Elvis Presley, I Washed My Hands in Muddy Water, 1971

Text/ Musik/ Joe Babcock

Produzent/ Felton Jarvis

Label/ RCA Victor

Es war ein unbekannter Zyniker aus Hollywood, der den oft weiterverwendeten Kurzkommentar abgab: „Smart Career Move“, schlauer Karriereschritt. Gemeint war der Tod von Elvis Presley am 16. August 1977. Wie recht der Mann hatte, zeigt das Vermögen, das seit dem Tod von Elvis mit dessen Namen erwirtschaftet wurde. Hohe Umsätze dank Platten, Memorabilia, Kleiderkitsch und Museumsbesuchen. Jedes Jahr seit seinem Tod, meldet die BBC, brachte der Kult um Elvis mehr als 20 Millionen Dollar ein, darunter eine Million verkaufter Platten. Dabei stirbt die Generation weg, die ihn schon kannte, als er noch lebte. Egal, sagen die Fans. Sie hören Elvis-Imitatoren zu, suchen Graceland auf, sein Heim in Memphis. Oder das Sun Studio, in dem Elvis seine ersten Aufnahmen machte.

Ein dänischer Unternehmer, der Graceland schon über 100-mal besucht hat, liess das Anwesen in der Stadt Randers nachbauen: als Museum, Restaurant und Verkaufsstelle. Elvis’ Lieblingssandwich gibt es dort für 15 Euro. Es besteht aus geröstetem Toastbroat, Speck, Bananen, Konfitüre und Erdnussbutter. Solches Essen hat wohl zu Elvis Presleys smartem Career Move beigetragen: Bei seinem Tod wog er 120 Kilogramm; er war 42 Jahre alt.

The Kinks, Greatest Hits!, 1966

Producer/ Shel Talmy

Label/ Reprise

Es soll Leute geben, die von den Kinks nur „Lola“, „Waterloo Sunset“ oder „Apeman“ kennen. Diesen Armen hilft diese Oldie-Ausgrabung ganz entscheidend. Auf dem Album sind alle Hämmer von Ray Davies, bis „Lola“ (als Bonustrack) enthalten. Meisterwerke der Popmusik von einem ihrer Grössten. Was für eine Pfeife ist so ein Neurockstar wie Machine Gun Kelly verglichen mit Townshend, Lennon und Ray Davies. „All Day And All Of The Night“, „A Well Respected Man“, „Sunny Afternoon“, „You Really Got Me“, „Dedicated Follower Of Fashion“ und und und. Es macht heute genauso Spass, sich diese Songs anzuhören wie damals.

The Byrds, So You Want To Be a Rock’N’Roll Star, 1967

Text/Musik/ Jim McGuinn, Chris Hillman

Produzent/ Gary Usher

Label/ Columbia

Herrlicher, buttriger Schnippizismus! „So You Want To Be A Rock’N’Roll Star“ ist eine praktische Abhak-Liste, ein kundiges Mitsingseminar, ein satirischer Schwinger – in Richtung all jener Bands, die nach den anfänglichen Erfolgen der Byrds die Charts blockierten. Exemplarisch wären da vorallem die Monkees zu nennen, die von den Byrds als blosse Plastikchargen gesehen wurden, künstlich nach Publikumswirksamkeit zusammengebastelt und auf schnellen Verkaufserfolg modelliert. Allerdings verkauften sie mit diesem Bauplan nichtsdestotrotz Millionen Platten, wohingegen die Byrds selbst nach ihrem dritten Album auf mittelprächtigen Speersitzen in den Charts Platz nehmen mussten. 1967, als „So You Want To Be A Rock’N’Roll Star“ erschien, zählten die Monkees unbestritten zu den populärsten amerikanischen Bands.

Um ihre Botschaft zu übermitteln, wählten die Byrds die direktestmögliche Ansprache – ein Song, der sich gleich mit dem zweiten Wort unmittelbar an die Zuhörer wendet. Verstärkt wurde dieser Effekt noch durch das „so“, das Vertraulichkeit und einen bereits bestehenden Diskurs suggeriert: Es wird nicht relativ neutral die Möglichkeit angenommen, der Zuhörer oder die Zuhörerin könnte sich selbst eine Musikkarriere erträumen, wie es ein Wörtchen „if“ ausgedrückt hätte, sondern es wird scheinbar an eine bereits vorangegangene diesbezügliche Willenserklärung des lauschenden Gegenübers angeknüpft: „Aha, du willst also ein Rock’n’Roll Star werden, Freundchen? Dann pass mal auf!“

Wreckless Eric, Greatest Stiffs, 2001

Produzent/ Larry Wallis, Nick Lowe

Label/ Metro

Gäbe es Gerechtigkeit in der Pop-Welt, wäre Wreckless Eric ein bewunderter, steinreicher Weltstar. Mit seiner ersten Single, dem vielfach gecoverten „Whole Wide World“ landete er 1977 einen Hit, auf den er heute oft reduziert wird. Klar, „Whole Wide World“ ist ein Evergreen – aber was ist mit „Reconnez Chérie“, „Veronica“, „A Pop Song“, „Semaphore Signals“, „Hit and Miss Judy“, um mich hier nur auf sein Frühwerk auf dem New-Wave-Label Stiff Records zu beziehen?

Es reichte nicht für einen nachhaltigen Durchbruch: Wreckless Eric blieb im Schatten seiner Labelmates Ian Dury und Elvis Costello. Er war schrulliger, eigenwilliger, aber auch rührender und auf eine britisch diskrete Art verletzlicher. Er hatte Humor, er war unprätentiös und verfügte über keinerlei Talent zur Selbstvermarktung. Dass er zu viel trank und ein paar Jahre als Karikatur seiner selbst durch die grosse weite Welt torkelte, hat ihm auch nicht eben geholfen.

Wreckless Eric kann Banales in Einmaliges verzaubern. Seine Lieder sind wie verzitterte Polaroidbilder die kleinen, aber wahren Freuden, Leiden und andere Ereignisse und Gefühle des Lebens. In der Melodie liegt Wreckless Erics Stärke: Seinen Alltagsblues tränkt er nicht in Moll, sondern spielt ihn offen und hell in Dur. Seine Songs sind meistens traurig, und das spürt man, und doch klingen sie irgendwie fröhlich.

Blondie, Eat To The Beat, 1979

Produzent/ Mike Chapman

Label/ Chrysalis

Blondie war wohl die einzige Gruppe im Umfeld der New Yorker-Punkszene, die sich einen Seitensprung ins Disco-Lager erlauben konnte. Das lag vorallem an Debbie Harry – eine Punk-Marilyn, eine Superblondine des Pop. Ihr Image war der Schlüssel für den Aufstieg der Gruppe. Letztlich war die Kunstfigur Blondie Teil einer bewussten Strategie, mit der sie die stereotypen Erwartungen an ihre Weiblichkeit scheinbar bereitwillig bediente, sie letztlich aber unterlief, sie ironisierte und dazu benutzte, ihren persönlichen Aufstieg zu Ruhm und Reichtum zu bewerkstelligen.

Spätestens zeigte sich das in in ihrem vierten Album „Eat To The Beat“ von 1979, wo Debbie Harry innerhalb einer einzigen Schallplatte soviele Rollenspiele gesammelt hatte, dass sie sich durch die Bandbreite einer Madonna-Gesamtretrospektive schlängeln konnte. Keine Blondie-Album klingt ungeduldiger und launischer. Der Schlagzeuger Clement Burke spielt viel zu viel: In „Accidents Never Happen“ versechzehnfacht er den Rhythmus, Debbie Harry maunzt erst „Now you love me“ (lockend), keift dann „I, yeah, I can tell“ (wegstossend). Blondie hatten zwei Gitarristen, aber keiner von ihnen spielt Rhythmus-Gitarre – beide nibbeln, das kann New Wave sein oder sehr alter Rock’n’Roll.

Genau, eigentlich braucht es gar nicht viele Worte, um die Musik zu beschreiben. Blondie waren halt eine ausserordentlich seichte Gruppe, und je länger es sie gab, desto mehr wurden sie – während Debbie Harry ihre Methoden ausdifferenzierte – zu Katalysatoren für das ganze Zeug, das im Supermarkt als Hintergrundmusik aus dem Radio kommt. Aber letzlich geht es mir bei diesem Album eher um Erinnerungen und Ausdruck einer vitalen spät-70er-Jahre Energie.

Captain Beefheart And the Magic Band, Ice Cream For Crow, 1982

Produzent/ Captain Beefheart

Label/ Virgin Records

Der Captain hat zwar ein extremer Gesang, Kreischen, Röcheln, atemloses Hecheln von Nonsenstexten: „Ink math ah ratics/ mathfantastics/ ink mathermatics/ moon to a flea/ ink math matics/ hop along with me“. Aber die musikalische Aufbereitung schafft es durchgehend, so interessant und abwechslungsreich zu bleiben, dass selbst die obskuresten Textpassagen oder die abruptesten Wechsel in Tonart, Rhythmus oder Melodie nie zum Selbstzweck werden, hörbar bleiben. Das macht das Album „Ice Cream For Crow“ gerade so spannend.

Dabei steht der Captain fest in der eigenen Tradition, eine Mischung aus R&B, E-Musik, Folk und Surrealismus. Vorallem die zwei Gitarristen bringen beinahe eine kurzgefasste Geschichte der elektrische Gitarre in allen ihren Varianten. Und erst durch die hochmusikalischen Arrangements – von Breaks ständig unterbrochen – macht dann das Gekrähe Beefhearts auch wirklich Sinn und Spass. Vorallem das Titelstück gehört sicherlich zu den stärksten Songs auf dem Album: „It’s so hot, looks like you have three beaks, crow“. Schon kurios, dass der Captain  einen Grossteil seines Lebens in der Mohave-Wüste verbrachte, denn er litt unter einer Sonnenallergie und kam erst im Dunkeln aus seinem Wohnwagen heraus, um buchstäblich den Kojoten gute Nacht zu sagen.

Bob Dylan, Under The Red Sky, 1990

Produzent/ Don Was, David Was

Label/ Columbia

„Under The Red Sky“ gilt unter Dylanologen als eines der schlechtesten Alben. Es liegt aufreizend infantil zwischen zwei edlen, von Daniel Lanois produzierten, Meisterwerken. Es gilt als dermassen verpatzt, dass die vielen negativen Kritiken auch dem Meister für mehrere Jahre die Sprache verschlugen. Nicht aber das Singen. Er ging öfters auf Tour, machte eine Back-to-the-Roots-Folk-Therapie in Form von zwei Alben – „Good As I Been To You“ (1991) und „World Gone Wrong“ (1992) – mit ausschliesslich Coverversionen. Es dauerte sieben Jahre, bis Dylan mit neuen Songs und dem Album „Time Out of Mind (1997) erschien.

Aber was ist den so schlimm an „Under The Red Sky“? Den meisten Kritikern ging bereits beim ersten Song der Hut hoch: „Wiggle, wiggle – like a gypsy queen, wiggle, wiggle all dressed in green, wiggle, wiggle til the moon is blue, wiggle til the moon sees you.“ Banal? Nein, entzückend! Es ist die pure Übersetzung von Vergnügtheit und Lebenslust. Es braucht einiges an Verbiesterung und Erbsenzählerei, um dieses heitere, kindlich-spontane Album mit der Vergleichskeule zu erschlagen. Wie kann – so der übliche Vorwurf – ein Sänger, der „Desolation Row“ geschrieben, so ein fröhliches Rockabilly-Album herausgeben? Vielleicht weil er einfach Lust dazu hatte.

Sommer 1969: Eine Kleinstadt am Jurasüdfuss und ich war zum ersten Mal richtig verliebt. Und da war diese Langspielplatte „Nashville Skyline“. Das reinste Glück. Ich war gerade 16 und das Lied „Girl From The North Country“ wurde eine gleissende Verheissung von Liebe, Lebensfreude und Melancholie. Dreiundzwanzig Jahre später erscheint „Under The Red Sky“, der Titelsong beginnt mit: „There was a little boy and there was a little girl/ And they lived in an alley under the red sky.“ Und weiter: „There was an old man and he lived in the moon/ One summer’s day he came passing by“. Der Menschen Engel sei, sagt Schiller, die Zeit. Die Zeit ist auch das häufigste Substantiv bei Dylan. Man erlaube mir also, „Under The Red Sky“ gleichzeitig als Wiedererinnerung an eine Jugendliebe und als Echo eines früheren Liedes mitzuhören.

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John Mayall, Empty Rooms, 1970

Produzent/ John Mayall

Label/ Polydor

John Mayall, dessen Gruppe, die Bluesbreakers, sich in den 60er Jahren als Brutstätte für nachmals erfolgreiche Gitarristen, wie beispielsweise Eric Clapton, Peter Green oder Mick Taylor erwiesen hatte, änderte mit „Empty Rooms“ seinen Stil zugunsten einer akustischen Band. Bass, akustische Gitarre, Saxophon und Flöte, von Johnny Almond gespielt, plus Klavier und Mundharmonika und der Verzicht auf einen Schlagzeuger waren ein grosser Wendepunkt in Mayalls Stil.

Dadurch dass die akustische Gitarre nicht elektrisch verstärkt wird, ist die Musik leiser, ohne an rythmischer Intensität zu verlieren. Und man hört auch, dass John Mayall singen kann. Er braucht nicht mehr die Gitarren zu überschreien. Was er singt, sind Geschichten in einfachen Sätzen über Mädchen, wie etwa in dem Song „To a Princess“. Altvater Mayall sagt auch einige Worte zur 68er Revolution: Er gibt seine Segenswünsche, hat aber gleichzeitig eine Warnung parat: „Don’t become a druggie/ Unless you’re too weak to face responsibility“. Das ist wirklich kaum auszuhalten. Ansonsten: „Empty Rooms“ kann man getrost als Klassiker empfehlen. John Mayall zeigt hier einmal mehr, dass er in gutes Gespür für aussergewöhnliche Musiker hatte.

PJ Harvey, Inside the Old Year Dying, 2023

Produzent/ Flood, John Parish, PJ Harvey

Label/ Partisan

Polly Jean hat immer gern Theater gespielt. Auch als Kind schon, als sie sich von ihren Spielkameraden noch Paul nennen liess und wilde Geschichten erfand, die sie zusammen performen könnten. Zumindest geht so die Legende. Und wenn es um PJ Harvey geht, wie die Welt Polly Jean heute kennt, gibt es nur die Legende. Es gibt die grosse Legende, die sie selbst von sich geschrieben hat – die einer freien, mutigen, getriebenen Künstlerin, die es während ihrer 30-jährigen Karriere immer irgendwie geschafft hat, musikalisch relevant und unabhängig zu bleiben. Und es gibt die kleinen Legenden, meist von anderen geschrieben, über die „wahre“ Polly Jean Harvey, die in einem so krassen Gegensatz zu ihrem öffentlichen Ich zu stehen scheint.

Auch PJ Harveys neuem Album „ Inside the Old Year Dying“ wohnt etwas Geheimnisvolles inne, das sich wohl vor allem aus diesen Zwischenräumen nährt. Das Album kommt textlich so verschlungen und musikalisch so geerdet daher, dass es wie eine elektronisch angereicherte Weiterentwicklung von Bob Dylans literarisch ambitionierten Folk-Variationen wirkt. Die zwölf Songs sind eine Auseinandersetzung mit dem Leben auf dem Land, den Naturgewalten, denen man dort ausgesetzt ist, und dem schleichenden Gefühl, ein Spielball grösserer und archaischer Mächte zu sein.

Zufällig hat Harvey diese Thematik nicht gewählt. Kein Ort in Grossbritannien ist so geheimnisvoll wie der Südwesten, wo sie 1969 zur Welt kam. Von den vielen Steinkreisen in dieser Region, wo auch die letzte Ruhestätte des mythischen Königs Arthur vermutet wird, ist Stonehenge nur der bekannteste. Aber bei weitem nicht der grösste.

PJ Harvey lebt seit einiger Zeit wieder in ihrer Heimat Dorset. Der Rückzug aufs Land hat ihrer Kreativität gutgetan: In den letzten Jahren war Harvey als Filmkomponistin, Spoken-Word-Künstlerin und als Bildhauerin aktiv, ihre Musik ist spannender denn je. Nach „Let England Shake“ (2011) und „The Hope Six Demolition Project“ (2016) hat Harvey mit „Inside the Old Year Dying“ das dritte Meisterwerk in Folge veröffentlicht. Man könnte von einem Hattrick in Zeitlupe sprechen.

Midnight Oil, Beds Are Burning, 1988

Text/Musik/ Midnight Oil

Produzent/ Midnight Oil, Warne Livesey

Label/ Columbia

Die Pintupi waren die letzten Ureinwohner Australiens, die ihre traditonelle Lebensweise aufgaben. Diese Aborigines waren erst 1930 in der Gibsonwüste entdeckt und später gewaltsam nach Papunya vertrieben worden, weil man weite Teile ihres Lebensraums in den 50er- und 60er Jahren für Nuklearwaffentests benötigte.

Jahrzehntelang wurden die Aborigines vom australischen Staat benachteiligt, tausende Kinder ihren Eltern weggenommen, um sie nach „weissen“ Grundsätzen zu erziehen, man verweigerte ihnen darüber hinaus die entsprechenden Entschädigungen und die Rückgabe ihres Landbesitzes. Deshalb schrieben Sänger Peter Garrett, Schlagzeuger Rob Hirst und Gitarrist Jim Moginie von der australischen Rockband Midnight Oil diesen Protestsong, der so eingängig und bassgetrieben daherkommt.

Gleich zu Beginn spielt der Text auf die Atombombenversuche an, erzählt vom vertrockneten Fluss, von Holden-Wracks – Holden ist ein australischer Autohersteller – und kochenden Dieselmotoren. Jetzt sei die Zeit gekommen, fair zu sein und endlich den entsprechenden Anteil zu bezahlen: „The time has come/ To say fair’s fair/ To pay the rent/ To pay our share.“ Das Land, das den Aborigines gehört, soll zurückgegeben werden: „It belongs to them/ Let’s give it back“. Auch ein erzwungener Umzug der Aborigines wird erwähnt: „Four wheels scare the cockatoos/ From Kintore East to Yuendumu.“ – „Vier Räder erschrecken die Kakadus/ von Kintore ostwärts nach Yuendumu.“ Wütend und verwundert fragt sich der Sänger, dann im Refrain, wie wir alle noch tanzen können, während die Erde sich dreht, wie wir noch schlafen können, während unsere Betten brennen… „How can we dance when our earth is turning/ How do we sleep while our beds are burning?“