Living Colour, Vivid, 1988

Produzent/ Ed Stasium, Mick Jagger

Label/ Epic

Die jungen, rauen Living Colour waren wie eine Band von einem anderen Stern. Kaum eine andere Band der späten Achtziger setzte den Begriff „Crossover“ so konsequent in die Tat um, verfügte über so viel Talent und konnte auf der Bühne so trefflich improvisieren. Das Debütalbum enthält den Kracher „Cult Of Personality“, der bei MTV im Tagesprogramm landete. Aber auch ein paar weitere Songs wie „Memories Can’t Wait“ und „Desperate People“ können überzeugen.

Phänomenal ist vorallem das Intensive Zusammenspiel des Quartetts. Will Calhoun und Muzz Skillings demonstrieren, welch unglaubliche agile Rock/Soul-Rhythmusgruppe sie sind und Sänger Corey Glovers Stimmumfang beeindruckt. Was auch immer er sich mal bei Prince abgeguckt hat, schreit er hier so druckvoll raus, dass sich das Nackenhaar sträubt. Und Gitarrist Vernon Reid ist ein begnadeter, origineller Vertreter seiner Zunft. Auf „Vivid“ gelangen Living Colour ein paar ausgefeilten Klanglandschaften und feurige Rhythmusattacken. Leider kamen alle späteren Werke nicht mehr an dieses phänomenale Debüt heran.

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Ray Wylie Hubbard, Dangerous Spirits, 1997

Produzent/ Lloyd Maines

Label/ Philo Rounder

Sähe er nicht aus wie der intellektuelle Bruder des Yeti, hätte er in den Siebzigern glatt als Reaktionär durchgehen könne. Der Song „Up Against The Wall, Redneck Mother“ machte den Okie Ray Wylie Hubbard quasi über Nacht berühmt. Die Mutter, die ihren Sohn dazu erzieht, in den Honky-Tonks Hippies zu verprügeln, das schrammte knapp an Merle Haggards „Okie From Muskogee“ vorbei. Doch der Text steckt voller Ironie – wie natürlich auch der von Haggard. Danach war lange nichts los bei Ray Wylie Hubbard ausser Alkohol und Drogen. Irgendwann schaffte es Hubbard von den Anonymen Alkoholikern, wo er seine zukünftige Frau kennenlernte, zu den bekanntesten Wahltexanern.

1997 erschien sein insgesamt achtes Album, das erste für Philo Rounder, und bis heute bestes. Hubbard selber zitierte Bob Dylan und Gram Parsons als wichtige Einflüsse. Die Kratzer in der Stimme, ein feiner Sinn für Ironie, Blues-Riffs, ein bisschen Bibel, eine dicke Scheibe Weltliteratur, dazu viel Autobiografisches und Erfundenes, das ebenso gut wahr sein könnte. Keine fade Songwriter-Introspektive, sondern Riff und Soli für alle. Und das alles aus einem Guss. Das muss man erst mal auf die Reihe kriegen.

Reverend Gary Davis, Harlem Street Singer, 1960

Produzent/ Kenneth S. Goldstein

Label/ Bluesville

Der legendäre blinde Ragtime-Gitarrist Gary Davis ( 1896 – 1972 ) beherrschte die Gitarre in mitreissender Perfektion. Sein differenziertes Können reicht von einfachen Fingerpicking-Methoden bis zu komplexen Linear- und rhythmischen Kontrapunkt-Techniken und weitschweifigen Variationen. Es ist ein Erlebnis, ihm zuzuhören! Seine Stücke baut er von einfachen Picks bis zu kompliziertesten Instrumentalstilen auf. Das Repertoire dieser Platte ist ebenso farbig wie ihre Interpretation: Ragtime-Piano-Imitationen, Kompositionen von Blind Blake sowie Blues und Rags aus den zwanziger- und dreissiger Jahren werden auf der Gitarre interpretiert.

Dieses – im Studio von Rudy Van Gelder produzierte – Album zeigt sorgfältig reflektiert die grossartigsten Momente eines hervorragenden Gitarristen mit unendlichem Reichtum an Improvisationsideen. Man muss diesen Könner gehört haben, um glauben zu können, dass es sowas wirklich gibt. Das Spiel auf sechs Saiten hat bei ihm den Klang eines ganzen Orchesters!

Willy DeVille, Miracle, 1987

Produzent/ Mark Knopfler

Label/ A & M

Das ist die Platte eines Mannes mit Dreitagebart und Unterhemd, die den Titel „Miracle“ trägt und obendrein von Mark Knopfler produziert und gitarrenmässig geprägt ist. Ein interessante Liason, die sich da im Schein einer zitronenfarbigen Glühbirne aufgetan hat, und sich leicht verwelkt charmant in dem abgenutzten Glauben von Willy DeVille an sich selbst verkörpert. Der getriebene Wahnsinnige, auf Spanisch kokettierende und schmachtende Kitschbruder hat hier in den Armen des Laid-Back-Spezialisten Mark Knopfler ein Heim gefunden.

Da gibt es diesen Traum von Hochzeit in „Heart And Soul“ mit einem Ave Maria, die Geschichte von „Spanish Jack“, der Gentleman, der Jim erschoss, weil er falsch pokerte und selbst eine Ballade vom „Southern Politican“, dem feisten faschistoiden Grossgrundbesitzer, der an Blumen schnüffelt und Kinder küsst, während gelynchte Neger im Kanal treiben. Und auch bei den rührenden Liebesballaden, kennt sich Knopfler aus in der Raffinesse der Stilistik. Willy brodelt und ächzt und schmiert sich nochmal Öl ins Haar und singt Van Morrisons „Could You Would You?“ als wäre es für ihn gemacht, und schraubt dann wieder korrekt rauchig-kratzig einen Gesang à la Lou Reed zusammen („Spanish Jack“), und immer hält Knopfler die Linie. Er hat sich viel Zeit genommen, um Willy DeVille das grosse weiche Kissen zu bieten, dass alle Übertriebenheiten, Romantizismen, die Anklagen an die Frau mit dem steinernen Herzen und die Feststellungen über die angebliche Herstellung von Sicherheit durch Waffenkontrolle in den USA „(Due To) Gun Control“ gleichermassen gleichklingend aufnimmt.

The Beatles, Love Me Do, 1962

Text/Musik/ Lennon/ McCartney

Produzent/ George Martin

Label/ Parlophone

„Please Please Me“ ist kein uneingeschränkt zu empfehlendes Album, aber es hat überall dort seine Stärken, wo die Beatles selbst die Songs schreiben oder selbst Hand anlegen dürfen. Der eigentliche Hammer des Albums ist für mich das erste Stück auf der B-Seite „Love Me Do“. Ein rasanter Zweiminüter, der sofort ins Ohr und in die Beine geht. „Love love me do/ You know I love you/ I’ll always be true/ So please love me do“ und dann kommt bedeutungsschwanger hinterher: „Someone to love/ Somebody new/ someone to love/ Someone like you“.

Der Text ist hier, unter Auslassung all der vielen wiederholten Verse, in seinem Kern schon komplett wiedergegeben. Ausser dem Ausdruck des Verliebtseins und der Sehnsucht danach, ebenfalls geliebt zu werden, hat dieses Lied nichts zu sagen. „Our greatest philosophical song“, kommentierte seinerzeit selbstironisch Paul McCartney. Weshalb eine grosse Deutungsoffensive hier genauso verfehlt wäre, wie in einem Soul-Song auf „Free“.

Talking Heads, True Stories, 1986

Produzent/ Talking Heads

Label/ Sire

Natürlich kann es noch schlimmer kommen, denn das hier ist nicht nur grossartig, sondern auch noch wahr. Getreulich aufgezeichnet von einer Band, die ehemals als zu kopflastig verrufen war, die jeden Menschen zum Studenten machte, auch wenn er kein Abitur hatte. Abends in der Kneipe wurde dann wieder diskutiert, was dieses Stück sei, das sei eigentlich auch nicht schlecht. Und die neuste von den Talking Heads, habe irgendwie meiner Meinung nach auch wieder den Glanz eines Meisterwerks.

In leicht fasslicher Form gibt es auf „True Stories“ eine Abrechnung mit der grausige Welt der US-Kleinbürger. „True Stories“ ist aber nicht nur eine Platte, sondern auch gleichzeitig ein Film. Eine skurrile Momentaufnahme eines kleines Städtchens mitten in Texas voller seltsamer Typen, die in ihrer jeweils eigenen Welt leben und sich durch den Alltag einer Kleinstadt quälen. Subtiler und feiner Humor, eingepackt mit den Songs und reizvoll kontrastierend mit patzigen Dirty-Bubblegum-Pictures. Alles ein bisschen schmierig. In den Videos, bei denen einen das Grausen anfliegt, kommt David Byrne als Bandmitglied immer noch am Besten raus.  Das aber dieser eingeschlagene Weg nicht der richtige war, zeigte sich bereits zwei Jahre später mit dem letzten Album der Band. „Naked“ ist eine grandiose Rückkehr zum besten Album „Remain in Light“.

Wreckless Eric, Whole Wide World, 1977

Text/Musik/ Eric Goulden

Produzent/ Ian Dury, Nick Lowe

Label/ Stiff

Nach längerer Zeit mal wieder „Whole Wide World“ aufgelegt. Ein kleiner Schrammel-Hit. Gespielt von der Einmann-Punk-Band Wreckless Eric. Für mich war er irgendwie der Grösste, weil er fast alle Dinge, bei denen andere Leuten, um cool und geheimnisvoll und aggressiv zu wirken, in Moll, Blues, Spanisch und Kirchtonarten spielten, in Dur erledigte. Deswegen ist er weniger zum Grosskünstler geworden, ist mir aber doch fast noch sympathischer als der Varianten-Kaiser Elvis Costello, mit dem er zusammen bei Stiff Records anfing.

Seit dem Debüt „Whole Wide World“ hat Wreckless Eric (oder Eric Goulden wie er mit bürgerlichem Nachnamen heisst) ein tolles Händchen für eingängige, rotzige Popsongs. Vomüber den herrlich süffisanten Rock-Stampfer „Pop Song“, in dem er sich eben dieses Talent kokettierenderweise, wegen mangelnden Erfolgs, selbst auf die Schippe nahm – bis zu der den Kinks geschuldeten Jahrmarktsmelodie von „Hit And Miss Judy“ oder dem Brit-Pop Blueprint von „Broken Doll“. Im Grunde war dem Mann stilistisch weder etwas heilig, noch irgendetwas zu peinlich; genau das ist aber gleichzeitig auch der Grund warum sich diese Songs heute immer noch frisch anhören. Auf „Greatest Stiffs“ gibt es jede Menge herzzerreissende und keineswegs, wie es zunächst scheinen mag, unbeschwerte Party- und Beat-Musik aus glorreichen Punkzeiten.

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Nina Hagen Band, 1978

Text/Musik/ Nina Hagen, Nina Hagen Band

Produzenten/ Nina Hagen Band, Tom Müller, Ralf Nowy

Label/ CBS

Es war schon ein kolossaler Einbruch in die Weltparaden (und in die WGs) der Endsiebziger, dieses Debütalbum der Nina Hagen Band. Bemerkenswert auch deshalb, weil in Insiderkreisen kaum Aufsehen oder Häme entstand wegen der sonst ach so unpoppigen deutschen Sprache und ebensowenig wegen des etwas punkfernen Grundsounds der ehemaligen Lokomotive Kreuzberg. Letzlich war es allerdings eine von Tubes- oder Rundgren-Artistik geprägte, postfreie, aber kraftvolle Mixtur, die etwas Zeitloses, Stilübergreifendes ausstrahlte und daher auch bestens zum universellen Gesang der aus der DDR emigrierten Biermann-Stieftochter Nina passte.

Wobei „Gesang“ hier schon fast wieder eine Untertreibung ist. Da vereinte sich eine klassisch ausgebildete Stimme (doch noch) mit der Rotzigkeit des Punk und schuf so quasi ein neues Rockregister. Eines, das Grenzerfahrungen, Konsumkritik und Frauenpower zum Besten gab und so das Album auch zu einem Identitätsträger für die Bewegten jener Tage machte. Es ist jedenfalls das Beste, was Nina Hagen je musikalisch zustande brachte. Und es hat nebenbei auch noch einen schönen Slogan: „Ob blond, ob schwarz, ob braun/ Ich liebe alle Frau’n.“

Bob Dylan, The Man in Me, 1970

Text/Musik/ Bob Dylan

Produzent/ Bob Johnston

Label/ Columbia

Und dann wacht man doch wieder auf. In einem fremden Zimmer, in einem fremden Land, mit fremdartigen Gefühlen unter der Haut. Schlaftrunken und nervös zugleich schlurft man in die Nasszelle und stellt sich in den lauwarm heruntersprudelnden Wasserstrahl – ein fremder Mensch mit gereizten Augen und geschwollenen Füssen. Er öffnet seinen Mund und singt lautlos ein paar Zeilen, die ihn die ganze Reise über schon verfolgen: „I can see clearly now the rain is gone/ I can see all obstacles in my way“ – ein leises Lächeln. „Are you really just a shadow of the man I once knew?/ Are you crazy, are you high, are you just an ordinary guy?“ – ein feines Schnippen mit den Fingern. „Oh, mama, can this really be the end/ To be stuck inside of Mobile with the Memphis Blues again“ – ein leichtes Knistern in der Nase. „The vagabond who’s rapping at your door/ Is standing in the clothes that you once wore/ Strike another match, go start anew/ Strike another match, go start anew/ And it’s all over now, baby blue?“

Man kann seine eigene Existenz zerstören, alle Zelte abfackeln, um den halben Erdball reisen, doch gewisse Dinge wird man einfach nicht los. Eines davon ist das grosse Bob Dylan Songbook, das so tief in den Eingeweiden steckt, dass man gar nicht anders kann, als es immer bei sich zu tragen. Musik und Reisen – eine komplexe Kombination, bei deren Nennung im Kopf sofort jene monumetale Filmszene auftaucht, in der Jeff Lebowski mit einer Bowlingkugel über das nächtliche Los Angeles fliegt und selig grinst, während im Hintergrund Dylans „The Man in Me“ läuft.

Und dann steht man in einem anderen Land mit einem Bier in der Hand. Auf der Nase eine Sonnenbrille, in der Hosentasche ein paar zerknitterte Geldscheine und auf dem Handy ein paar neue Fotos – und unter der Haut dieses fremdartige Gefühl. Es könnte Liebe sein. Es könnte Ungewissenheit sein. Oder es könnte Tod bedeuten. Genau in dieser Reihenfolge.

Rising Sons Featuring Taj Mahal and Ry Cooder, 1992

Produzent/ Amy Herot, Bob Irwin

Label/ Columbia Records

Die Rising Sons wurden 1964 gegründet und lösten sich 1966 nach einer Single wieder auf. Für einen Eintrag in die Annalen der Popmusik wäre dies ein bisschen wenig, wenn diese Band nicht mehr als zwanzig Songs aufgenommen hätte, von denen mehr als die Hälfte heute noch frisch und innovativ klingen. Und: Taj Mahal und Ry Cooder waren mit von der Partie.

1964/65 waren die grossen Plattenfirmen recht ungeholfen im Umgang mit Rockmusik. Niemand in den Chefetagen hatte eine Ahnung, was mit dem Lärm anzufangen sei. Singles waren das Pop-Format. Die Rising Sons sollten die damals weitgehend unbekannte Musik aus dem Süden Amerikas hitparadentauglich machen. Das Konzept war ebenso einfach wie überzeugend: entweder ganz langsam spielen oder ganz schnell und hart spielen. Die Kompositionen von Robert Johnson, Blind Willie McTell oder Willie Dixon hielten das aus, nicht aber die Handgelenke von Ed Cassidy, der den „Statesboro Blues“ live einmal so schnell und lang spielen musste, bis sein Arm in Gips endete.

Das ganze Jahr 1965 hindurch waren die Rising Sons eine gefragte Live-Band in Los Angeles, aber als sich auch Anfang 1966 kein für alle verträgliches Gruppenkonzept durchsetzen liess, löste sich die Combo auf. Die stilistischen Fliehkräfte, die schliesslich The Rising Sons auseinander brachten, sind auf dem 1992 erschienen Album erstmals zu hören. Alles wurde probiert: Beatles, Byrds, Blues, Country und Songs von Goffin und King, die damals Tin Pan Alley revolutionierten. Taj Mahal ist 1992 nochmals in Studio gegangen, hat die alten Aufnahmen abgehört und für drei Songs neue Gesangsspuren aufgenommen.