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Bob Dylan, Blind Willie McTell, 1991

Text/Musik/ Bob Dylan

Produzenten/ Bob Dylan, Mark Knopfler

Label/ Columbia

Bob Dylan erwies Blind Willie McTell – dem Blues-Sänger und -Gitarristen aus dem frühen 20. Jahrhundert, der mit „Statesboro Blues“ bekannt wurde – mehrfach die Ehre. Er coverte „Broken Down Engine“ und „Delia“ und erwähnte ihn in „Highway 61 Revisited“ und „Po’Boy“. Sein grösstes Hommage „Blind Willie McTell“ schrieb Dylan 1983, veröffentlichte sie aber erst viel später. Eigentlich wollte Dylan den Song auf „Infidels“ herausbringen. Dass „Blind Willie McTell“ dann doch nicht aufs Album kam, ist schwer nachzuvollziehen. Dylan erklärte das später so: “Er war nie richtig fertig. Ich schaffte es nie, den Song zu vollenden. Welchen Grund hätte es sonst geben können, ihn nicht auf die Platte zu tun?“

„Blind Willie McTell“ erschien schliesslich 1991. Der Song ist von ungewöhnlicher Schönheit. Er basiert auf der bekannten Klaviermelodie aus „St. James Infirmary Blues“ und glänzt mit erlesener Sprache in Form von fünf kurzen Vignetten über McTell, die Dylan mit inniger Überzeugung vorträgt. Dylans grösster Verdienst ist es jedoch, die Hörer mit diesem Song zu animieren, sich McTells eigene Musik anzuhören.

Otis Taylor, Hey Joe Opus – Red Meat, 2015

Produzent/ Otis Taylor

Label/ in-akustik

The Gun Club, später Jon Spencer Blues Explosion und The White Stripes haben den Blues durch die Brille der modernen, post-punkigen USA frisch aufbereitet. Otis Taylor hingegen ist ein Blues-Mann der älteren Garde – seine Erneuerungsversuche wachsen gleichermassen aus dem Stamm heraus. Taylor ist Jahrgang 1948, wurde in Chicago geboren, wuchs in Denver auf und spielte vorerst Banjo. 1977 hing er Gitarre und Banjo an den Nagel und betätigte sich als Antiquitätenhändler, ehe er in den 90er Jahren zur Musik zurückfand.

Der Blues von Otis Taylor wird gekennzeichnet durch die fruchtige Stimme und durch eine aufregende Bereitschaft, in den Arrangementen kühne Wege zu gehen: So tauchen hier auch Theremin, Pedal Steel, swingende Hammond-Orgel, Geige und allerhand ausgelassene Bläsereien auf. Zudem ist Taylor in stillen Banjo-Liedern ebenso zuhause wie in unglaublich groovigen Ensemble-Stücken, wo der Blues über weite Strecken von drei Akkorden auf einen reduziert worden ist. Neben dem „Hey Joe Opus“ empfehle ich auch weitere Alben wie „White African“ und „Pentatonic Wars and Love Songs“ – alle sehr toll!

The Gun Club, Fire of Love, 1981

Produzent/ Chris D., Tito Larriva

Label/ Ruby

Der Gun Club. Das Debütalbum „Fire of Love“ schürfte 1981 tief in der Musikgeschichte: Der Blues der 1930er klingt immer wieder durch, in den Akkordfolgen und auch im Gestus der Musik. Aber zusammengeschmissen mit dem zeitgenössischen Postpunk der frühen Achtziger. Natürlich ist alles zentriert um das Jaulen des egomanen, früh verfetteten, früh verstorbenen Jeffrey Lee Pierce. Der Sänger liebt Rituale. Die Grossstadt hat ihn aufgenommen, ein echter Sohn des heissen Pflasters, aber in seiner Seele wüten Aberglauben, puritanisch religiöser Wahn und der halsstarrig amerikanische Traum gegen alles Wissen um Tatsachen und aufgeklärte Vernunft. Die Wüste ruft in die Einsamkeit und Verlorenheit, auf endlose Highways und immer auf der Flucht vor den Blechdosen am eigenen Schwanz. Wenn man „Fire of Love“ hört, schluckt man soviel Staub, dass die Lungen platzen.

Was ist ein Amerikaner, der sein Land hasst? Wenn auch das letzte Ideal nackt und frierend, würdelos im Regen steht, hetzt er ruhelos und verzweifelt die Gespenster, die ihn jagen. Sie wollen ihm sein Land miesmachen. Gun Club sind wie Jerry Lee Lewis der angesichts von „Great Balls Of Fire“ plötzlich vor dem göttlichen Gericht zittert. Und dann trotzdem singt. „Got my mojo working, but it just don’t work on you…“. Wie gesagt, die Platte ist gut, vorallen nachts, wenn man nicht einschlafen kann. Manchmal zählt eben nicht die richtige Tonart, sondern die richtige Tönung.

Lucinda Williams, Happy Woman Blues, 1980

Produzent/ Mickey White, Lucinda Williams

Label/ Smithsonian Folkways

Back to the Roots führt uns dieses Album. Zurück zu den Wurzeln von Lucinda Williams. „Happy Woman Blues“ ist 1980 bei Folkway Records erschienen. Das Schallplattenlabel, 1947 von Moses Asch gegründet, war in den fünfziger bis siebziger Jahren eine der grössten unabhängigen Plattenfirmen in den USA. Der Katalog der Firma umfasste 2200 Titel. Dabei ist eine grosse Auswahl amerikanischer Folkmusik, anderer traditioneller Musikformen, Kinderlieder, World Musik, Literatur, Dichtung etc. Das Smithsonian Institut in Washington ist ein grosses staatliches Museum, das sich um die Erhaltung amerikanischer Kultur kümmert. Es hat den gesamten Katalog von Folkways übernommen und sorgt mit dem eigenen Label Smithsonian Folkways dafür, dass alle Titel weiterhin erhältlich bleiben.

„Happy Woman Blues“ ist das zweite Album von Lucinda Williams. Aufgenommen wurde es in den Sugar Hill Studios mit den Musikern Mickey White, Rex Bell, Andre Matthews, Ira Wilkes, Mickey Moody und Malcolm Smith. Es ist eine Sammlung von elf folkigen Eigenkompositionen. Alle sehr einfühlsam und zurückhaltend arrangiert, ganz nach Art amerikanischer Folktradition, In den Texten sieht man, wie Williams aus traditionellen Vorgaben heraus agiert, aber mit sicherem Gespür die alten Sujets mit ihren gegenwärtigen Belangen füllt. Zum Teil wirkt Lucinda hier noch etwas unbeholfen, staksig und trotzdem spürt man schon überall das warme, leidenschaftliche Temperament einer selbstbewussten Frau.

Bob Dylan, Masters of War, 1963

Text/Musik/ Bob Dylan

Produzent/ John Hammond

Label/ Columbia

Das ist wohl eines der bittersten Protestlieder, das ich kenne. Darin wird die Waffenindustrie für die Kriege verantwortlich gemacht. Der historische Hintergrund für den Song hat mit der Abschiedsrede von US-Präsident Dwight D. Eisenhower im Januar 1961 zu tun. Seine Präsidentschaft war vom Kalten Krieg und von massiver Aufrüstung auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs geprägt: 1957 bauten die Sowjets die erste Interkontinentalrakete, 1958 drohten sie, Westberlin der DDR einzuverleiben. Eisenhower warnte vor einem „militärisch-industriellen Komplex“. Er sah in den Verflechtungen der Rüstungsindustrie und der Politik eine Gefahr für die demokratischen Institutionen und fürchtete, dass ein so aufgerüstetes Land vorschnell bereit ist, Konflikte militärisch auszutragen, statt diplomatische Lösungen zu suchen.

Auch der Generationenkonflikt wird in dem Lied direkt angesprochen: Die kritische Jugend der 60er Jahre will sich nicht mehr länger als naiv abstempeln lassen, sondern beansprucht eine moralische Überlegenheit gegenüber der Generation ihrer Eltern und Grosseltern, deren Scheinheiligkeit angeprangert wird. Die Waffenhersteller werden das schlimmste aller Schicksale zu erwarten haben, nämlich, dass ihre Seelen in der Hölle landen.  „And I hope that you die, and your death will come soon…“ , und der Sänger entwirft ein makabres Bild, wie er sich an ihrem Grab vergewissert, dass sie nicht wiederkehren.

„Masters of War“ zeigt, wie aktuell Bob Dylans Gedanken noch sind und es ist wichtig, sich dieser zu erinnern, damit man unsere Welt versteht in diesen Tagen. Es ist nicht ein Land, das Verderben bringt in die Welt, es ist ein korruptes und perverses System der Macht- und Geldgeilheit, vor allem aber der eiskalten Ignoranz und Menschenverachtung und es sind eigentlich nur ein paar gestörte Superreiche, die all das zu verantworten haben.

ZZ Top, Jesus Just Left Chicago, 1973

Text/Musik/ Billy Gibson, Dusty Hill, Frank Beard

Produzent/ Billy Ham

Label/ London Records

Die Stimme klingt, als habe man ihren Besitzer in aller Frühe aus dem Bett geholt: „Jesus just left Chicago/ And he’s bound for New Orleans./ Jesus just left Chicago/ And he’s bound for New Orleans.“ Gerade die Wiederholung lässt den Verdacht aufkommen, dass es die Aufgabe dieses Mannes war, Jesus nicht aus den Augen zu lassen und dafür zu sorgen, dass Jesus Chicago nicht verlassen konnte; aber er hat versagt. Es kam zu einem Wortwechsel, dann hat Jesus sich aus dem Staub gemacht und ist jetzt vermutlich unterwegs nach New Orleans.

Man erwartet nun eine Personenbeschreibung des Flüchtigen, aber was kommt ist ein kodierter Bericht: „Working from one end to the other/ And all points in between.“ Wenn es hier nicht um einen flüchtigen Erlöser ginge, sondern um einen von zu Hause weggelaufenen Teenager gleichen Namens, dann könnte man vielleicht noch davon ausgehen, dass dieser Satz triviale Bedeutung hat. Scheinbar trivial, denn dieses „Dazwischen“ wird nicht nur durch den Anfangs- und den Endpunkt bestimmt, sondern vorallem durch den Weg, denn jemand zurücklegt, um von A nach B zu kommen – und der kann über den ganzen Globus führen und ein ganzes Menschenleben lang dauern, oder – wie in diesem Fall – alle Menschenleben zusammen. Ausserdem wäre Jesus nicht der erste, der im Irrgarten des „Dazwischen“ verschwunden ist.

King Crimson, In the Court of the Crimson King, 1969

Produzent/ King Crimson

Label/ Island

Zum Dreikönigstag erinnern wir uns an das majestätische Debütalbum der britischen Band King Crimson. Wer diese Platte einmal in den Händen gehalten hat, wird sich zeit seines Lebens daran erinnern: Allein das Coverbild ist so ikonografisch wie Edvard Munchs „Der Schrei“. Sein Schöpfer, Barry Godberg, war Absolvent einer Londoner Kunstschule und mit jungen Musikern befreundet. Einer ihrer Liedtitel inspirierte ihn 1969 zu diesem Plattencover: „21th Century Schizoid Man“. Godberg, 24-jährig, starb kurz darauf an Herzversagen. Das Cover sollte sein einziges bekanntes Gemälde bleiben. Eines allerdings, das um die Welt ging. Denn hatten die Beatles mit ihren Experimenten ab 1965 stilistische Schranken aufgehoben, so kam dieses Album hier einer Explosion gleich. Unerhört gut und ungehört neu, was fünf Mittzwanziger unter dem Namen King Crimson festhielten: eine musikalische Grenzüberschreitung, die als „Progressive Rock“ populär wurde.

Allein der Anfang ist eine Wucht, angetrieben von einem schweren Gitarren-Riff, furiosen Schlagzeug-Fills und einer verzerrten Stimme, die den Wahnsinn in Worte fasst („21st Century Schizoid Man“). Nicht weniger beeindruckend das epische Ende mit der neunminütigen Ballade „The Court Of The Crimson King“, die dem Album den Titel gab. Dazwischen: Prächtige Hymnen und tröpfelnde Klangtupfer. Damit lieferten King Crimson eine Blaupause, Hunderte Bands wandten sich epischem, komplexem Rock zu: Pink Floyd, Genesis oder Queen, um nur einige zu nennen. Auch heute noch werkelt eine Inkarnation von King Crimson am eigenen Nachruhm, aber die selbstverständliche Richtigkeit ihrer frühen Jahre ist ihr abhanden gekommen.

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Simon and Garfunkel, Sounds Of Silence, 1966

Text/Musik/ Paul Simon

Produzent/ Tom Wilson

Label/ Columbia

Zu Beginn war da einfach nur die Stille. Doch deren Klang musste natürlich beschrieben und schliesslich besungen werden. Von einem singenden Songwriter und einem singenden Schlacks, die sich nur als Kombination ihrer Nachnamen zu erkennen geben wollten und auf dem Plattencover – so scheint es zumindest – den Versuch unternehmen, aus der Schusslinie der Kamera zu schlackern. Der grosse Kleine und der grosse Zweitplazierte: „Sounds Of Silence“ von Simon & Garfunkel wurde im Januar 1966 veröffentlicht.

Hätte Tom Wilson nicht zufälligerweise „Like A Rolling Stone“ von Dylan gehört, wäre er nie auf die Idee gekommen, diese etwas dröge Ballade mit E-Gitarre, E-Bass und Drums zu unterlegen. Und wäre die leicht verstimmte Gitarre nicht mehr leicht verstimmt, wäre die Aufnahme nur halb so gut. Hätte Paul Simon die erste Stimme statt die zweite gesungen, wäre diese viel zu penetrant gewesen, und das magische Moment, in dem man nicht rafft, wer jetzt was singt und wo eigentlich die Hauptmelodie hinführt, wäre verloren.

Das ist nun mehr als ein halbes Jahrhundert her, und es mutet seltsam an, dass das Jahr 1966 mit einem derart besinnlichen, geradezu unschuldigen Song eingeleitet wurde. Denn zu jener Zeit wütete in Vietnam ein konventioneller Krieg, den schon damals niemand mehr begreifen mochte, der jedoch nur ein Teilaspekt eines wesentlich grösseren Konflikts der Systeme war, die nicht nur im Weltall zu einem Wettlauf angetreten waren, sondern auch in beiden irdischen Hemisphären um die Vorherrschaft rangen.

Motörhead, Ace of Spades, 1980

Produzent/ Vic Maile

Label/ Bronze

Lemmy Kilmister, legendärer Gründer, Sänger und Bassist von Motörhead, hat am 24.12.1945 das Licht der Welt erblickt, um sich am 28.12.2015 wieder von diesem abzuwenden. In Andenken an jenes Ereignis legen wir heute „Ace Of Spades“ auf den Plattenteller.

Natürlich ist das kein Punk, aber es ist affengeil, Motörhead prügeln die abgedroschenen Bluesklischees aus dem Rock ’n’ Roll heraus; ihre Musik ist ungeheuer schnell, ungeheuerlich laut, dreckig und primitiv. Und dieser Bass! Und kaum Gitarrensoli! Und dieses als Gesang getarnte Röcheln! Hardrock mit der Energie und der Wut des Punks. Und: Motörhead waren pothässlich, unglamourös und hatten nichts am Hut mit der frisch geföhnten Gockelhaftigkeit der damaligen Hardrockmacker. Motörhead wurden zu einer Konsensband – sie waren lange die einzigen Schwermetaller, die sich auch in der Punk- und Indieszene grosser Beliebtheit erfreuten. Wer Rock ’n’ Roll mag, kann „Ace of Spades“ unmöglich nicht lieben!

Sinéad O’Connor, All Apologies, 1995

Text/Musik/ Kurt Cobain

Produzent/ John Reynolds

Label/ Chrysalis

Bei dieser Version von Nirvanas „All Apologies“ wird wieder klar, was für eine Sängerin uns in diesem Sommer verlassen hat. Sinéad O’Connor war eine radikale Musikerin. Sie hat gegen die Missbrauchskultur in der katholischen Kirche gekämpft, gegen die Dämonen ihrer Familie, gegen alle kommerziellen Erwartungen der Musikindustrie, für ihre mentale Gesundheit und ihren Platz in der Gesellschaft.

Klar, da war „Nothing Compares 2 U“, mit dem MTV-Video in Dauerrotation, bis der Schmerz und die Trauer ihrer Version des Prince-Songs beinahe verschwunden war. Ich habe Sinéad O’Connor später ignoriert, weil Rock’n’Roll für mich wichtiger war. Aber jetzt in diesen dunklen Tagen zum Jahresende habe ich mir „All Apologies“ angehört, das sich Sinhéad O’Connor so kompromisslos angeeignet hat. Und alles wird während diesen zweieinhalb Minuten zweitrangig. Mindestens.