
Tim Buckley, Dream Letter: Live in London 1968, 1990
Produzent/ Bill Inglot
Label/ Manifesto Records
Tim Buckley wäre mir wohl kaum gross in Erinnerung geblieben, wäre nicht 1990 unter dem Titel „Dream Letter“ der Mitschnitt eines Konzertes veröffentlicht worden, dass er 1968 in London gegeben hatte. Der Folkmusiker von der amerikanischen Westküste hatte seinerzeit gesungen wie kaum jemand sonst. Und man hätte es wissen können, wie die Wiederveröffentlichung seiner Studioalben anschliessend zeigte, Buckleys Musik erlebte in den frühen 90er Jahren eine Renaissance, es wurden Anthologien veröffentlicht und weitere Konzertmitschnitte; die kurze erfolgreiche Karriere seines ebenfalls früh verstorbenen Sohnes Jeff weckte auch das Interesse an Tim, dem Vater.
„Dream Letter“ ist ein Album, das ich häufig spät nachts hörte. Die Songs sind sparsam arrangiert, leicht fast schwebend, und trotzdem von beinahe unerträglicher Melancholie. Tagelang hatte ich dann noch seine Stimme im Ohr, wie sie „ Just like a buzzin‘ fly / I come into your life / Now I float away / Like honey in the sun / Was it right or wrong / I couldn’t sing that song anyway“ singt.
Eigentlich war Tim Buckley kein Folksänger sondern ein obsessiver Eklektizist, der alles verwendete, was ihn musikalisch beeindruckte und weiterzubringen schien: türkische Volks- und balinesische Tempelmusik, Geräuschkollagen, Funk, Chansons, Avantgarde, Blues, Karnevalsklänge. Der psychdelische Folkrock seiner ersten Platten war nur die Aneignung einer neuen, gerade entstehenden Spielweise. Buckleys Stimme umfasste vier Oktaven, er war ein Bariton und ein Tenor mit dem Volumen eines Opernsängers: ein Sänger, kein Dichter. Die Lieder waren für ihn nur das Medium für die höhere Wahrheit des Gesangs. Buckley wollte nicht nach Sternen navigieren, sondern sie, in einem heute fast altmodischen Sinne, erreichen. Diese Radikalität ruinierte sein Leben und die Karriere. Am 29. Juli 1975 starb Tim Buckley in Alter von 28 Jahren an einer Überdosis Heroin. Es war ein Versehen, er hatte das weisse Pulver für Koks gehalten, und eigentlich war er gerade clean. Er hatte keinen Plattenvertrag.

