The Who, Substitute, 1966

Text/Musik/ Pete Townshend

Produzent/ Pete Townshend

Label/ Polydor

Ein bisschen Beat-Musik, so sagte man, in Zeiten des „Beat-Clubs“, damals noch, aber diese drei Minuten haben mir etwas suggeriert, was ich nicht mehr missen wollte. „Substitute“, das war nicht nur ein schlichtes Liebesliedchen. Das war ein Song, der einem Gänsehaut über den Rücken jagte. „Substitute“, das war Revolte, Auflehnung gegen alles. „Substitute“, das heisst Ersatz. Und für mich als 12-Jähriger Schüler, war das Ersatz für das richtige Leben. Das eigentlich Leben ohne Ersatz sollte ja erst nach beginnen. Wir sehnten uns nach Real Life. Mit Lebensersatz hatte man uns lange genug abgespeist. Wir wollten Experimente machen, aber in der Gesellschaft, in der wir aufgewachsen waren, hiess es „Keine Experimente!“ Substitute. Der stampfende Rhythmus. das hektische Schlagzeug und das aufgeregte Gitarrenriff des Songs verlangten nach mehr.

Und es kam: die Stones mit „Jumpin’ Jack Flash“, Jimi Hendrix mit „ Purple Haze“ oder Cream mit „Strange Brew“. Jeder Song war mit einer ganz bestimmten Bedeutung verbunden. Und wenn ich heute „Substitute“ höre, dann ist es wieder da, dieses bestimmte Musikgefühl mit Gänsehauteffekt. Vieles von dem, was damals dachte und fühlte, wurde Wirklichkeit, aber da ist immer ein Rest Ersatz, und das wird auch so bleiben.

The Who, My Generation, 1965

Text/Musik/ Pete Townshend

Produzent/ Shel Talmy

Label/ Brunswick

Am 19. Mai 2025 feiert Pete Townshend seinen 80. Geburtstag. Mit dem Älterwerden setzt sich der Gitarrist und Songwriter von The Who schon lange auseinander. Bereits in seiner Jugend hatte er schon Bonmots drauf. Eines von ihnen sollte seine Band The Who berühmt machen. 1965, da war der schüchterne Gitarrist knapp 20 Jahre alt, schrieb Townshend die schockierende Zeile „hope I die before I get old“ – und formulierte seine Komposition „My Generation“ als Kampfansage einer selbstzerstörerischen Jugend.

Obwohl The Who damals mit der britischen Jugendkultur der Mods assoziiert wurden – Parka tragende und Motorroller fahrende Kids, die den tristen Arbeiteralltag mit offensivem Hedonismus kompensierten – berührte der Song junge Menschen auf der ganzen Welt. Herablassende Erwachsene und ihr mangelndes Verständnis für den Erlebnisdrang der Jugend, das entsprach dem Lebensgefühl einer „Erste-Welt“-Generation im Aufbruch. „’My Generation‘ war als Schrei nach einem Leben ohne Militarismus, Hierarchiegläubigkeit und religiöse Konformität gedacht“, sagte Townshend 1994 in einem Interview. „Als ich schrieb, dass ich lieber sterben als alt werden wollte, meinte ich damit, dass ich nie so werden wollte wie die Menschen, die so grauenvolle Dinge wie den zweiten Weltkrieg zu verantworten hatten.“

Die Presse hatte Townshwend schon früher an „My Generation“ aufgehängt. Zu Unrecht. Der Humanist, Kolumnist, Buchautor und Polit-Aktivist mit einem geschätzten Vermögen von 150 Millionen Dollar mag 80 Jahre alt geworden sein, und man sieht ihm seinen langjährigen Alkohol- und Drogenkonsum deutlich an. Dennoch wirkt er geistig nicht alt, eher erwachsen. Denn Townshend ist ein kluger, wacher Zeitzeuge geblieben.

„Heute leben wir wie zu Zeiten der Kuba-Krise 1963 wieder mit der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, durch einen russischen Atomangriff ausgelöscht zu werden“, sagte Townshend jüngst an der University of West London, wo er zwischen 1961 und 1964 bildende Kunst studiert hatte.

The Who, The Quiet One, 1981

Text/ Musik/ John Entwistle

Produzent/ Bill Szymczyk

Label/ Polydor

John Entwistle war zwar der technisch versierteste Musiker der Band, hatte jedoch als Bassist nur wenig Möglichkeiten, seine Qualitäten zu zeigen. Und die Massen, die die (bescheidenen) Gitarrensoli von Townshend bejubelten, hätten kaum eine Chance gehabt zu erkennen, wie wichtig die intelligente Musikalität in den Basslinien war, mit denen „The Ox“, so sein Spitzname, das Ganze vom Mittelfeld aus zusammenhielt.

Irgendwann schrieb der gute John dann auch ein gar nicht so übles Lied, das er „The Quiet One“ nannte. Darin hören wir den Stillen, der ja mitunter auch für schüchtern gehalten wird, in einer Stellungsnahme zu seiner Position. Die wesentliche Aussage ist, dass er zwar vielleicht nicht gesprächig ist und scheinbar im eigenen Saft schmort. Aber den quiet one legst du nicht herein, er sieht deinem Blick die Lüge an, und besser ist es, du passt auf, denn stille Wasser können auch verdammt schnell fliessen und durchaus gefährlich werden.

The Who, I Can’t Explain, 1965

Text/Musik/ Pete Townshend

Produzent/ Shel Talmy

Label/ Brunswick

„I Can’t Explain“ aus dem Jahre 1965 ist eine Hymne halbstarker Verwirrung in zwei Minuten und drei Sekunden. Nach dem dreiteiligen Kaskadenriff auf der E-Gitarre, in das Bass und Schlagzeug einfallen, definiert Sänger Roger Daltrey in vier Zeilen das Thema, das von den Backing Vocals mit dem Songtitel wie eine Schlagzeile kommentiert wird: „Got a feeling inside (Can’t explain)/ It’s a certain kind (Can’t explain)/ I feel hot and cold (Can’t explain)/ Yeah, down in my soul, yeah (Can’t explain)“.

Der Sänger ist kaum zu verstehen, er redet wie unter Valium, im Kontrast zur amphetaminen Begleitung seiner Kollegen. Die Mixtur entspricht dem Tablettencocktail von Uppers and Downers, mit dem die britischen Mods sich die Nacht zum Tag machten und umgekehrt. Das Unerklärliche wird unverständlich, anders gesagt: Das Erzählte bildet sich im Gesungenen ab, oder nochmals anders, in der Paraphrasierung Ludwig Wittgensteins: Wovon der Sänger nicht reden kann, darauf weist die Musik hin.

Die Aussage des Songs „I Can’t Explain“ bleibt also für sich gesehen ambivalent. Der Erzähler weiss nicht, was ihm geschieht oder er will nicht sagen, was mit ihm geschehen ist. Statt einer Antwort kommt dieses hektische Gitarrensolo in der Art des frühen Bo Diddley. Worauf der Sänger zurückkommt: I said I can’t explain, yeah/ You drive me out of my mind/ Yeah, I’m the worrying kind/ babe/ I said I can’t explain“.

The Who, My Generation, 1965

Text/Musik/ Pete Townshend

Produzent/ Shel Talmy

Label/ Brunswick

K-k-k-kann man auch im Alter noch hören. Ein Rockklassiker, den jeder kennt – 1965 provoziert die junge Londoner Band The Who mit „My Generation“ gleich auf drei Ebenen: Der Text ist eine Absage ans erwachsene Establishment, Roger Daltreys Stottergesang bricht mit den Gesangskonventionen, und das Gitarrenfeedback am Ende des Songs wird zunächst irritiert als Produktionsfehler gedeutet. Heute hat das alles Legendenstatus: Der Vers „Hope I die before I get old“ gehört zu den berühmtesten Songzeilen der Rockgeschichte, der Stottergesang ergibt vor dem Hintergrund eines verunsicherten, möglicherweise berauschten jugendlichen Ich-Sprechers dramaturgisch Sinn, und kontrolliertes Feedback wurde schon bald nach Erscheinen des Songs beliebtes Stilmittel.

Obwohl die Who damals mit der britischen Jugendkultur der Mods assoziiert wurden – Parka tragende und Motorroller fahrende Kids, die den tristen Arbeiteralltag mit offensivem Hedonismus kompensierten – berührte der Song junge Menschen auf der ganzen Welt. Herablassende Erwachsene und ihr mangelndes Verständnis für den Erlebnisdrang der Jugend, das entsprach dem Lebensgefühl einer „Erste-Welt“-Generation im Aufbruch. Die gestammelten Lyrics waren so eine Art Manifest: „People try to put us down/ Just because we get around/ Things they do look awful cold/ Hope I die before I get old.“ Diese kargen Aussagen, ergänzt durch Stakkato-Rock samt rhetorischem Mittelfinger in Richtung des gesellschaftlichen Status quo und unehrlicher Anbiederungsversuche ( „Why don’t you all fade away/ Don’t try to dig what we all say“) genügten, um für jede Menge Unruhe in Familien mit aufmüpfigen Teenager zu sorgen.

The Who, Won’t Get Fooled Again, 1971

Text/Musik/ Pete Townshend

Produzent/ Glyn Johns

Label/ Track

1971 war ich mir gerade mal knapp ein Jahr lang sicher, welches die beste Rockband der Welt sei: The Who. Sie hatten „Tommy“ und „Live At Leeds“ veröffentlicht und näherten sich dem Zenit ihres Schaffens mit ihrem Album „Who’s Next“. Der Produzent Glyn Johns hat hier ein für alle Mal eingefangen, wie eine Viermannband zu klingen hat: ein Sänger, der sich nicht nur das Hemd, sondern die Brust aufreisst, Gitarren wie Ziegelsteine, die man dir auf die Ohren schmettert, glitzernde, geheimnisvolle Keyboards, ein monumentaler, aber nie dröhnender Bass und ein Schlagzeug, in dessen Beckenlänge man sich wie in Meeresgischt hineinwerfen wollte und dessen Trommeln Hyperventilation wie eine sehr erstrebenswerte Normalkörperspannung erscheinen liessen.

Eigentlich müsste ich mehrere Songs von dem Album „ Who’s Next“ nennen („Baba O’ Riley“, „Bargain“, „Song Is Over“, „Behind Blues Eyes“), aber möchte ich mich hier auf diesen Song beschränken, der für mich damals die Apothese des Rocksongs war: „Won’t Get Fooled Again“, dieser enttäuschte, trotzige, nicht unterzukriegende Aufschrei aller Unzufriedenen, Beleidigten, Betrogenen – und so fühlt man sich ja mit achtzehn Jahren geradezu prinzipiell. Nach dem ersten Hören von dieser Platte habe ich lange aus dem Fenster geschaut, glücklich, unglücklich, ratlos, fassungslos. Ja, 1971 waren The Who für mich die beste Rockband der Welt.

Pete Townshend, Face The Face, 1985

Text/Musik/ Pete Townshend

Produzent/ Chris Thomas

Label/ ATCO Records

Ich muss zugeben, dass ich das Album „White City: A Novel“ von Pete Townshend wohl von vorherein gar nicht hätte schlecht finden können. Schliesslich gehörten The Who für mich jahrelang zu den Grössten. Überflüssig zu sagen, dass „Face The Face“ natürlich ein gigantischer Song ist. Es scheint als hätte Townshend hier sein Krise überwunden: „ It’s time to live… we got to fight the fight, we must race the race, so we can face the face…“

Dementsprechend ist auch die Musik kräftig/rockig, die Selbstmitleid-Balladen von „All The Best Cowboys Have Chinese Eyes“ sind vergessen. Stattdessen Up-Tempo-Soul (die erste Who-Single hiess übrigens „I’m The Face“). Aus heutiger Sicht beeindruckt vorallem die treibende Energie von „Face The Face“ und dieser ausgefeilte Klang, der einen sehr eigenen Retro-Charme ausstrahlt. Wer The Who kennt, wird verstehen, warum ich „Face The Face“ für den besten Solo-Titel von Pete Townshend halte.

The Who, Boris The Spider, 1966

Text/ Musik/ John Entwistle

Produzent/ Kit Lambert

Label/ Polydor

Die finanzielle Situation von The Who war ziemlich desolat, als 1966 ihr zweites Album fällig war. Mit der Plattenfirma hatten sie einen Vorschuss von fünfhundert Pfund ausgehandelt, der jedoch erst ausgezahlt werden sollte, wenn jedes Bandmitglied zwei Songs abgeliefert hatte. Nachdem sie John Entwistles „Whisky Man“ geübt hatten, erkundete sich Pete Townshend bei seinem Bassisten, ob er seinen zweiten Song schon fertig habe. Um nicht als faul zu erscheinen, nickte Entwistle zustimmend, der allerdings lieber mit Bill Wyman und Charlie Watts um die Häuser gezogen war, statt im stillen Kämmerlein zu komponieren. Townshend wollte Näheres wissen: „Wovon handelt er?“ Von einer Spinne. „Wie heisst er?“ Entwistle wand sich schuldbewusst und druckste rum. Als er mit Bill und Charlie zechen war, hatten sie, schon ziemlich angeheitert, spasseshalber blöde Tiernamen erfunden und so stammelte er schliesslich: „Oh, äh, ‚Boris The Spider‘.“

Als dann Townshend auch noch wissen wollte, wie der Song geht, kam Entwistle in Panik. Er eilte nach Hause und schrieb das Ding in einem Rutsch. „Es war der schnellste Song, den ich je in meinem Leben geschrieben habe.“

7180aPBGrxL._SL1226_.jpg

The Who, Meaty Beaty Big And Bouncy, 1971

Produzent/ Kit Lambert, Shel Talmy

Label/ Polydor

Mehr noch als viele ihrer Zeitgenossen wie die Beatles oder die Stones, die gerne mal eine Single veröffentlichten, die nicht auf einem Album unterkam, waren die Who in den 60er Jahren primär eine Singles-Band. Und als solche fanden sich ihre grössten Hits eben nicht auf den Studioalben. Tatsächlich gab Townshend zu Protokoll, dass er erst mit „Tommy“ die Kunst des Albums entdeckt habe. Aus diesem Grund ist diese 1971 erschienene Compilation mitsamt ihrem grossartig melancholischen Cover ein Rückblick auf das Frühwerk der Band. Und zu diesem gehören ja schliesslich einige der besten Songs der 60er Jahre.

Diese LP konnte ich mir zur Zeit ihrer Veröffentlichung nicht leisten, daher existierte von „Meaty Beaty Big And Bouncy“ jahrelang nur eine Cassetten-Kopie, deren Qualität von vorneherein nicht die Beste war und im Laufe der Zeit immer schlechter wurde. Später habe ich mir dann das Album zugelegt und es auch nicht bereut: besonders reizvoll an den Who ist hier ihre Fähigkeit einen Gesamtsound hinzulegen – reiche Arrangements und üppige Harmonien von musikalischen Könnern.