andere dröhnen, deutet J. J. Cale an, wo andere brüllen, flüstert er, wenn anderswo gleichsam zur grossen Rockoper und -symphonie ausgeholt wird, wenn lärmender Brei und endlose Soli auf einen niederprasseln, wird bei Cale ein zwischen Country, Folk, Blues und Rock angesiedelter, ganz unverwechselbarer Sound geboten, der sich aus der Stille hebt und in Rollen kommt, aber einen nie wie ein Lawine überrollt, sondern mitnimmt, als würde man in einem alten Amischlitten durch den Süden cruisen.

Bob Dylan, Maggie’s Farm, 1965

Text/Musik/ Bob Dylan

Produzent/ Tom Wilson

Label/ Columbia

Am 24. Juli 1965 stakste ein chaplinesker junger Mann in schwarzer Kluft, mit gepunktetem Hemd und Sonnenbrille über das Gelände des Newport Folk Festival auf Rhode Island. Wie anders hatte der 24-Jährige ein Jahr zuvor gewirkt, als er am gleichen Ort in Jeans und Arbeiterhemd den Song „Mr. Tambourine Man“ vorstellte! Nun aber war er nicht mehr mit Klampfe und Mundharmonika zugange, sondern mit den Kumpels von der Paul Butterfield Blues Band.

Man hatte kurz zuvor ein bisschen geprobt. Für mehr als drei Stücke hatte es nicht gereicht, dafür für jede Menge Speed und verwandte Stoffe. Barry und Michael hatten schon ausgiebig gekotzt. „Play Fuckin’ Loud!“ hiess nun die Devise. Hinter der Bühne schimpfte Pete Seeger herum, man müsse die brutalen Nichtskönner vom Mischpult verjagen. Nach „Maggie’s Farm“, „Like a Rolling Stone“ und „It Takes a Lot to Laugh“ war der Spuk vorüber. Der Sänger kam noch für zwei Solo- Zugaben zurück. Das Publikum aber hatte gerade einem Ereignis beigewohnt, das es später als Wendemarke der Rockgeschichte deuten sollte.

Zunächst erzählte jeder die Geschichte anders. Sie hatten gebuht, weil der Sound so miserabel gewesen sei, sagten die einen. Mit dem zugedröhnten Haufen sei einfach nichts anzufangen gewesen, meinten die andern. Wieder andere fühlten sich düpiert, weil der Star des Festivals sie mit diesem schrägen Kurzauftritt abgespeist hatte. Und dann gab es auch einige, die meinten, der Barde habe seine Anhängerschaft, die rotgrüne Folkbewegung, verraten, um sich den Pop-Kids anzudienen. Erst allmählich fand das Stimmengewirr zum Cantus firmus zusammen: Bob Dylan habe in Newport unvermittelt zur elektrischen Gitarre gegriffen, den Folkrock erfunden und ihn gegen 15 000 buhende Zuschauer durchgesetzt.

Geschichte ist, was sich als beste Geschichte durchsetzt. Was wirkt, wird Wirklichkeit.

John Mayall Blues Breakers with Eric Clapton, 1966

Produzent/ Mike Vernon

Label/ Deram

Zusammen mit Alexis Korner gehörte John Mayall zu den wichtigsten Figuren in der Geschichte des britischen Blues-Booms der 60er Jahre. Während Korners Einfluss auf die Londoner Clubszene beschränkt blieb, wo sich die Rolling Stones 1962 zusammenfanden, war Mayall über Jahrzehnte hinweg ein Talentspäher, der einige der bekanntesten Bluesmusikern Grossbritanniens zu Prominenz verhalf. Eric Clapton, Jack Bruce, Peter Green, Mick Taylor, Aynsley Dunbar und Mick Fleetwood waren nur einige der Musikgrössen, die bei Mayall ihre Passion für den Blues ohne Kompromisse an den kommerziellen Erfolg auskosten durften. So wurden in den Rängen von Mayalls Begleitband Blues Breakers Freundschaften und Allianzen geschmiedet, die zur Gründung der späteren Stadionbands Cream und Fleetwood Mac führten. Womöglich war die Vision des störrischen Sängers, Gitarristen, Keyboarders und Mundharmonikaspielers viel weiter gefasst als jene Korners, weil Mayall nicht aus der britischen Musikmetropole, sondern aus dem Norden Englands stammte.

Ab den 70er Jahren lebte John Mayall im Grossraum Los Angeles, bis zu seinem Tod am 22. Juli 2024. Obwohl er bis ins hohe Alter häufig auf Tournee ging und dabei oft auf die Unterstützung durch seine alten Weggefährten zählen konnte, beruht sein Renommee auf einer einzigen LP. Das sogenannte Beano-Album, das in Wirklichkeit „Blues Breakers“ heisst, hat seit der Erstveröffentlichung im Jahr 1966 nichts von seiner musikalischen Sprengkraft verloren. Wer etwas über den britischen Blues erfahren will, braucht nur das Beano-Album zu hören.

Nancy Sinatra, These Boots Are Made for Walkin’, 1965

Text/Musik/ Lee Hazlewood

Produzent/ Lee Hazlewood

Label/ Reprise

Nancy Sinatras „These Boots Are Made for Walkin’“ nahm international die ersten Plätze ein. Eigentlich hatte Lee Hazlewood den Song für sich selbst geschrieben, aber Nancy bestand einfach darauf ihn zu singen. Woraufhin Lee ihr riet, das Ding dann auch nicht mit gewohnt hoher Kopfstimme, sondern eher aus Brust und Bauch heraus zu singen. So bekam das Lied, ursprünglich ein Country-Macho, einen feministischen, ja dezent sadistischen Unterton, und Nancys Image, einst ganz Daddy’s Little Girl, wurde, sowohl auf Platten wie im Film, durch eine fordernde Hooker- bzw. Bikerin-Dimension, zum reizvoll ambivalenten Wackelbild erweitert.

Abertausende haben sich bis heute die Zähne daran ausgebissen, ein Cover dieses Meilensteins aufzulegen – es geht nicht. Nancy Sinatras Erfolgsgeschichte bestand neben Lee Hazlewoods raffinierter Produktions-Regie, nicht zuletzt auch in den zwischen Surf und Country pendelnden, leicht hörbaren, aber durchaus funky Arrangements des 12-String-Gitarristen Billy Strange. 1966 erschien dann auch Nancys erstes Album, selbstredend „Boots“ betitelt, die Künstlerin posiert in roten solchen auf dem Cover.

The Lovin’ Spoonful, Summer in the City, 1966

Text/Musik/ John Sebastian, Mark Sebastian, Steve Boone

Produzent/ Erik Jacobsen

Label/ Kama Sutra

Daaa Bammm, Daaa Bammm, Daaa Bammm, mit drei gnadenlosen Schlägen begann der Sommer 1966. Die Lovin’ Spoonful hatten Platz 1 der Charts in den USA und eroberten nun England. Mit „Do You Believe in Magic“, „Daydream Believer“ oder „Nashville Cats“ waren sie 1965 in den Phalanx der englischen Bands eingedrungen mit ihrer Mischung aus Rock’n’Roll, Folk Music und Country. Für Gesang und Mundharmonika war der nickelbebrillte John Sebastian zuständig, der seine Karriere in Greenwich Village in New York, dem Ostküsten-Flower-Power-Mekka, begann. „Summer in the City“ war harter, guter Beat und hatte mit dem Flower-Power-Gesülze nichts zu tun.

Mitte der 1960er hörte ich regelmässig Radio Caroline, denn die spielten die Musik, die ich hören wollte, brachten die neusten Scheiben, dazu Gespräche mit den Bands. Die Lovin’ Spoonful hatten sich in der englischen Hitparade etabliert. „Summer in the City“ war der Sommerhit 1966. Es passte alles. Noch heute verkörpert der Song für mich das Lebensgefühl einer bestimmten Zeit und vermittelt die Stimmung und den Klang der Stadt im Sommer.

Lone Justice, 1985

Produzent/ Jimmy Iovine

Label/ Geffen

Kürzlich erinnerte ich mich mal wieder an die 80er-Gitarrenpop- und Psychedelic-Bands des US-Südwestens. An die Zeit von Cow-Punk und Cow-Pop. An Gun Club, Green On Red, Long Ryders, Blood On The Saddle und natürlich an Maria McKee und ihre Lone Justice, die damals für Alternative Country und Cow-Punk mitverantwortlich waren. Erinnert sei vorallem an das selbstbetitelte Debüt von 1985.

Natürlich fragt man sich, warum das Album fast durchweg nicht wahrgenommen wurde. Denn was hier geboten wird, ist Gitarrenpop vom Feinsten, ab und an mit Country-, Folk- und Gospel-Einlagen. Nichts wirklich Aussergewöhnliches, aber auf hohem musikalischem Niveau. Und mit Maria McKee hatte die Band eine Frontfrau, die nicht nur gut aussah und eine glasklare Stimme hatte, sondern auch tolle Songs schreiben konnte. Am besten von diesem Album gefallen mir „Ways To Be Wicked“ (geschrieben von Tom Petty & Mike Campbell von den Heartbreakers) und „Sweet Sweet Baby“, aber auch Songs wie das beschwingte „After The Flood“, das eher sakrale „You Are The Light“ oder das poppig-schmissige „Wait Till We Get Home“ sind weitere Höhepunkte. Insgesamt ein famoses Album. Einziger Minuspunkt: Mit 30 Minuten doch recht kurz.

Ringo Starr, Look Up, 2025

Produzent/ T-Bone Burnett

Label/ Universal Music Group

Am 7. Juli feiert Ringo Starr seinen 85. Geburtstag. Für ihn noch lange kein Grund, sich aufs Altenteil zu setzen. Was sich nur schon an der Tatsache ablesen lässt, dass der Ex-Beatle in diesem Jahrhundert – je nach Zählweise – bereits neun Studiowerke veröffentlicht hat.

Auf „Look Up“ begnügte er sich für einmal nicht damit, einige launige Tracks mit Promikumpels wie Joe Walsh, Dave Stuart oder Steve Lukather einzuspielen. Die elf Lieder sind vielmehr eine Rückbesinnung auf Ringos alte Stärke: Country. Schliesslich durfte er sich bereits 1965 mit einem Cover von Buck Owens’ „Act Naturally“ beweisen. Produziert von T-Bone Burnett – und natürlich with a little help from his friends wie Larkin Poe oder Alison Krauss – präsentiert Ringo eine ebenso charmante wie altersmilde Liedkollektion. In „I Live For Your Love“ beschwört er die Liebe zu seiner Frau – „til the end of times“, derweil er in „Can You Hear Me Call“ gemeinsam mit Molly Tuttle dem Sound der Appalachen huldigt. Und wie es sich für den Mann aus Liverpool gehört, kommt mit dem anschliessenden „Thankful“ auch ein bisschen Peace & Love vor. Das Resultat ist kein musikalisches Meisterwerk, klingt aber enorm warm, organisch und lebenserfahren.

Black Sabbath, Paranoid, 1970

Text/ Musik/ Black Sabbath

Produzent/ Rodger Bain

Label/ Vertigo

Die Langspielplatte habe ich mir damals nicht gekauft, weil ich mich beim Anhören zu langweilen begann. Aber die Single gleichen Titels ist wirklich so etwas wie ein „Minutenkunstwerk“. In 2 Komma 48 (Version 2009/Remaster) wird da „durchgearbeitet“. Raw-rough. Ungeschlachtet.

„Paranoid“ demonstriert, was ein Stück ist, das nie geboren ward. Der Plan mickrig, die Ausführung gigantisch dillettantisch, das Bluesschema auf den toten Hund gebracht; der Sound breiig und verquallt. Black Sabbath ebneten für Punk und Grunge den Weg zum planen Gekloppe, darin etwaige „Botschaften“ und das Zelebrieren von Schwarzer Messen. Ihre Musik war nie sonderlich ideenreich, was ja kein Makel sein muss, aber zuweilen nervt. Trotzdem geniessen sie bis heute als Kabaretttruppe gerechtes Ansehen, was nicht zuletzt an Ozzy, the Woozy Wizzard liegt. Den schmeisst niemand um, senil und sicher wie eh und je leitet er die muffige Stopselrock beherrschende Combo, während er über seinen einzigen und wahren Rockwitz unaufhörlich lacht –  doch nun ist damit Schluss: Ozzy und seine Jungs spielen am 5. Juli 2025 ein letztes Konzert in ihrer Heimatstadt Birmingham.