Neil Young, Harvest Moon, 1992

Produzent/ Neil Young, Ben Keith

Label/ Reprise

Zwanzig Jahre nach seinem Klassiker „Harvest“ setzt Neil Young sich selbst ein Erinnerungsdenkmal und veröffentlicht mit „Harvest Moon“ eine musikalische Fortsetzung im Outfit von 1992. Seine Band, die Stray Gators, besteht aus den Originalmitgliedern von 1972, also aus Kenny Buttrey, Tim Drummond und Ben Keith, sowie den Originalbackground-SängerInnen Linda Ronstadt, James Taylor, Nicolette Larson und Astrid Young.

Young weicht vom elektrischen Kurs seiner letzten Alben ab und setzt auf leise, behutsame Country/Folk-Töne. Einfach schön, relaxt und mit einem Hauch von Nostalgie weht „Harvest Moon“ herüber und hinterfragt dennoch in seinen Texten die Zukunft des Rock’n’Roll. Wer Neil Young über die Jahre hinweg verfolgt hat, weiss, dass er kein hoffnungsloser Nostalgiker ist und sich – wenn es sein muss – rigoros und kompromisslos gegen jegliche Trends und Zeiterscheinungen zur Wehr setzen weiss. Musikalisch ist „Harvest Moon“ sicherlich ein wichtiges Album in seiner langen Karriere, wenngleich mir einige Songs etwas dem Original zu ähnlich klingen. Young kopiert Young, aber der Mann ist sowieso musikalisch unberechenbar. Musikalischer Schlusspunkt: das zehnminütige „Natural Beauty“ in einer Live-Akustikversion; es ist ein Song über den Verlust des natürlichen Schönheitsgefühls, das man sich zurückerkämpfen muss, indem man wieder mehr auf sich selbst hört. Und das lernt man nur, wenn man sich vorher umgehört hat. Dann erkennt man auch, wie wichtig es ist, unsere immer bedrohtere Natur zu erhalten.

Neil Young, Rockin’ in the Free World, 1989

Text/Musik/ Neil Young

Produzent/ Neil Young, Niko Bolas

Label/ Reprise

Neil Young geht ab Juni auf Europa-Tour und will zum Auftakt ein „kostenloses Konzert für alle“ in der Ukraine geben. „Keep on Rockin’ in the Free World.“ Die Oberzeile „Slava Ukraine“ und eine Ukraine-Flagge machen deutlich, dass Young seinen Plan als politisches Statement verstanden wissen will. Es wäre Youngs erstes Konzert in der Ukraine, und mit Blick auf seinen ikonischen Song, der den Höhepunkt all seiner Konzerte bildet, würde sich ein Kreis schliessen. Entstanden war der Song, als die Mauern zwischen der freien und der unfreien Welt noch solide schienen. Sein Plan einer Tour durch die Sowjetunion hatte sich zerschlagen. Also „rocken wir halt in der freien Welt weiter“, sagte er, legte ein paar deftige Gitarrenriffs darunter, und fast fertig war der Rockklassiker.

Vielleicht hat die freie Welt Youngs Phrase besser verstanden als er selbst. Sie dehnte das „wir“ von der Band auf die Menschheit aus und hörte: Wir wollen rocken, und zwar in einer freien Welt. So wurde der Song zu einer Hymne auf die Freiheit, zu der alle abrocken wollten. Trump benutzte den Song für seinen Wahlkampf 2016. Young kritisierte Trump aber vor allem dafür, dass er keine Lizenz gekauft hatte. Nachdem dies nachgeholt war, durfte Trump den Song verwenden. Auch Bernie Sanders sowie die Demokratische Partei haben „Rockin’ in the Free World“ schon verwendet. Den Song in der Ukraine zu performen, bedeutet, darauf zu pochen, dass die Ukraine zur freien Welt gehört. Youngs Ankündigung kommt im Moment, in dem Trump die Unterstützung für die Ukraine infrage stellt.

Die Wucht geht aber weniger vom plakativen Refrain als von den Strophen aus. Ein fast apokalyptisches Bild wird vom angeblich freien Amerika gezeichnet. Den Strassen entlang treiben Obdachlose, die lieber tot wären: „There’s a lot of people saying we’d be better off dead.“ In der zweiten Strophe heisst es: „I see a woman in the night / With a baby in her hand/ There’s an old street light / Near a garbage can …“. Dann legt sie das Kind „weg“ – in den Müll? – und setzt sich einen Schuss. „She hates her life and what she’s done to it“. Ein Kind mehr, das nie zur Schule gehen, sich nie verlieben wird.

In der letzten Strophe zitiert Young die Antrittsrede von Präsident Bush sr. (1989). Die Nation würde nun „kinder, gentler“ werden, versprach Bush. „We got a kinder, gentler machine gun hand“, stellt Young die verlogene Phrase vom Kopf auf die Füsse und weist auf die kalte Sozialpolitik und Kriegstreiberei der republikanischen Regierung hin. „Keep on rockin’ in the free world“, der kraftvolle Aufruf des Refrains kann nach dieser bitteren Anklage nur als höhnische Ironie verstanden werden – sollte man denken.

Neil Young, Are You Passionate?, 2001

Produzent/ Neil Young, Booker T. Jones

Label/ Reprise

„Are You Passionate?“ fragt Neil Young schon auf dem Cover, und die hochsymbolische Rose vor Camouflage-Kampfanzug soll allen guten Amerikanern – und womöglich auch noch den angeschlossenen Supportstaaten! – einschärfen, wie weit die liebe Passioniertheit, wenn nötig zu gehen hat. Aber diese affirmative, abgeschmackte Agitprop-Poesie wird ja wunderbar konterkariert durch das sattsam bekannte und doch immer wieder faszinierende vierschrötige, ruppig-rurale Gitarrenspiel Youngs. Wenn er auch mal fulminant danebenhaut, die Blue-Notes bis zu geht nicht mehr überstrapaziert, klingt das so schön, wie eine kaputte, wurmstichige Les Paul eben klingen kann.

Vorallem „Goin’ Home“ ist noch so ungeschlachtet, brüchig, laut und zersplittert wie all die wunderbaren Epen „Cortez The Killer“, „Eldorado“ oder „Rockin In The Free World“. Dieser Sound scheint mir auch das akustische Äquivalent für das schlechte Leben da draussen zu sein. Und wie Young mit diesen tonalen Scherben umgeht, rührend besorgt, aufmerksam und doch auch mit Prätention, daraus etwas ästhetisch Haltbares zu machen, aber ohne diese Kaputtheit zu kaschieren, das lässt sich vielleicht auch als Zeichen einer Mitleidensfähigkeit, einer ehrlichen Anteilnahme interpretieren.

 

Neil Young & The Bluenotes, This Note’s For You, 1988

Produzent/ Neil Young, Niko Bolas

Label/ Reprise


„This Note´s For You“ von Neil Young ist eine Rhythm & Blues-Platte, nicht im übertragenen Sinne, sondern im Original-Sound und mit einer Big-Band. Auf diesem Album geht es darum, auf die gleiche Weise, wie bei früheren Gelegenheiten, das Leben auf dem Lande, das Leben in der Stadt zu feiern. Ein Lob den Hangouts, den Bands und den Frauen, die dance und know how to jump and shout.

Neil Youngs Rhythm & Blues ist für den Rhythm & Blues, was Fassbinders 50er für die 50er sind: eine dick aufgetragene, verführerische Idee, die für einen guten Zweck vermischt, was nicht zusammengehört: hineingeschmissene Elmore-James-Riff, mehrfach B.B.King und gestopfte Trompeten, keine akademische Rekonstruktion, sondern Blues als Bühnenbild, das auch auf die ganz normale Neil-Young-Gitarre und Komposition nicht verzichten darf. Leute wie Joe Jackson und Pete Townshend haben versucht ein solches Album zu machen und sind dabei gescheitert, weil sie sich nicht (mehr) trauten, irgendwo drauf zu hauen, weil sie keine expansiven, einnehmenden Persönlichkeiten sind (the real meaning of jump and shout), weil niemand so genau wie Neil Young weiss, wofür er kämpft, wenn er für das gute Leben kämpft.

Neil Young, Harvest, 1972

Produzent/ Neil Young, Jack Nitzsche

Label/ Reprise

„Harvest“ mit dem Hitmonster „Heart of Gold“ wurde damals als „kommerzieller Mist“ abgetan. Nichts war uncooler, als diese Platte zu mögen. „Harvest“ in aller Öffentlichkeit aufzulegen, das war wie Kindersex im Internet: Alltag, aber so etwas von unkorrekt! Dabei serviert uns hier ein auf die 30 zugehender Superstar seine ganze Twen-Angst, sein Bibbern vor dem Altern, sein bisschen Philosophie, spielt sein ungeheures Potential aus, ebenso einfache wie wundersam dauerhafte Melodien zu zaubern, zelebriert seine hünenhafte Selbstgerechtigkeit, die nur noch von seinem Mitgefühl für sein eben dem Krankenbett entwichenen Ich und eine Handvoll Freunde übertroffen wird.

Dazu chargiert Jack Nitzsche bombastische Orchesterarrangements à la Gershwin bis wir knietief durch Blut, Streicher und Tränen waten: Ja, „A Man Needs a Maid“. Dies alles in seiner Monströsität zu schätzen und zu verstehen, das Album „Harvest“ zu lieben, es nicht nur hippielagerfeuermässig auf das Nachträllern trauriger Liedchen zu reduzieren, sondern es in seiner Grösse, in seiner Humanität, Romantik und Sentimentalität auszustellen, das zeichnet den wahren Neil-Young-Fan aus, und nicht der Besitz einer 10-CD-Sammlung mit Live-Aufnahmen.

Neil Young, My My, Hey Hey (Out Of The Blue), 1979

Text/Musik/ Neil Young

Produzent/ Neil Young

Label/ Reprise

Eine der schönsten Fähigkeiten Neil Youngs war es immer, im Pathetischen genau zu sein, wenn alle nur ein bestimmtes, Scheitern bestätigendes Pathos und Bewegung und grosse Emotionen wahrnahmen und hören wollten, etwas ganz genau zu sagen, dem sich auch die grosse Aufwallung der Gefühle in seiner Gefolgschaft zu unterwerfen hatte. Seine grosse Hymne aus dem Jahr 1979 puncht Neil Young auf dem Album „Rust Never Sleeps“ gleich beidseitig: „My My, Hey Hey (Out Of The Blue) akustisch, und „Hey Hey, My My (Into The Black)“ elektrisch.

Als Neil Young den Song schrieb, war Punk gerade passiert und der Songwriter fühlte sich alt. Youngs Sätze sind explosiv und müde zugleich: „They give you this/ But you pay for that“, und natürlich „It’s better to burn out than to fade away“, der vielzitierte Slogan, den John Lennon hasste und Kurt Cobain in seinen Abschiedsbrief kritzelte. Schwer zu sagen, ob Nachgeborene die Kraft und Autorität des Songs in dieser Intensität spüren. Ich bekomme noch heute Gänsehaut.