Johnny Cash, American Recordings, 1994
Produzent/ Rick Rubin
Label/ Warner Bros.
Johnny Cashs Karriere war Ende der achtziger Jahren so gut wie beendet. Er hatte genügend Platten gemacht, genügend Songs geschrieben, ein genügend aufregendes (und aufreibendes) Leben gelebt und schien genügend zufrieden, seinen Lebensabend als Legende zu beenden. Und dann geschah das Unglaubliche: Der HipHop-, Rock- und Metal-Produzent Rick Rubin holte ihn, nachdem er Cash und Carter 1992 im Madison Square Garden live gesehen hatte und einfach nicht aus dem Kopf bekommen konnte, zu Aufnahmen.
Es müsse eigentlich „reduced“ nicht „produced“ heissen, wenn er arbeite: Er habe immer die Musik auf ihren Kern zurückführen wollen. Cash sollte einfach nur er selbst seine Songs, „trigger-Songs“ singen (am Ende wurden es mehr als hundert). Rubin verschaffte Cash ein Comback, mit dem in dieser Form wohl niemand mehr gerechnet hätte. Plötzlich war der alte Mann für die junge, unabhängige Country-Szene, das, was Neil Young für die Grunge-Kids war: der Übervater.
Auf dem bezeichnenderweise „American Recordings“ betitelten Album (auf dem Cover sieht man zwei Hunde, die Cash „Sünde“ und „Vergangenheit“ getauft hatte) begleitete sich Cash selbst auf der Gitarre (die Aufnahmen fanden in Rubins Wohnung und in Cashs Blockhütte statt). Einmal mehr hinterliess er den Eindruck von draussen zu kommen und vom Leben zu singen, wie es wirklich ist (neben eigenen Songs interpretierte er Lieder von Nick Lowe, Glen Danzig, Tom Waits, Loudon Wainwright III und Leonard Cohen). Er verband die Neunziger mit altehrwürdigem Folk, Blues und Country. In dem ruppigen Song „Delia’s Gone“ geht es um einen Mord: ein Mann fesselt seine Frau an einen Stuhl und schiesst ihr in die Seite, um sie leiden zu sehen, und tötet sie mit einem zweiten Schuss. In dem Video sieht man Superstar-Model Kate Moss. Cash in schwarzem, langem Mantel auf einem Friedhof mit schwarzer Gitarre und im Wind wehendem Haar, Moss im Sommerkleid, ein Kreuz mit „Delia“ im Hintergrund. Gitterstäbe.
Hat selten ein schöneres Comeback gegeben. Cash und Rubin, da haben sich zwei gefunden.
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Hätte Cash in seinem Leben nur diese Aufnahmen mit Rick Rubin gemacht, könnte sein musikalisches Vermächtnis kaum gewichtiger sein.
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Da bin ich immer etwas hin- und hergerissen. Sein Frühwerk ist nicht zu unterschätzen.
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Cashs Anschauungen auf seinem Frühwerk wirken für mich manchmal etwas zu knöchern, moralistisch und idealistisch verklärt, doch die letzten Lieder haben eine musikalische und menschliche Erfahrung, die einfach gewaltig klingt, weil da einer seinen ganzen Reichtum bis aufs Elemetarste abgeschliffen hatte.
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Das mag sein, aber hinsichtlich musikalischem Ansatz hat er damals viel (um nicht zu sagen das meiste) dafür getan, die Country-Nummer aus der Hillbilly- und Hinterwäldler-Ecke zu befreien. Die Muddy-Roots-/Alternative-Country-Szene zehrt noch heute davon.
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Klar, Johnny Cash ist der grösste Country-Interpret des 20. Jahrhunderts.
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Cash ist einfach cool! Der Mann in schwarz mit seiner markanten Baßbariton-Stimme und seinen Texten über die “Verlierer” und “Unterprivilegierten” der amerikanischen Gesellschaft hat einfach was!
Darüberhinaus hatte Cash mit Rick Rubin zweifellos einen der einflussreichsten Musikproduzenten der Gegenwart an seiner Seite. Rubin hat sprichwörtlich mit Künstlern von A bis Z gearbeitet: AC/DC bis ZZ Top.
Witzigerweise kommentierte ich gerade gestern zu einem Post von Cincinnati Baby, daß Countrymusik eigentlich außerhalb meiner Musikpräferenz liegt; jedoch passiert es mir in letzter Zeit immer wieder, daß ich einen Song höre, der mir gefällt, obwohl es ein Country-Stück ist. Sicherlich kann man hinzufügen, daß das Genre sehr breit geworden ist und viele andere Musikstile beeinflußt.
Letztlich ist es eigentlich ohnehin egal, in welches Genre ein Song fällt, solange er gut ist!
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Johnny Cash ist unbestritten der grösste Country-Star des 20. Jahrhunders. Er hat mehr Hits gelandet als Michael Jackson und zumindest in Amerika mehr Platten verkauft als die Beatles. Doch was viel mehr zählt, ist die Persönlichkeit, mit der Cash stets für das stand, was er machte. Der Film „Walk The Line“ von 2004 mit Joaquin Phoenix als Johnny Cash und Reese Witherspoon als June Carter überzeugte zwar, endete jedoch biographisch gesehen zu früh im Happy End. Die „American Recordings“-Zeit zeigt ein ganz anderes Bild von Cash: ein Mann, der kein Hehl darausmacht, dass er sich mit diesen Liedern auf seinen Tod vorbereitet. Dass er auf ein Leben nach dem Tod vertraut. Tom Waits hat einmal gesagt, dass niemand den Sender beim Radiohören wechselt, wenn Johnny Cash singt. Letztlich ist es wirklich egal, in welches Genre ein Song fällt, solange er gut ist.
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After all those years he found this magic.
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