Patti Smith Group, Radio Ethiopia, 1976

Produzent/ Jack Douglas

Label/ Arista

Bei einem meiner frühen Aufenthalte in London kaufte ich mir „Horses“ im Virgin-Plattenladen an der Oxford Street. Das deutsche „Sounds“ kaufte ich eine Woche später am Berner Bahnhofskiosk. Hier wurde sehr geschwärmt von Patti Smith. Das elegante Cover machte den Kauf noch unwiderstehlicher. Zu Hause erfasste mich Patti Smiths Debütalbum mit voller Wucht. Das zweite Album „Radio Ethiopia“ fand ich eher noch spannender. Es war wilder, weniger pathetisch und irgendwie einfach symphatischer.

Am 12. Oktober 1976 erlebte ich sie in der Roten Fabrik in Zürich – breitbeinig in augenfunkelnder Kampfpose schrie sie ins Mikrofon:  „Where do we fight?“ und jedesmal antwortet die Band im Chor: „In the field!“, kurz bevor sie dann loslegten mit „My Generation“. Und bei „Radio Ethiopia“, live on stage, die Smith mit ihren typischen Unterbrechungen zwischen den Songs. Sie improvisierte im Monolog über ägyptische Kalligraphie und Körpersprache, versuchte sich an einer positiven Definition von Faschismus, schweifte ab und verlor ein paar Sekunden den roten Faden, bevor sie sich wieder auffing, an den Bühnenrand sprang und wie ein Derwisch tanzte und stampfte zum Rock & Roll ihrer Band. Unter den Anwesenden in der gut gefüllten Fabrikhalle schienen sich einige Konzertbesucher aber provoziert zu fühlen. Jedenfalls liess dann jemand eine Tränengasbombe los, das halbe Publikum suchte das Weite, der Rest heulte ins T-Shirt, Smith und die Band spielten einfach weiter als sei nichts passiert. Grandios!

Patti Smith, Rock ’n‘ Roll Nigger, 1978

Text/Musik Patti Smith, Lenny Kaye

Produzent/ Jimmy Iovine

Label/ Arista

„Rock ’n’ Roll Nigger“ war auf Patti Smiths drittem Album „Easter“ von 1978 erschienen und gab schon damals zu reden. Darin lag auch die Absicht der Autorin, die sich natürlich bewusst war, dass „Nigger“ als rassistische Beschimpfung auf die Sklaverei verweist. Und dass Afroamerikaner wie der Komiker Richard Pryor oder die Hip-Hop-Gruppe Niggaz with Attitude den Begriff demonstrativ weiterverwenden durften im Sinne eines positiven Stigmas, als eine Art rhetorische Rückeroberung. Dass es aber Weissen untersagt bleiben muss, das Wort zu verwenden, weil es weisse Herrschaft und schwarze Unterdrückung signalisiert.

Patti Smith war es darum gegangen, das Schimpfwort auf alle Randständigen oder Verstossenen oder Irregewordenen auszuweiten, weshalb sie konsequenterweise sang: „Jimi Hendrix was a nigga / Jesus Christ and grandma, too / Jackson Pollock was a nigga.“ Aber spätestens wenn die Grossmutter in dem Song ihren Auftritt hat, sollte klar werden, dass Patti Smith das Lied auch als eine Art gesungenen Comic verstanden haben wollte, als Parodie seiner selbst, als Lustigmachen über die eigene Empörung. Dazu passt die demonstrativ primitive Musik, die Patti Smith und ihr Gitarrist Lenny Kaye zu den Lyrics komponierten. Denn der Song kommt als primitiver Rock-Trash daher, als Übertreibung bis zur Farce. Damit macht die Sängerin klar, dass sie das N-Wort niemals wörtlich verstanden haben will, als Verhöhnung der Afroamerikaner als ehemalige Sklaven. Sondern dass sie sich über die groteske Verklärung des Opfers an sich lustig macht, indem sie es mit einer so grellen Übertreibung feiert.

Daran hat sich nichts geändert, auch wenn es im heutigen Denunziationsklima undenkbar wäre, einen solchen Song veröffentlichen zu wollen. Das aber hat Patti Smith nie gekümmert. Sie hat ihren Song mehrmals verteidigt und dabei das Recht auf freie Meinungsäusserung eingefordert.

Patti Smith, Dream Of Life, 1988

Produzent/ Fred Smith, Jimmy Lovine

Label/ Arista

Patti Smiths Alben und ihre Bücher sind das letzte, über das ich mich streite. Und wenn sie zehnmal ihre Texte mit See, Licht, Wolken, der Erde und Revolution überfrachtet. Sie darf alles. Die Träume, das Engel-Sehen, der Glaube an das Leben nach dem Tod und andere Sentimentalitäten, denn Patti Smith hat sich schon immer daneben ausgedrückt, seit sie im Alter von 28 Jahren angefangen hatte, ihre Idee vom Dichter-Leben in Rockmusik zu intergrieren. Immer nur das tun, was wirklich zu tun ist. Am Anfang waren die Lösungen radikal wie „Horses“, wie der Abbruch der Karriere 1979 nach „Wave“, um eben Karriere zu verhindern und weiterhin das zu tun, was zu tun ist.

„Dream Of Life“, dem Comeback, liegt diese Kombination aus grossem Kitsch und einer herrlichen Zähigkeit zugrunde, mit der Grössenwahn, eine krude Religiosität und auf diesen Pfeilern ruhende Dichtungen und Kompositionen offen und selbstbewusst, weniger hektisch und gehetzt als mit „Wave“ dargebracht werden. Es macht Spass das Album zu hören und mir fällt immer auf wie schön diese Musik ist. Selbst das rockhymnenhafte „Power To The People“ oder das ebenso gearbeitete „Looking For You“ haben eine einfache, schöne Schrabbligkeit, die sie vor dem Aufgehen im Mainstream bewahrt. Wie den alten Wintermantel, immer weiter nutzen. Hauptsache warm.

„Dream Of Life“: Liebe zur Familie, aber dennoch ein Versuch herauszukommen aus der Isolation des Lebens als Privatier. Einblick in die Essenzen der Beat-Poet-Hippie-Bewusstseins-Erweiterungen. Nie feist und fettig werden, dass Schönheit ist, auch wenn wenn sie sich im Unsinn von blühenden Sonnen und Zahlenmystik verirrt: „The dreamer is rising and considers the long field. And the clouds, like crazy eights, drifting horizontal. And his own hands, which hold, even so peacefully, so much power.“