Jim Jarmusch, Down by Law, 1986

Regie/ Jim Jarmusch

Produktion/ Alan Kleinberg

Label/ Island Pictures

Die Eröffnungssequenz mit der Kamera in einer endlosen Fahrt durch New Orleans habe ich bei dem Tom Waits Song „Jockey Full Of Bourbon“ bereits erwähnt. Dann werden wir Zeuge, wie die wunderbare Laurette (Ellen Barkin), in ­Negligé und wirrer, weissblonder Haar­spray-Mähne weinend die ganze Plattensammlung, Lebenswerk des arbeitslosen ­Radio-Discjockeys Zack (Tom Waits) aus dem Fenster schmeisst. Zack lässt es geschehen, sitzt tatenlos auf dem Bett, bis Laurette seine Lieblingslederstiefel packt – da, wir ahnen es, ist die Liebe vorbei! Damit fängt der Film aber erst richtig an: Gemeinsam mit dem obercoolen Zuhälter Jack (John Lurie) und dem italienischen ­Lebenskünstler Roberto (Roberto Benigni) landet Zack in einer Gefängniszelle. Zuerst gehen die drei ungleichen Ganoven ­einander gehörig auf den Wecker. Bis zu dem Zeitpunkt, als Roberto, der sich zwar anglophil „Bob“ nennt, aber kaum ein Wort Englisch spricht, die Lethargie seiner Genossen mit einem alten Schlager durchbricht.

„I scream, you scream, we all scream for ice cream“, einer nach dem anderen stimmt mit ein, bis die drei in einem durch­geknalltem Indianertanz ihre Zelle auf den Kopf stellen. Das ist der Anfang einer wunderbaren Freundschaft. Bald darauf brechen die drei aus dem Gefängnis aus, brechen auf, in eine ungewisse ­Zukunft – frei nach dem Vorbild der Holly­­wood­-Filme, die Roberto gesehen hat, getrieben von der Gewissheit: Es kann nur besser werden. Verfolgt von Gendarmen und Gesetz schlagen sie sich durchs Sumpfland und finden in der Einöde unverhofft das Glück, in Form einer rüstig-rustikalen Wirtin (Nicoletta Braschi).

Dieser Schwarzweiss-Streifen, diese Gangster­ballade, dieser postmoderne Film Noir war für mich 1986 ein Glücksfall. Auch heute bleibt „Down by Law“ für mich eine von diesen ewigen Filmperlen, die ich mir immer wieder ansehen kann, sie hat nicht nur die Einsicht, was ein guter Film nicht braucht ( Animationen, Explosionen, Farbe), sondern auch der unsterbliche Satz von Roberto Benigni, Quintessenz aller ­Tragikomödien, der damals genauso zutraf wie heute: „It is a sad and beautiful world.“

Elvis Presley, Mystery Train, 1955 (Mystery Train, 1989)

Text/Musik/ Junior Parker, Sam Phillips

Produzent/ Sam Phillips

Label/ Sun Records

Bereits dem Titel lässt sich entnehmen, dass der Film „Mystery Train“ von Jim Jarmusch eine Hommage an die Rock-’n‘-Roll-Musik beinhaltet, denn „Mystery Train“ heisst auch ein Song von Elvis Presley. Der gleichnamige Song eröffnet den Film und Elvis bleibt über die gesamte Erzählung hinweg ein zentrales Thema.

In drei Episoden schildert der Film das Alltagsleben völlig unterschiedlicher Individuen. Der Handlungsort aller drei Episoden ist Memphis, die Heimatstadt von Elvis Presley. Die erste Episode erzählt von einem jungen japanischen Liebespaar, welches als grosse Rock-’n‘-Roll-Fans Graceland und die Sun Studios besuchen wollen. Die zweite Episode handelt von einer verwitweten Italienerin, die allerhand eigenartige Begegnungen macht, unter anderem mit Elvis Presleys Geist. In der letzten Episode dreht sich alles um die Probleme von Johnny, der den Spitznamen Elvis trägt. Er wurde von seiner Freundin verlassen, hat seinen Job verloren und gerät mit seinen Freunden in noch grössere Schwierigkeiten.

Jarmuschs Hingabe zur Rock-’n‘-Roll-Musik äussert sich im Film neben dem allgegenwärtigen Elvis Presley auch im Soundtrack, welcher mehrere Rock-’n‘-Roll-Klassiker aufweist, darunter Songs von Otis Redding, Rufus Thomas und natürlich auch Elvis. Neben Elvis‘ Version des Songs „Mystery Train“ ist auch jene von Blues-Sänger Junior Parker zu hören, welche zwei Jahre zuvor erschienen ist. Zudem finden sich in der Besetzung des Films Grössen der Rockmusik wieder. Joe Strummer, Frontmann der Punkband The Clash, Blues-Legende Screamin‘ Jay Hawkins, Rufus Thomas und Tom Waits haben Auftritte in Mystery Train.

 

 

Ein später Dezemberabend in Bern. Keine versöhnlichen Verszeilen zum Jahresende, kaum erbauliche Lyrik in Zeiten der Pandemie, stattdessen bloss die täglich kommunizierten Fallzahlen und die Angst in den Gesichtern, die hinter den Masken verschwunden sind. Am Eingang zum nächsten Jahr stehen Milliarden von Impfdosen bereit – ein globales Heilsversprechen, das sich hoffentlich für möglichst viele Menschen bald einlöst. Mehr bleibt uns nicht. Nicht ganz. Immerhin haben wir die Musik, und die bringt uns auch durch düstere Zeiten. Alben wie „The Neighborhood“ (Los Lobos), „Naturally“ ( J. J. Cale), „Innervisions“ (Stevie Wonder) oder „Boots No.2“ (Gillian Welch) versetzen uns in einen Zustand der Zeitlosigkeit, in dem Träume in jede Richtung der Zeitachse möglich sind. Dazu ein Glas Rioja und ein Teller Risotto Milanese – und alles wird wieder erträglich.

Ich bedanke mich bei allen, die diesen kleinen Musikblog abonniert haben, besonders aber bei den Leuten, die den einzelnen Beiträgen Ihre Aufmerksamkeit in Form von Kommentaren entgegenbringen, und die sich auch von persönlichen Geschmacksaussagen nicht schrecken und manchmal sogar überzeugen lassen. Was mich fesselt und was der Musik ihre menschliche Wärme und Bedeutung gibt, sind auch die Geschichten, die sich um sie ranken. Diese fehlen bei vielen seelenlosen und im Algorithmus entworfenen Produkten der Musikindustrie, und sie werden naturgemäss auch den künstlich erzeugten Liedern fehlen. Denn der Mensch ist und bleibt ein Wesen, das von Geschichten lebt, egal ob sie in Bildern oder in Worten erzählt werden.

Bleiben wir antizyklisch und beenden das Jahr, wie es sich gehört. Mit Austern und Champagner. Oder eben mit Dosenbier. Knack. Zisch.

 

A late December evening in Bern. No conciliatory verses at the end of the year, hardly any uplifting poetry in times of pandemic, just the daily communicated case numbers and fear in the faces behind the masks. For next year are billions of vaccination doses ready – a global promise of salvation and we hope it will be for so many people as possible. We don’t have more. Not quite. After all, we have the music, she gets us through dark times. Albums like “The Neighborhood” (Los Lobos), “Naurally” ( J. J. Cale), “Innervisions” (Stevie Wonder) or “Boots No.2” (Gillian Welch) can put us in a timelessness state where dreams in every direction are possible. Add a glass of redwine and a good meal – and everything becomes bearable again.

I say thanks to everyone who follows this little music blog, especially the people who pay attention to the individual posts in form of comments, and who are not frightened by personal statements of taste. What fascinates me and what gives the music its warmth and meaning are also the stories that surround it. These are missing in many soulless and algorithm-designed products of the music industry, and they will naturally also be missing in artificially produced songs. Because man is and remains a being that lives from stories, regardless of whether they are told in pictures or in words.

Let’s stay counter-cyclical and end the year the way as it should be. With oysters and champagne. Or with a can of beer. Crack. Hiss.

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Dave Edmunds, Get It, 1977

Produzent/ Dave Edmunds for Rockpile Productions

Label/ Swan Song Records

Dave Edmunds hatte in den 60er Jahren mit dem Blues-Rock Trio Love Sculpture zwei famose Alben veröffentlicht ( „Blues Helping“, 1968, „Forms & Feelings“, 1969) und sich als Gitarren-Virtuose einen Namen gemacht. Aber dann kam 1972 das Solo-Album „Rockpile“, auf dem er seiner Liebe zum klassischen Rock’n’Roll frönte – und bei dieser Liebe blieb er dann auch. Dave Edmunds war befreundet mit Nick Lowe, und so holte er sich dessen Hilfe für das Album „Get It“. Edmunds Einflüsse sind hier natürlich sofort erkennbar: Die Beatles,  die Everly Brothers, Rock’n’Roll, Country – ein Gebräu das man heute, ohne die dereinst üblichen Ressentiments gegen alles, was vor Punk geschah, getrost unter das grosse Zeltdach Power Pop stellen kann.

Die Tatsache, dass „Get It“ auf Led Zeppelin’s Swan Song Label veröffentlicht wurde, zeigt, wie ehrenhaft deren Konzept war, es zeigt aber auch, dass die Musik hier bestimmt kein Punk sondern klassischer Rock (’n’Roll) ist. Mit Detail-Versessenheit, Kompetenz, und Lust eingespielt. Ob beim Rock’n’Roll von „Let’s Talk About Us“ von „Fever“-Komponist Otis Blackwell, bei Hank Williams Country-Klassiker „Hey Good Lookin’“ oder bei Graham Parker’s „Back to School Days“ – Alles klingt klassisch und zugleich frisch und zeitgemäss. Man hört hier auch, wie Nick Lowe, Dave Edmunds, Drummer Tery Williams und Keyboarder Bob Williams als Rockpile zur eingespielten Band werden, die aber aus rechtlichen Gründen kein Album einspielen durfte. Ein Jammer!