Rising Sons Featuring Taj Mahal and Ry Cooder, 1992

Produzent/ Amy Herot, Bob Irwin

Label/ Columbia Records

Die Rising Sons wurden 1964 gegründet und lösten sich 1966 nach einer Single wieder auf. Für einen Eintrag in die Annalen der Popmusik wäre dies ein bisschen wenig, wenn diese Band nicht mehr als zwanzig Songs aufgenommen hätte, von denen mehr als die Hälfte heute noch frisch und innovativ klingen. Und: Taj Mahal und Ry Cooder waren mit von der Partie.

1964/65 waren die grossen Plattenfirmen recht ungeholfen im Umgang mit Rockmusik. Niemand in den Chefetagen hatte eine Ahnung, was mit dem Lärm anzufangen sei. Singles waren das Pop-Format. Die Rising Sons sollten die damals weitgehend unbekannte Musik aus dem Süden Amerikas hitparadentauglich machen. Das Konzept war ebenso einfach wie überzeugend: entweder ganz langsam spielen oder ganz schnell und hart spielen. Die Kompositionen von Robert Johnson, Blind Willie McTell oder Willie Dixon hielten das aus, nicht aber die Handgelenke von Ed Cassidy, der den „Statesboro Blues“ live einmal so schnell und lang spielen musste, bis sein Arm in Gips endete.

Das ganze Jahr 1965 hindurch waren die Rising Sons eine gefragte Live-Band in Los Angeles, aber als sich auch Anfang 1966 kein für alle verträgliches Gruppenkonzept durchsetzen liess, löste sich die Combo auf. Die stilistischen Fliehkräfte, die schliesslich The Rising Sons auseinander brachten, sind auf dem 1992 erschienen Album erstmals zu hören. Alles wurde probiert: Beatles, Byrds, Blues, Country und Songs von Goffin und King, die damals Tin Pan Alley revolutionierten. Taj Mahal ist 1992 nochmals in Studio gegangen, hat die alten Aufnahmen abgehört und für drei Songs neue Gesangsspuren aufgenommen.

Ry Cooder, Chicken Skin Music, 1976

Produzent/ Ry Cooder

Label/ Reprise Records

Chicken Skin ist ein Begriff aus dem Hawaiianischen, der für „Gänsehaut“ steht. Und „Gänsehautmusik“ ist dort das grösste Kompliment für einen Sound, der gut ankommt. Ry Cooder hat sich hier – im Gegensatz zu seinen früheren Solo-Alben – nicht nur an amerikanische Blues-, Gospel- und Folk-Vorlagen gehalten. Hinzugekommen ist obendrein traditionelle Hawaiianische Musik und ein guter Schuss mexikanischer Mariachi-Klänge, gespielt von dem mexikanisch-texanischen Akkordeonisten Flaco Jiminez.

Die Mischung klingt für Hard Rock- und Techno geschädigte Ohren recht befremdlich, ist aber entspannt und warm-sympathisch, so eigenartig und klar, dass das Anhören eine wahre Wohltat ist. Cooder’s Aufbereitung der alten Leadbelly Stücke „The Bourgeois Blues“ und „Good Night Irene“ ist meisterhaft und gehört zu den schönsten Versionen, die ich kenne. Auch als Bottleneck-Gitarrist ist Cooder für mich unübertroffen, und jedes seiner Stücke trägt seinen unverkennbaren Stempel. Mit seiner ungewöhnlichen Synthese von Gospel, Folk, Blues, hawaiianischer- und mexikanischer Folklore demonstriert Ry Cooder die Modernität oder besser gesagt die Zeitlosigkeit aller unverbildeten Empfindung für „archaisches“ oder als „primitiv“ verpöntes Musizieren. Obwohl er dabei auf spektakuläre Effekte verzichtet und nichts als aufrichtige Musik macht, ist der Titel des Albums berechtigt. Aber was erzeugt denn heute noch Gänsehaut?

Ry Cooder, Get Rhythm, 1987

Produzent/ Ry Cooder

Label/ Warner Bros.

Dieses Album wollte ich schon lange mal vorstellen: eine der ersten Nicht-Soundtrack-Platten von Ry Cooder. Hier die Liste derer, die mitgemacht haben: Buell Neidlinger, einst Bassist von Cecil Taylor, dann Dirigent, dann wieder bei Van Dyke Parks aufgetaucht. Der wiederum spielt alle Keyboards. Larry Blackmon von Cameo ist bei einem scharf gewürzten „All Shock Up“ zu hören. Harry Dean Stanton kommt zu Wort, wenn es virtuos traurig wird. Vier schwarze Backgroundsänger sind auch dabei. Und Flaco Jimenez.

Ry Cooder hat mit dieser Platte reizend sauber ein zwangsneurotisches Bild von Amerika zusammenkonstruiert: Alles kann nur noch exakter, noch reizender, noch lustiger werden. Eigentlich verwunderlich, dass darin Leute wie Jim Dickinson Songs geschrieben haben. „Woman Will Rule The World“ ist eine eigenartige Mischung aus mexikanisch und Calypso; eines der seltenen Liedern, für die nur ein Adjektiv taugt: fein. Ry Cooder ist mit „Get Rhythm“ so gut wie in den Zeiten von „Chicken Skin Music“(1976). Das war jene schöne friedvolle Zeit, als man, ohne als Zuhälter angesehen zu werden, Hawaii-Hemden tragen konnte.

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Ry Cooder, Paradise And Lunch, 1974

Produzent/ Russ Titelman, Lenny Waronker

Label/ Reprise

Die neun Songs auf „Paradise And Lunch“ repräsentieren ausschliesslich alte Traditionals, alte Bluesnummern und Ausflüge in Gospel und traditionellen Folk. Die verwendeten Instrumente passen perfekt dazu, und lassen die Bilder von Feldarbeitern, alten Männern auf der Veranda und alten Autos, also typische Klischees zu Blues und Folk, im Kopf des Hörers entstehen. Kein Anderer als Ry Cooder kann dieses Flair entstehen lassen, diesen relaxten Sound, der tief in der amerikanischen Roots-Musik verwurzelt ist.

Meine persönlichen musikalischen Höhepunkte, neben dem bereits erwähnten Opener „Tamp Em Up Solid“, sind übrigens die gospelig-vertrackte Coverversion von „Jesus On The Mainline“, sowie die verspielten Reggae-Version von „It’s All Over Now“. Auch die letzte Nummer der Platte, wo Ry Cooder allein mit dem eleganten Pianisten Earl Hines und seinen perlenden, präzisen Pianofiguren das lustige Nonsense-Lied „Ditty Wa Ditty“ zum Grooven bringt, ist in dieser Besetzung wohl einmalig. Tolle und abwechslungsreiche Musik, die das Herz berührt – was will man mehr?

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Ry Cooder, Bop Till You Drop, 1979

Produzent/ Ry Cooder

Label/ Warner Bros.

„Bop Till You Drop“ ist ein weitere Beweis, dass ausser Taj Mahal niemand ein so authentisches und gleichzeitig reflektiertes Verhältnis zur Geschichte amerikanischer populärer Musik hat wie Ry Cooder. Seine Kenntnisse sind umfassend, was immer er aus dem Reservoir herausgereift. Er beherrscht die Materie. Wie er auf dieser Platte völlig obskure Coverversionen (wie beispielsweise „Little Sister“, eine im Original völlig lahme Nummer von Elvis) mit flexiblen, eleganten Gitarrenparts (überragend: Sideman David Lindley), funkigem Bass (Tim Drummond) und elegantem Schlagzeug (Jim Keltner) anreichert, das hat Klasse.

Das verzweifelte, oberauthentische „I Can’t Win“ mit grandiosem Satzgesang, das gospelhafte, vertrackt synkopierte „Trouble, You Can’t Fool Me“ ebenso wie das düster-treibende „Down In Hollywood“ (mit Chaka Khan als Backgroundsängerin) – jeder Song hat schon nach zwei Takten eine eigene Stimmung, Stil, perfekte Interpretation und Klasse. Jeder Song garantiert besser als das Original. Absolut ergreifend und versteckt ganz in der Mitte das ruhige, sanft schunkelnde „I Think It’s Going To Work Out Fine“: Besser kann ein einfaches kleines Volkslied nicht interpretiert werden.

Ry Cooders Arbeit, die für mich mit seiner Mitwirkung an den ersten Bands von Captain Beefheart und Taj Mahal begann, wirkt hier reif und souverän, klar und ohne Schlacken. „Bob Till You Drop“ ist ein Ausnahmealbum, dass auch nach fast vierzig Jahren nichts von seinem Wert eingebüsst hat.