Bruce Springsteen, Born To Run, 1975

Produzent/ Bruce Springsteen, Mike Appel, Jon Landau

Label/ Columbia Records

„Born To Run“ ist so etwas, wie „Astral Weeks“ für Van Morrison war; ein endgültiger und logischer Schritt aus einer musikalischen Vergangenheit in eine Zukunft ohne einengende Kategorien, wo die Musik aufhört, Vergleiche herauszufordern, wo er einfach jemand ist, der seine eigenen Lieder singt und die Musik einfach die Musik von diesem Typen… eh, wie heisst er noch… ach ja, Bruce Springsteen, ist.

Gleich das erste Stück „Thunderroad“ ist ein Stück bewältigte Vergangenheit: Wehmütig verlieren sich einige dylaneske Mundharmonikatakte, um Platz für Springsteens Stimme zu machen, die sich brüchig und unsicher in das Lied zu tasten scheint. Aber diese Unsicherheit dauert nicht lange. Es ist vorallem Springsteens Band, die seine Gitarre antreibt. Hervorragender Solist ist der Saxophonist Clarence Clemons, der es auf „Jungleland“ auch mit einem kompletten Streichersatz aufnimmt, der vielleicht nicht sein musste, und die Nummer davor bewahrt, der einzige Ausrutscher der Platte zu werden.

Bombastisch! Ja, das stimmt. Aber auch wenn einige Passagen dieser Platte objektiv überladen sind, wirken sie auf mich nicht so, weil diese Überfrachtung nicht mangelnde Ideen oder musikalische Schwächen mit technischen Mitteln zu übertönen versucht. Springsteen ist auf „Born To Run“ manchmal etwas übers Ziel hinausgeschossen, seine Energie ist vielleicht noch etwas zu unkontrolliert. Aber diese Energie, diese durchgehende Vibration ist es, was die Platte noch heute so lebendig und überzeugend macht.

21 Gedanken zu “

  1. Es ist so viel zu „Born To Run“ geschrieben worden und ich staune, weil ich glaubte, dass Du schon vor ein paar Jahren darüber in Deinem Blog ein paar Zeilen losgeworden bist.

    Keine Frage, ES ist DAS Album von Bruce Springsteen. Der Mann, der erst mit der Gitarre in der Hand zu sprechen begann, eröffnet das Album aber mit einem Klavierstück. Eine einzige Sommernacht, Freundschaft, Verrat, Sehnsucht, Beschwörung, Mut zum Ausbruch und doch, „not even dead“ heult Bruce zum Abschluss in „Jungleland“.

    Aber es ist nicht mein liebstes Album vom Boss. Ich bevorzuge den Nachfolger, „Darkness On The Edge Of Town“. Vielleicht, weil ich mich lieber in der hart auf den Boden landenden, nüchternen Realität wähne?

    Es ist aber ein gutes Album. Klanglich natürlich inspiriert von dem kürzlich verschiedenen Irren, der den „Wall of Sound“ erfand.

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    1. Für mich ist „Born To Run“ eine opulente Mischung aus Spector-Kathedralensound, souligem Rhythmus und röhrendem Saxophon, tief verwurzelt in der Tradition des alten Rock’n’Roll, aber frei von nostalgischen Klischees. Springsteen hat mit seinen Texten vorallem auf die deprimierende Stimmung Mitte der 70er Jahre in den USA hingewiesen (Trauma des Vietnamkriegs, Rassenkonflikte und Watergate). Die Figuren in den Songs sollen Mut machen, auch wenn ihnen nichts als die Flucht nach vorn bleibt, um ihr kleines Glück zu finden: „Tramps like us, baby we were born to run…“ – Ein durchwegs bis heute gültiges Statement. „Darkness On The Edge Of Town“ gehört natürlich auch zu meinen Springsteen-Favoriten.

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  2. Na, da freu ich mich.
    Aber verstehe ich das richtig: „Jungleland“ wäre beinahe ein Patzer geworden? Inwiefern?
    Das mit der Überfrachtung und der unkontrollierten Energie teile ich hingegen.
    Herzliche Grüße aus München!
    (PS: Den Big Man hast du übrigens mit einem „m“ zu viel befrachtet 😉)

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    1. Danke für den Korrekturhinweis, Natascha! Springsteen hat zwei Jahre an „Born To Run“ gearbeitet. Als er sich auf Tournee zum ersten Mal die Testpressung des fertiggemasterten Albums angehört hat, steht er auf, nimmt die Platte wortlos von dem portablen Plattenspieler, den er für die Tournee mitgenommen hat, geht hinaus und wirft sie in den Hotelpool. Der Aufnahmeleiter Jimmy Iovine und die Musiker der E-Street Band sind fassungslos und Springsteen ausser sich. Er verweigert rundaus seine Zustimmung zur Veröffentlichung. Alle Beteiligten sind nach dieser Produktion am Ende und Springsteen selbst fällt es am schwersten, dieses Album, das ihm so viel abverlangt hat, endlich loszulassen.

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  3. „Born to Run“ ist nach wie vor mein Lieblingsalbum von Springsteen. „Thunder Road“, „Tenth Avenue Freeze-Out“, „Backstreets“, „Jungleland“ und natuerlich der Titelsong – so viele Klassiker auf einer Scheibe!

    Nach zwei kommerziell erfolglosen Platten lag Springsteen die Plattefirma im Nacken ein Album zu machen, dass sich verkauft. Gluecklicherweise ist ihm ein Wunderwerk gelungen, dass musikalische und kommerzielle Ansprueche befriedigte.

    Wer weiss, was passiert waere wenn diese Scheibe ein anderer Flopp geworden waere…

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    1. Springsteen hatte eine Menge Selbstzweifel den den Aufnahmen zu „Born To Run“. Der Grund war nicht nur der Druck der Plattenfirma, sondern seine hohen Ansprüche: Er wollte unbedingt das perfekte Album machen, er wollte die Quadratur des Kreises. Es war Jon Landau, der ihn dann überzeugte, dass weniger mehr ist.

      Meine meine Favoriten „Tenth Avenue Freeze-Out“, „Backstreets“ und der Titelsong. Nicht alle Songs überzeugen mich, so wie diese. Aber Springsteen macht das mit seiner Energie wieder wett.

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      1. „Backstreets“ ist in meinen Augen eines seiner kompositorischen und lyrischen Meisterwerke (derer es in seinem Gesamtwerk vielleicht 4-5 gibt). Und er ist ein besessener Arbeiter und Perfektionist gewesen, zumindest damals.

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      2. „Backstreets“ ist eine Kurzgeschichte im Songformat aus der Welt der amerikanischen Vorstadtjugend. Hinter der Fixierung auf schicke alte Autos und Highways, stehen die existentiellen Fragen des Erwachsenwerdens, die Schwierigkeit ein Mann zu sein oder zu werden; in einer Welt die einem nichts schenkt, Kompromisse schliessen zu müssen; die Suche nach Freiheit, Liebe, Integrität. Springsteen distanziert sich nicht, er scheint mittendrin zu stehen und die Hoffnungen dieser Leute zu teilen.

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  4. Das „gefällt mir“ habe ich für Deinen engagierten Bericht geklickt.
    Mit Springsteen konnte ich nie etwas anfangen. Sein Image als „Linker“ nehme ich ihm nicht ab. Für mich ist er ein Künstler, der seine Marktlücke in einem knallharten Geschäft gefunden hat. Was ihn für mich mit Herrn Grönemeyer verbindet, dass man seine Texte mitlesen muss, um sie zu verstehen.

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    1. Danke, Robert! Auf „Born To Run“ ist Bruce Springsteen noch ein Protagonist des 70er Jahre Rock; ein Storyteller auf der Suche nach der grossen Utopie der Freiheit und Liebe, bevor er dann sein strenges Arbeitsethos entwickelt und die Position dieser moralischen Instanz als Entertainer verinnerlicht hat. Springsteen und seine E Street Band hatten auch auf der Bühne etwas zu bieten. Wer einmal eine seiner Stunden andauernden Shows erlebt hat, der kennt die Spielfreude von diesem Mann und seiner Band. Dabei geht es weniger um die harmonische Vielfalt, sondern um den schieren Enthusiasmus, mit dem sie die Songs aufführen.

      Grönemeyer hingegen klingt für mich nur mittelmässig. Songs wie „Bochum“, „Männer“ oder „Alkohol“ haben zwar eine gewisse Substanz, aber sind zum Anhören für mich doch eher eine Herausforderung als ein Genuss.

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      1. Ich habe kein Konzert von Springsteen live erlebt. Aber selbst auf den filmischen Konserven seiner Konzerte ist sein Enthusiasmus erkennbar.
        Es ist merkwürdig. Wenn ein neuer Musiker oder eine neue Band bekannt wird und man hört einige Nummern, die einem nicht ins Herz gehen, dann ist man für deren Musik schon fast verloren.

        Grönemeyer – eine Herausforderung: da stimme ich sofort zu.

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  5. When I hear it I think of Spector on steroids. The album to me is a continuation…a journey to Springsteen’s universe that I started to know on the first album with Spirit in the Night. Same characters, just a little older and a little more desperate. Backstreets is the one to me that I cannot miss when I listen to it.

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    1. „Born To Run“ isn’t the best Springsteen album for me. There are albums that are more attractive in their way. But „Born To Run“ remains a milestone in rock music. „Backstreets“ is one of my favorite songs too. Beautiful piano especially at the beginning. Bruce paints such a wonderful story that I can picture what he is singing about every time I hear this song.

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      1. I think I’m in the minority on this but the best Springsteen album for me is Greetings… I know its raw both in sound and writing but it speaks to me.
        I totally agree…Born To Run was a milestone album.

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      2. This isn’t my favourite Springsteen album. The songs are very catchy, but I find Springsteen’s voice a little inferior on this album, compared to albums like „Darkness On The Edge Of Town“.

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  6. Ich höre es auf dem Plattenteller von Garrard Model 301 in meinem Zimmer.
    Es ist ein besonderes Lied für mich.

    Gurinder Chadhas „Blinded by the Light (Film 2019)“ und Jim Cummings „Thunder Road (Film 2018)“.
    In beiden Filmen hatte dieses Lied eine wichtige Bedeutung.

    Ich habe das Gefühl, dass eine gute Arbeit den Osten und Westen des Ozeans überschreitet.

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    1. Danke für Ihren Kommentar! Mein Bruder war früher auf High End, deshalb sind mir die Plattenspieler von Garrard bekannt. Ich selbst hatte immer Plattenspieler von Lenco und nie Probleme damit.

      In dem Film mit Jim Cummings ist es ja ein Kasettenrecorder, der mit Bruce Springsteens „Thunder Road“ auf der Beerdigung seiner Mutter nicht funktioniert.

      Eine gute Arbeit kann wirklich den Osten und Westen des Ozeans überschreiten, wobei Bruce Springsteen wohl der amerikanischste aller Musiker sein dürfte.

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    1. „Born to Run“ is definitely worthwhile listening. It’s one of those albums that has not a dated sound. I saw Springsteen first in 1984 with the E Street Band. He and big old Clarence did a incredible show.

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