Johnny Cash, At Folsom Prison, 1968

Produzent/ Bob Johnston

Label/ Columbia

Der Auftritt von Johnny Cash in Folsom Prison am 13. Januar 1968 um 10 Uhr morgens in einer kahlen Gefängniskantine, unter grellem Neonlicht und den Augen der Wärter, gehört bis heute zu den intensivsten Momenten in der Geschichte der populären Musik. Cash verstand sich nicht als Entertainer, der den Insassen den Alltag mit einem bunten Unterhaltungsprogramm versüssen wollte: Er stellte sein Programm mehrheitlich aus seinen Songs über Gefängnisse, Verbrecher, Mörder und andere Aussenseiter zusammen, Songs also, mit denen sich das Publikum besonders gut identifizieren konnte. Er sprach die Sprache der Häftlinge, er witzelte und stichelte gegen die Wärter und das amerikanische Gefängnissystem – und er tat dies mit einer Glaubwürdigkeit, dass sich das Gerücht, er kenne den Gefängnisalltag aus eigener Anschauung, noch jahrzehntelang hielt. Einer der vielen Höhepunkte war der letzte Song der Show, „Greystone Chapel“. Der Bankräuber und Folsom-Prison-Insasse Glen Sherley hatte den Song über die Gefängniskapelle geschrieben; Johnny Cash hatte ihn erst am Abend zuvor vom Gefängnispriester zugespielt bekommen. Wenig später erwirkte Cash die Freilassung Glen Sherleys, nahm ihn in seinen Tourtross auf, ermöglichte ihm Plattenaufnahmen und machte ihn zum Symbol seines Kampfs gegen das Gefängnissystem. Trotzdem nahm Sherley ein schlechtes Ende – aber das ist eine andere Geschichte.

Die Intensität dieser Aufnahmen, gekoppelt mit der Debatte über den amerikanischen Strafvollzug, die Cash auslöste, erschloss ihm ein neues, jüngeres Publikum ausserhalb der Countryszene.und machte ihn zur starken Stimme der Bürgerrechtsbewegung. Johnny Cash blieb bis zu seinem Tod im September 2003 ein zwar widersprüchlicher, aber sehr glaubwürdiger und immer wieder relevanter Mensch und Musiker.

Johnny Cash, The Essential Johnny Cash, 2002

Produzent/ Sam Phillips, Don Law, Bob Johnston u.a.

Label/ Columbia

Kein Mensch kann von mir erwarten, dass ich einem jungen Publikum erkläre, welch ein unschätzbarer Mensch und Musiker Johnny Cash war, sei es als Mitglied im Million Dollar Quartet oder im Duett mit Bob Dylan, als aufrechter Amerikaner der trotzdem „das Richtige empfindet“, was Vietnam angeht oder als aufrechter Amerikaner in der Hauptrolle des echt rührenden Analphabeten-Film „The Pride Of Jesse Hallam“. Über solche Leute sagen Amerikaner: he made a fortune in friends, und ich glaube, dass Johnny Cash viele Freunde hatte.

„The Essential Johnny Cash“ bietet ein halbwegs konkreter Überblick über das Sun-Records und Columbia-Schaffen von 1954 – 1993, manches an der Auswahl bleibt allerdings ein Kuriosität, so taucht sein Frau June Carter nur bei „Jackson“ und „Ring Of Fire“ auf – das Johnny Cash vortrefflich bringt, ohne sich in alles verzehrende Leidenschaft zu verstricken – stattdessen die nicht unbedingt zwingende Mitarbeit von Bono, dessen „The Wanderer“ das Schlusslicht bildet – immerhin ans Herz geht es doch. Aber wo ist der „Vietnam Talking Blues“? Na gut, dafür gibt es „Ghost Riders In The Sky“.

Aber egal, wer möchte nicht gerne den Knast-Blues live hören, das für jeden Heranwachsenden unverzichtbare „Boy Named Sue“, Johnny Cash entnervendes Coming Out, oder die Geschichte vom grossen General-Motors-Raub, aus deren Beständen Cash sein geniales Psychobilly-Cadillac-Modell „one piece at a time“ herausschmuggelte. Auf dem Album ist alles, was es braucht, um einen Mann kennenzulernen, der schweigt, denkt, mitleidet und der alten Obsession vom „Verantwortung tragen“ huldigt, ehe er eine seiner genialen Geschichte erzählt. „Man In Black“ ist drauf und was muss man mehr von Johnny Cash wissen.

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Johnny Cash, American Recordings, 1994

Produzent/ Rick Rubin

Label/ Warner Bros.

Johnny Cashs Karriere war Ende der achtziger Jahren so gut wie beendet. Er hatte genügend Platten gemacht, genügend Songs geschrieben, ein genügend aufregendes (und aufreibendes) Leben gelebt und schien genügend zufrieden, seinen Lebensabend als Legende zu beenden. Und dann geschah das Unglaubliche: Der HipHop-, Rock- und Metal-Produzent Rick Rubin holte ihn, nachdem er Cash und Carter 1992 im Madison Square Garden live gesehen hatte und einfach nicht aus dem Kopf bekommen konnte, zu Aufnahmen.

Es müsse eigentlich „reduced“ nicht „produced“ heissen, wenn er arbeite: Er habe immer die Musik auf ihren Kern zurückführen wollen. Cash sollte einfach nur er selbst seine Songs, „trigger-Songs“ singen (am Ende wurden es mehr als hundert). Rubin verschaffte Cash ein Comback, mit dem in dieser Form wohl niemand mehr gerechnet hätte. Plötzlich war der alte Mann für die junge, unabhängige Country-Szene, das, was Neil Young für die Grunge-Kids war: der Übervater.

Auf dem bezeichnenderweise „American Recordings“ betitelten Album (auf dem Cover sieht man zwei Hunde, die Cash „Sünde“ und „Vergangenheit“ getauft hatte) begleitete sich Cash selbst auf der Gitarre (die Aufnahmen fanden in Rubins Wohnung und in Cashs Blockhütte statt). Einmal mehr hinterliess er den Eindruck von draussen zu kommen und vom Leben zu singen, wie es wirklich ist (neben eigenen Songs interpretierte er Lieder von Nick Lowe, Glen Danzig, Tom Waits, Loudon Wainwright III und Leonard Cohen). Er verband die Neunziger mit altehrwürdigem Folk, Blues und Country. In dem ruppigen Song „Delia’s Gone“ geht es um einen Mord: ein Mann fesselt seine Frau an einen Stuhl und schiesst ihr in die Seite, um sie leiden zu sehen, und tötet sie mit einem zweiten Schuss. In dem Video sieht man Superstar-Model Kate Moss. Cash in schwarzem, langem Mantel auf einem Friedhof mit schwarzer Gitarre und im Wind wehendem Haar, Moss im Sommerkleid, ein Kreuz mit „Delia“ im Hintergrund. Gitterstäbe.