Talking Heads, Speaking In Tongues, 1983

Produzent/ Talking Heads

Label/ Sire

„Speaking In Tongues“ ist ganz auffällig: Das Album wurde nicht von Brian Eno produziert. Auch fehlt die grosse Besetzung. Der Kern, die Ur-Besetzung macht die Musik und anders als früher zeichnet David Byrne nicht mehr allein verantwortlich für die Musik. Sondern jeder der Bandmitglieder bringt seine Ideen in die Songs, die er dann zusammenfügt.

„Speaking In Tongues“ hat sehr viel mit dem ersten Talking Heads Album gemein. Es ist die Rückbesinnung auf ihren Ausgangspunkt, ohne aber auf die vorallem mit Eno gemachten Erfahrungen, was Sound und afrikanischen Einfluss betrifft, zu verzichten. Nicht mehr soviel Percussion und dichter Sound, stattdessen kürzere, straffere Songs, in denen neben dem typischen Talking Heads-Funk die Gitarre und Byrne’s Stimme wieder eine grössere Rolle spielen. Er singt nicht mehr so getragen, sphärisch, sondern variationsreicher, in „Swamp“ sogar schon dreckig und in dem Love-Song „This Must Be the Place“ einfühlsam, lyrisch. „Burning Down The House“, das erste Stück, ist ziemlich aggressiv. Nur „Moon Rock“ und „Pull Up The Roots“ sind den beiden Platten davor am nächsten. „Speaking In Tongues“ ist hervorragend. Hier ist auch die musikalische Reise Byrne’s in ethnische Gefilde zu Ende. „Home – is where I want to be, but I guess I’m already there, I come home – she lifted up her wings, guess that must be the place“.

Talking Heads, Little Creatures, 1985

Produzent/ Talking Heads

Label/ EMI

„Little Creatures“ widmet sich dem Leben im Amerika der 1980er, dem Leben von Erwachsenen im Familiengründungsalter. Ronald Reagan mimt in seiner besten Rolle den harten, aber gütigen Präsidenten, verkauft Optimismus – und zerstört gleichzeitig die Mittelschicht. Doch das ist noch nicht überall spürbar. Der zappelige New Wave, der Minimal-Funk des Frühwerks ist auf dieser Platte kaum noch vorhanden, dafür gibt es Country, Gospel und viel Pathos. Begriffe wie „Highway“ oder „Factory“ verorten die Songs im Alltag, dem gegenüber gibt es versteckte Sehnsüchte. Doch die sind nie so wild, um das kleinfamiliäre Glück der „Little Creatures“ zu gefährden: Kinder brauchen Eltern. Hat man einmal Kinder, werden die eigenen Träume unbedeutend – wenn es ausser Kindern überhaupt je welche gab.

Am Ende des Albums schleicht sich doch eine Spur Zynismus ein: Wenn die Band wie der Gesangsverein von Backwood, USA, in einträchtigem Chorgesang „Road to Nowhere“ intoniert, ist schwer zu überhören, dass hier eine Haltung überführt wird, deren Selbstsicht vom Rest der Welt isoliert ist, alternativ- und fantasielos am Mythos des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten festhält: „We’re on a road to nowhere/ Come on inside/ Taking that ride to nowhere/ We’ll take that ride/ I’m feeling okay this morning/ And you know/ We’re on the road to paradise/ Here we go, here we go.“

Für David Byrne ist es ein „freudiger Blick auf den Untergang“, dessen eröffnender Chor nur inkludiert wurde, weil er ein wenig beschämt darüber war, dass der Song praktisch nur aus zwei Akkorden besteht. Das scheint niemanden gestört zu haben. „Little Creatures“ verkaufte sich allein in den USA  über zwei Millionen Mal, im Rest der Welt wahrscheinlich noch einmal so oft. Und die Hitsingle „Road to Nowhere“ sorgte zur Zeit von MTV mit dem berühmt gewordenen Video zum Song für den Bekanntheitsgrad der Band.

Talking Heads, Once in a Lifetime, 1981

Text/Musik/ David Byrne, Brian Eno

Produzent/ Brian Eno

Label/ Sire

Der Song hat eine wunderbar eingängige Hookline. Ein perfekte Kombination, mit der es den Talking Heads gelang, so ziemlich alle irgendwo abzuholen – egal, ob zum Tanzen oder Zuhören. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der in der Lebensmitte aus seiner konsumbetäubten Umnachtung erwacht, einen Blick über das Hamsterad gesellschaftlicher Erwartungen und Normen hinaus wirft und sich fragt: „Wie zum Teufel bin ich hierhergekommen?“ Doch David Byrne wäre nicht David Byrne, wenn er die ganze Angelegenheit nicht völlig absurd und hochkomisch verpacken würde. Zunächst zählt er auf, wo man sich nach Jahren der Quasi-Amnesie überall wiederfinden kann: an einem anderen Ort der Erde, in einer Bretterbude, am ehesten aber in einer stereotypen Mittelklasseidylle – hinter dem Steuer eines grossen Autos, in einem wunderschönen Haus mit einer wunderschönen Frau. Dann folgt eine Reihe von Frage, die die existenzielle Verunsicherung der Lebenskrise blosslegen: Ist das überhaupt mein Auto? Ist das überhaupt meine Frau? Wird sich bis zu meinem Tod überhaupt noch etwas ändern?

Es ist grossartig, wie Byrne in seinem Sprechgesang diese Verwirrung inszeniert. Er war bekannt dafür, sich auf seine Gesangspartien wie ein method actor vorzubereiten – ein Schauspieler, der sich in seine Rollen so intensiv wie möglich einfühlt. Halb verzweifelt, halb predigend gipfelt sein Gesang schliesslich an der existenziellsten Frage überhaupt: „Mein Gott, was habe ich getan?“  Und dann kommt der Refrain: Das einzig Zuverlässige ist, dass das Wasser fliesst. Das mag abstrus klingen, kann aber ungemein beruhigen. Ob unterirdisch oder überirdisch, selbst auf dem absoluten Tiefpunkt strömt es dahin wie die Tage, im immerwährenden Kreislauf. Es ist diese Wassermetaphorik, die den gesamten Song umfliesst, was auch die blubbernde, sprudelnde Keyboardmelodie unterstreicht und ebenso die Bassfigur („Didadap-dadodopp“), die sich im ganzen Stück nicht verändert.

Talking Heads, Psycho Killer, 1977

Text/Musik/ David Byrne, Chris Frantz, Tina Weymouth

Produzent/ Tony Bongiovi

Label/ Sire

Sieben Mal das A, ein kurzes E, danach ein G, das für den Bruchteil einer Sekunde ausklingt: Neun Anschläge und drei Noten brauchte Tina Weymouth für eines der eingängigsten Bass-Riffs aller Zeiten – das Intro von „Psycho Killer“. Der Song führt in die grandiose Anfangsphase der Talking Heads zurück, als sie wirklich die beste Band der Welt waren (auch wenn das damals noch nicht so bekannt war). Übrigens auch der erste Song, für den Weymouth einen Bass in die Hand nahm.

In ihre Rolle als Bassistin sei sie einfach reingewachsen, sagte Weymouth bescheiden, und habe geschaut, was sie im Rahmen ihrer Fertigkeiten zur Band beitragen konnte. Ihr Beitrag war enorm. Den mäandernden Songstrukturen, den zerstreuten Gitarrenlinien von Jerry Harrison und dem nervösen, manchmal überschnappenden Gesang von David Byrne gebot Weymouth mit repetitiven Mustern Einhalt, die bei allem Minimalismus ziemlich funky waren. Damit gab sie den Talking-Heads-Stücken, zusammen mit Chris Frantz am Schlagzeug, einen sehr eingängigen und melodiösen Groove. Kurzum: Sie erdete den spektakulären Irrsinn. “Psycho Killer“ ist das beste Beispiel dafür.

Talking Heads, True Stories, 1986

Produzent/ Talking Heads

Label/ Sire

Natürlich kann es noch schlimmer kommen, denn das hier ist nicht nur grossartig, sondern auch noch wahr. Getreulich aufgezeichnet von einer Band, die ehemals als zu kopflastig verrufen war, die jeden Menschen zum Studenten machte, auch wenn er kein Abitur hatte. Abends in der Kneipe wurde dann wieder diskutiert, was dieses Stück sei, das sei eigentlich auch nicht schlecht. Und die neuste von den Talking Heads, habe irgendwie meiner Meinung nach auch wieder den Glanz eines Meisterwerks.

In leicht fasslicher Form gibt es auf „True Stories“ eine Abrechnung mit der grausige Welt der US-Kleinbürger. „True Stories“ ist aber nicht nur eine Platte, sondern auch gleichzeitig ein Film. Eine skurrile Momentaufnahme eines kleines Städtchens mitten in Texas voller seltsamer Typen, die in ihrer jeweils eigenen Welt leben und sich durch den Alltag einer Kleinstadt quälen. Subtiler und feiner Humor, eingepackt mit den Songs und reizvoll kontrastierend mit patzigen Dirty-Bubblegum-Pictures. Alles ein bisschen schmierig. In den Videos, bei denen einen das Grausen anfliegt, kommt David Byrne als Bandmitglied immer noch am Besten raus.  Das aber dieser eingeschlagene Weg nicht der richtige war, zeigte sich bereits zwei Jahre später mit dem letzten Album der Band. „Naked“ ist eine grandiose Rückkehr zum besten Album „Remain in Light“.

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Talking Heads, Fear Of Music, 1979

Produzent/ Brian Eno

Label/ Sire Records

Was der Rolling Stone in seiner Rezension der zweiten Talking-Heads-Platte formulierte, könnte eine Definition ihrer dritten sein: „Although Rock’n’Roll usually celebrates release, the Talking Heads dramatize repression“. Die neurotische Bipolarität von „Fear Of Music“ findet im Sound der Platte ihren Ausdruck. Der Sound klingt abgehackt, die Musik hart, atemlos eingepresst in die afrikanisierten Rhythmen, mit denen Byrne und Brian Eno zu arbeiten begonnen haben. Die Texte haben einen paranoischen Unterton. Ein „Life During Wartime“ wird beschrieben, ein Leben im Untergrund und der Erzähler auf der Flucht.

Selbst Drogen helfen nicht weiter, wobei das Stück „Drugs“ nicht von Psychedelika handelt, diese Träume sind längst verdampft. Die Drogen der Achtziger sind Kokain und Amphetaminderivate, Aufputscher – Leistungskatalysatoren. Bei den Aufnahmen zu „Drugs“ läuft Byrne im Studio zwischen zwei Mikrophonen hin und her, um den Eindruck von Atemlosigkeit zu erzeugen. Im Begleitheft der Talking-Heads-Kompilation „Sand In The Vaseline“ (1992) gesteht Byrne: „I couldn’t handle marijuana. It made me paranoid“. Und über Kokain schreibt er: „A problem waiting to happen. Too many late nights (it was usually accompanied by drinking) and spaced out days and soon I decided to stop.“