John Lee Hooker, Tupelo Blues, 1993

Text/Musik/ John Lee Hooker

Produzent/ Roy Rogers

Label/ Point Blank

In dem Song „Tupelo“ deutet John Lee Hooker an, wie die Bevölkerung auf die Katastrophe reagiert. Was die Menschen dabei empfinden, erfährt man nicht, der Blick gleitet aussen ab. Die Katastrophe wird nicht inszeniert, nur zur Kenntnis genommen. Die Handlung scheint von Ergebenheit geprägt; der Erzähler schickt sich ins Unabänderliche. Nur an einer Stelle begehrt er auf, als er die Schreie der Frauen und Kinder hört und Gott um Hilfe ruft. Aber auch hier deutet die Wiederholung an, dass der Sänger sich wieder in der Musik hat fallen lassen. Der Rythmus bedroht ihn nicht; er ist genauso unabwendbar, wie die Ereignisse, die beschrieben werden. Der Blues ist Trost für das, wovon er berichten muss.

Und da ist da noch etwas anderes. In einer Live-Version von „Tupelo“ weist Hooker auf Elvis Presley hin; beschwört die Geburt des Rock’n’Roll, symbolisiert in der Geburt Elvis Presleys, der die Verbindung von Blues und Country nicht nur vollzog, sondern auch damit berühmt wurde.

Hooker zelebriert diese Geburt als Offenbarung; gegen Ende des Songs sagt er mit nachlässiger, aber klar abgehobener Sprechstimme: „There Elvis was born. Elvis Presley. One of the greatest people ever born. The Rock’n’Roll king. That was my home too. Right down in Clarksdale. Dann folgen die letzen Zeilen, wie um den Verweis zu kaschieren: „Tupelo is gone/ Tupelo is gone/ Got destroyed. By the rain and the wind and water“.

John Lee Hooker, Boom Boom, 1961

Text/Musik/ John Lee Hooker

Produzent/ Calvin Carter

Label/ Vee-Jay

John Lee Hooker starb am 21. Juni 2001 im Alter von 83 Jahren. Er war das letzte lebende Fossil des archaischen Blues. Er war der Meister der Einakkord-Gitarre, des rhythmisch stampfenden Begleitfusses und der unglaublich seltsamer Verstimmungen. Zudem war er einer der Prototypen des individualisierten modernen Blues, der einzige, der den Spagat zwischen Tradition und Moderne wirklich schaffte, einer, der sogar in eine Klamotte wie „Blues Brothers“ für ein paar Sekunden Bluesrealität brachte, zu Zeiten ein dämonischer Genius, oft aber auch der Heiler für die Boogie-Kinder.

Bluespuristen hassten Hooker für das, was er ihrer Musik antat. „Das ist keine Musik. Das sind nur einzelne Noten“, meinte etwa Hayes McMullen. Und Paul Oliver hat in seinem Standardwerk „The Story of Blues“ kaum zehn Zeilen für Hooker übrig. Richtig: John Lee Hooker kümmerte sich niemals um das berühmte Bluesschema. Aber es klingt immer nach Blues. Seine Texte reimen sich selten. Aber sie klingen immer wie gut gereimt. Seine Begleitbands verzweifelten regelmässig, wenn sie mit Hooker spielen mussten, weil er weder Tonart noch Taktschema beachtete. Aber mit einzelnen Musikern wie Eddie Kirkland, Eddie Burns oder Eddie Taylor gibt es Live-Aufnahmen und Studiosessions, die von traumwandlerischem Verständnis zeugen. Wer sich das Vergnügen leisten will, den gleichen Song in verschiedenen Aufnahmen zu hören, wird nie eine identische, immer eine veränderte, eine neuerfundene Version finden. Und um die kurze Analyse von John Lee Hookers Besonderheiten abzurunden, ein Zitat aus Charles Shaar Murrays Biographie „Boogie Man – The Adventures of John Lee Hooker in the American Twentieth Century“: „Er hämmert diese dissonanten Klänge auf seiner Gitarre, dass einem die Nervenenden entzünden, und dann macht er Pausen, Pausen zwischen einzelnen Noten, die so lang und so unberechenbar sind, dass noch jeder Möchtegern-Imitator darüber die Nerven verloren hat.“