Various Artists, Hitsville USA, The Motown Singles Collection 1959 – 1971, 1992
Produzent/ Berry Gordy
Label/ Motown
Gegründet wurde das Plattenlabel Motown 1959 von Berry Gordy in Detroit, der vorher für die Ford-Werke am Fliessband stand und das dort gelernte Prinzip einfach auf die Musik übertrug. Allein der Chef entschied, welcher Song veröffentlicht wurde und welcher nicht. Aus seinem Ziel und seinem Anspruch machte der damals 29-Jährige dabei nie einen Hehl. Über seinem Haus brachte Gordy als Mission-Statement ein Schild mit der Aufschrift „Hitsville USA“ an – es sollte alle Künstler daran erinnern, warum sie rund um die Uhr in sein Studio kommen konnten: Hits, Hits, Hits – am besten ohne Pause.
Gordys Besessenheit machte sich bezahlt. Mit gerade mal 800 Dollar Startkapital hatte er 1959 Motown Records gründet, 28 Jahre später verkaufte Gordy Motown an den Branchenriesen MCA – für 61 Millionen US-Dollar. Dazwischen lag eine beispiellose Karriere, in der Gordy zum Hexenmeister des Pop avancierte. Detailversessen sezierte er erfolgreiche Popsongs, um ihr Hitpotential herauszudestillieren. Diese Fähigkeit machte den Musikfanatiker schliesslich zu einem der einflussreichsten Pop-Produzenten überhaupt – und Motown Ende der sechziger Jahre zum grössten von einem Afroamerikaner geführten Unternehmen in den USA. Bei Motown standen die Top-Stars der Ära unter Vertrag: Smokey Robinson & The Miracles, The Marvelettes, Diana Ross & The Supremes, The Temptations, Martha Reeves & The Vandellas, Stevie Wonder, The Jackson Five – eine Armee begnadeter Künstlern, die das Publikum von Detroit aus mit süssestem Soul bombardierten.
Doch auch die schönste Zeit endet irgendwann. Anfang der Siebziger waren die Charts überschwemmt mit kariösen, zuckersüssen Drei-Minuten-Popperlen, die kaum noch in die Zeit passten. Angesichts des Vietnam-Kriegs und einer aufgeladenen politischen Stimmung in den USA verlangte das Publikum nach mehr Inhalt anstatt der ewigen Boy-meets-Girl-Platitüden. Und Gordy reagierte: Mit Edwin Starrs Antikriegslied „War“ 1970 surfte Motown auch auf dieser Welle. 1971 nahm Soul-Legende Marvin Gaye für das Label sein düsteres Meisterwerk „What’s Going On“ auf, unter dessen Einfluss die gesamte Black Music in den Siebzigern eine neue Richtung einschlug.
Motown war meine Einführung in die Soul Musik als Teenager in den Siebzigern.
Wohingegen man sicherlich über Gordys starre Hitformel geteilter Meinung sein kann und viele der Motown Songs nach einer kurzen Weile sehr ähnlich klingen, hatte der Mann definitiv ein Gespür für Musik, die sich gut verkaufte. Und die Stücke hatten ja auch zweifellos eingehende Melodien und gingen ins Bein. Weiterhin ist es schon eindrucksvoll zu sehen, wie viele Soul Stars durch Motown geboren wurden.
Obwohl ich Motown Musik nach wie vor gerne höre, hat sich meine Präferenz in den letzten paar Jahren zunehmend Richtung Memphis Soul/Stax verschoben. Die Kombination von Blues und Soul in Stax Produktionen finde ich genial. Mit Booker T. & the M.G.s hatte das Label eine herausragende House Band dieses Konzept umzusetzen. Natürlich kann man auch hier nach einer Weile eine Wiederholung von Musikelementen in den Stücken erkennen.
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Der französische Soziologe Frédéric Martel schreibt in seinem Buch „Mainstream“, dass mit der Gründung von Motown die moderne Popmusik als Massenabfertigung begann. Der Trick bestand darin, eine Musik zu schaffen, die von der schwarzen Bevölkerung als cool empfunden und dann von zahlreichen weissen Teenagern für sich entdeckt wurde. Der wahrscheinlich genialste Zug von Gordy aber war, dass er technisch perfekte Jazzmusiker als Hausband engagierte, die mit Leichtigkeit die melodischen Popnummern einspielen konnten. Dass der Überblick über die grössten Erfolge von Motown gleich vier CDs braucht, sagt eine Menge über die Bandbreite des Labels während seiner goldenen Zeit aus.
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Keine Frage, Gordy hatte ein sehr gutes Gespür für Marketing und Effizienz. Und wenn auch die resultierende Musik sich dauernd wiederholte, waren die Songs einfach sehr gemacht.
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So wie Raynoma Singleton, Ex-Frau von Berry Gordy, in ihrem Buch „Berry, Me, and Motown“ (1990) erzählt, war Gordy ein Kontrollfreak, der nichts dem Zufall überliess. Selbst fertige Singles holte er vom Markt, wenn sie nicht liefen und ersetzte sie dann durch neue Versionen.
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Wow! Lange Zeit hat dies ja auch durchaus eindrucksvolle Erfolge gebracht, was Gordy vermutlich bestärkte eine solch enge Kontrolle auszuüben.
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Gordys Kontrolle war immens. Er liess z.B. seine Künstler in Benimmkursen drillen, damit ihre Umgangsformen denen des gehobenen, weissen Zielpublikums der sechziger Jahre entsprachen. Smokey Robinson erzählte, Gordy habe ihn und die Miracles um 4 Uhr morgens aus den Betten geholt und ins Studio beordert. Dem bereits produzierten Track „Shop Around“ fehle der nötige Kick. So schaffe er es nie an die Spitze der Charts.
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Wohingegen Gordy als schwarzer Musik-Entrepreneur es sicherlich nicht leicht hatte, ist ein solches diktatorisches Verhalten aus kreativer Sicht zumindest auf längere Dauer zum scheitern verurteilt. Letztlich haben sich ja dann auch Künstler wie Marvin Gaye und Stevie Wonder von Gordy emanzipiert. Gleichwohl ist Motown für lange Zeit enorm erfolgreich gewesen, was angesichts der obigen Situation umso bemerkenswerter ist.
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„Money“ von Barrett Strong war Berry Gordys erster Hit auf seinem Label. Was Gordy machte, war einfach sehr gerissen. Er verkaufte den schwarzen Soul an weisse Hörer. Gegenpol war das Label Stax (mit Otis Reding, Sam & Dave oder Isaac Hayes) das sich vorallem bei schwarzen US-Amerikanern etablierte.
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Es ist schier unglaublich, wie viel von diesen Stücken ich kenne. Ich hätte nicht gedacht, dass ich zu den Zeiten, als ich Beat und anschließend Rock hörte, so viel davon mitbekommen habe. Die Musik muss allgegenwärtig gewesen sein, besonders wenn man bedenkt, dass damals Popmusik nicht ununterbrochen verfügbar war, sondern nur selten im Radio und kaum im Fernsehen auftauchte.
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Natürlich war es Fabrikware, was Berry Gordy in Detroit produzierte, aber des Motown-Soul hatte eben auch etwas Einzigartiges. Ich denke hier an die distanzierte Eleganz Marvin Gayes, der Supremes und der Temptations, die emphatische Kraft der Four Tops und von Martha Reeves & The Vandellas, die Intensität Stevie Wonders; dazu die so verschiedenartigen Songschreiberfähigkeiten von Holland-Dozier-Holland, Smokey Robinson, Ashford & Simpson und Norman Whitfield – dies alles strahlte weit aus in Zeit und Raum.
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