PJ Harvey, Dry, 1992

Produzent/ Rob Ellis, PJ Harvey

Label/ Island

PJ Harveys „Dry“ verwaltet Adoleszenz-Emotionen der gehobenen Sorte mit der gebotenen Sorgfalt: hocherotisch, hochkomplex und sick of postmodernism. Die Direktheit und Gereiztheit dieses Albums lässt sich nicht das intellektuelle Vergnügen einiger formaler Scherze nehmen. Polly Jean Harvey hätte auch als Songwriterin mit Klampfe reüssieren können. Doch hält dieser Folkfrieden nie lange, denn das Prinzip der Stücke ist formale Strenge, (abstrakte Titel, aber kontrastierte Songabläufe, Konzentration auf wenige, aber heftige Stilmittel) unemotionale Dichte (Steigerungen, Dramatik, extreme Lautstärke und Tempogegensätze).

PJ Harvey war die Indie-Lieblingsfrau der 90er Jahre. Sie verbreitete damals das Gefühl neuer und neu eroberter Möglichkeiten „individuellen Ausdrucks“. Da war in den 80ern solange abgearbeitet, zitiert und relativiert worden, dass man ein Jahrzehnt später plötzlich richtig frisch aus dem Schatten von Captain Beefheart und Patti Smith treten konnte und das Rock-Individuum neu erfinden. Aber wahrscheinlich können das nur Frauen (Gegenbeispiele sind kaum bekannt).