J. J. Cale, Devil in Disguise, 1982

Text/Musik/ J. J. Cale

Produzent/ Audie Ashworth, J. J. Cale

Label/ Mercury

J. J. Cale ( 5. Dezember 1938 – 26. Juli 2013)  war ein schweigsamer Typ aus dem Bauernstaat Oklahoma, unrasiert unter dem abgewetzten Hut und in allem schwer zu beeindrucken. Er lebte in einem Wohnwagen, den er in der Nähe von San Diego parkiert hatte. Und er hatte sich mit den Tantiemen von Claptons Version von „After Midnight“ ein Motorrad geleistet, mit dem er tagelang in der Gegend herumfuhr. In seinen späteren Platten gibt es auch eine Frau mit dem evokativen Namen Christine Lakeland in seinem Leben. Sie ist schön wie ihr Name, und abgesehen davon spielt die Lady eine swingende Gitarre und komponiert eigene Songs, ganz im Geist von Jay Jay.

 J. J. Cale steht für eine aussergewöhnliche Musik, die sich vordergründig etwas simpel anhört, aber beim wiederholten Hören immer mehr Feinheiten zeigt. Es braucht Demut, um diesen Sound hinzubekommen. Und auch das ist eine eher seltene Qualität im Musik-Business.

J. J. Cale, Call Me the Breeze, 1972

Text/Musik/ J. J. Cale

Produzent/ Audie Ashworth

Label/ Shelter Records

Es war 1996 und J. J. Cale trat mit seiner Band in der Eulachhalle in Winterthur auf. Obwohl ich es hätte wissen müssen, war ich von seinem Auftritt verblüfft. Der Mann aus Oklahoma rührte sich praktisch nicht, er sass einfach das ganze Konzert über nur da, manchmal stellte er irgendetwas an seinem Fusspedal um oder wippte leicht mit dem Takt, den Kopf hielt er meist über die Gitarre gebeugt, er sprach zwischen den Songs fast kein Wort, aber er wirkte nicht autistisch oder abgewandt, er war einfach cool. Man war expressiv, laut wild oder authentisch. J. J. Cale war cool, er war laid back. Und er hat den Pop-Haiku erfunden. Da ist eine Magie, die seine Musik und seine Songs ausstrahlen, die meist berühmter wurden, wenn andere sie spielten, wie „After Midnight“ oder „Cocaine“. Ein grosser Hit in seiner Einspielung war „Call Me the Breeze“: „They call me the breeze/ I keep blowing down the road/ They call me the breeze/ I keep blowing down the road/ I ain’t got me nobody/ I ain’t carrying me no load.“

Einfacher können Worte gar nicht sein, Cale macht auch in seinen nie sehr langen Songs nie viele Worte. Über sich selbst spricht er fast gar nicht, aber in seinen Songs, an denen er ewig herumfeilt und -bastelt, ist alles gesagt, über die Liebe, die Vergänglichkeit, den amerikanischen Süden, seine Lebenshaltung, über den Rausch, den Tod. Die Texte sind voller Ironie, trockener Hinterlist, auch wenn sie so schlicht, manchmal auch sehr melancholisch daherkommen. Die Magie kommt von ihrer Verknappung, der perfekten und doch zurückhaltenden Instrumentierung, dem grandiosen aber dezenten Gitarrenspiel. Wo andere dröhnen, deutet J. J. Cale an, wo andere brüllen, flüstert er, wenn anderswo gleichsam zur grossen Rockoper und -symphonie ausgeholt wird, wenn lärmender Brei und endlose Soli auf einen niederprasseln, wird bei Cale ein zwischen Country, Folk, Blues und Rock angesiedelter, ganz unverwechselbarer Sound geboten, der sich aus der Stille hebt und in Rollen kommt, aber einen nie wie ein Lawine überrollt, sondern mitnimmt, als würde man in einem alten Amischlitten durch den Süden cruisen.

J. J. Cale, Cocaine, 1976

Text/Musik/ J. J. Cale

Produzent/ Audie Ashworth

Label/ Shelter Records

Das Stück heisst „Cocaine“ und es wurde ein Hit, weil es ein genialer Bluesrock ist, mit einem kraftvollen Rhythmus, einem nachlässigen Riff aus zwei Akkorden, einem coolen Gesang und einem Solo, das sich selber für seinen Auftritt entschuldigt. Und es hat einen Titel und einen Text, der eine verbotene Droge am Ende jeder Strophe erwähnt. Da wird das Kokain als Entspannungsmittel und als Trost verherrlicht. Aber in der zweiten Strophe heisst es auch „If you want to get down, get down on the ground“. Das kann in diesem Zusammenhang feiern bis zum Ende bedeuten, aber auch den Absturz nach dem Hochgefühl.

Gerade wenn es um Drogen geht, ist die Rockmusik oft bewusst zweideutig. Letztlich kommt es darauf an, wie man einen Song interpretiert. Wer damals harte Drogen nahm, verstand das Stück vielleicht als Bestätigung und Verherrlichung. Wer kein Kokain nahm, freute sich einfach über einen lässigen Song, der etwas Verbotenes besang. Natürlich war da auch Provokation dabei, wenn die Eltern und andere Repräsentanten des Bürgertums zigmal den Refrain „Cocaine“ zu hören bekamen. Wer hingegen Cannabis und anderes Zeug nahm, der konnte sich schon ermutigt fühlen, mal Koks auszuprobieren. Der psychologische Mechanismus dahinter heisst „Selektive Wahrnehmung“. Man hört heraus, was man hören will.

To Tulsa And Back – On Tour With J. J. Cale, 2005

Regie/ Jörg Bundschuh

Label/ Kick Film GmbH

Am 26. Juli 2013, mit 74 Jahren, erlag J. J. Cale einem Herz­infarkt. Bei Stars aus der Mythen-Liga dauert es in der Regel wenige Wochen, bis die schubladenfertige Biografie im Handel erscheint – bei J. J. Cale herrschte jahrelang Stille. Es wird seine Grabesruhe kaum gestört haben, denn um den grossen Erfolg hatte sich der kauzige Einzelgänger nie gekümmert. „Schick einfach das Geld und lass die Jungen berühmt werden“, soll er seinem Produzenten Audie Ashworth gesagt haben, als dieser ihn zu stark pushen wollte. Das Geld kam; vor allem durch Stars wie Eric Clapton oder Lynyrd Skynyrd, die seine Songs aufnahmen, aber auch durch 17 eigene Alben, die ihm eine treue Fangemeinde bescherten. Genug, um entspannt leben zu können – während Jahren in einem Wohnwagen, wo der Mann ohne Bankkonto seine Ersparnisse versteckte, später in einem bescheidenen Haus im Süden Kaliforniens. Noch mehr als Geld hagelte es Lob. „Es gibt schlicht niemanden, der über J. J. Cale jemals etwas Schlechtes erzählt hätte“, meint sein langjähriger Agent und Manager Mike Kappus. Einer der Guten, den man einfach lieben musste – auch wenn er als Interviewpartner schon mal ziemlich wortkarg sein konnte.

In der Spannung zwischen dem tendenziell Absurden und der Alltäglichkeit entsteht eine leise Ironie. Sie ist das Markenzeichen jedes J. J.-Cale-Songs. In der fantastischen Dokumentation „To Tulsa And Back“, in der Jörg Bundschuh Cale 2005 auf einer Tour begleitete, erzählt Cale allen Ernstes, von wegen laid back, er sei eigentlich eher der nervöse Typ. Seine Musik sei laid back, „’Because that’s the way I like it“.

Weil man sich wirklich keinen entspannteren und selbstgenügsameren Menschen vorstellen kann als den, den Bundschuh da im Tourbus und auf irgendwelchen Veranden in der Pampa zeigt, glaubt man vielleicht nur den zweiten Teil des Satzes. J. J. Cale hat von seinem ersten Album an unbeirrt einzig gemacht, was er wollte und was ihm gefiel.

J. J. Cale, Stay Around, 2019

Produzent/ J. J. Cale

Label/ Because Music

Er hatte nie den grossen Ruhm im Visier. Er sah sich eher als jemanden, der im Hintergrund arbeitet. Sein ökonomisches Gitarrenspiel prägte einen Stil. Er wurde am 5. Dezember 1938 als John Weldon Cale in Tulsa, Oklahoma, geboren. Er verstand sich immer als „Okie“, als einer von Oklahoma, wenngleich er auch in Kalifornien Fuss fasste. Er war ein Mann der Beständigkeit: „Ain’t no change in the weather, ain’t no change in me“, heisst es in seinem Lied „Call Me the Breeze“. Und Brise nenne man ihn, weil er sich einfach die Strasse heruntertreiben lasse: „I keep blowing down the Road“. J. J. Cale starb am 26. Juli 2013 im Alter von 74 Jahren, fünf Monate vor seinem 75. Geburtstag.

Er hat unzählige Songperlen produziert; kleine Meisterwerke, zeitlose, impressionistische Kurzgeschichten. 2019 ist überraschend ein schönes Album mit 15 neuen Songs dazugekommen – ausgewählt von seiner Witwe und Gitarristin Christine Lakeland sowie von seinen langjährigen Wegbegleitern Mike Kappus und Jim Karstein. Alle Songs auf „Stay Around“ sind von Cale aufgenommen und gemischt. Zum Beispiel das fantastisch groovende „Chasing You“ und der zarte Titelsong. Auch der Rest ist eine gute Cale-Mischung – mit allem, was ihn auszeichnete. Traumhaft treffsichere Gitarrentöne, federleichte Grooves, mal zurückhaltend, mal vorwärtstreibend. Weitere Highlights sind „Tell You Bout’ Her“, „Tell Daddy“, „Girl Of Mine“, „If We Try“ und natürlich das von seiner Frau Christine geschriebene Stück „My Baby Blues“, welches die beiden vor mehr als 40 Jahren gemeinsam aufnahmen.

J. J. Cale, Shades, 1981

Produzent/ Audie Ashworth, J. J. Cale

Label/ Island

Es gibt ja Leute, die behaupten, J. J. Cale sei ein langweiliger Rockmusiker. Ich möchte dem nicht mal widersprechen, aber für mich macht J. J. Cale, abseits von jeder intellektuellen Bewertung Musik, die ebenso ausgeschlafen wirkt, wie sie zur Entspannung nach einem hektisch-nervösen Tag beitragen kann. Die Musik von J. J. Cale hat etwas ruhiges, und etwas anderes interessiert mich nicht, solange sie gut, authentisch und brauchbar ist.

Und das ist „Shades“ ebenso wie jedes andere J. J. Cale-Album. Zwar ist das Cover von dem Motiv der Gitane-Zigarettenpackung geklaut, doch der Inhalt ist erste Wahl, was Cales reduzierten, auf das allernotwendigste beschränkten Blues angeht. Das lange Stück „Pack My Jack“ gehört sogar zum besten, was Cale jemals aufgenommen hat. Das absolut wahnsinnige Saxophonsolo trägt dazu Wesentliches bei, aber die ganze Stimmung – verrauchte Bar, lässiges Besen-Schlagzeug, ausgeruhter Walking-Bass – liefern die Basis für eine geniale Gitarre. J. J. Cale braucht mit „Pack My Jack“ den Vergleich zu Jazzgrössen nicht zu scheuen. „Mama Don’t“ hingegen ist ziemlich beschränkt und „Carry On“ textlich auch mehr als nur dürftig, aber was soll die Krittelei: stell Deine Uhr auf „Tulsa Time“, lass Deinen Pulsschlag ins gedämpfte runtergleiten und entspann Dich mit Jay Jay. Du wirst es nicht bereuen.

J. J. Cale, Troubadour, 1976

Produzent/ Audie Ashworth

Label/ Shelter Records

J. J. Cale’s Musik ist immer in erster Linie Sound gewesen. Wesentliche Charakteristika: ein unverkennbar dichtes Gewebe aus enorm relaxten, jedoch äusserst dichtem Rhythmus und undeutlich geflüstertem und textzerkauendem Gesang. Was Cale in seinen Texten erzählt ist zweitrangig – interessant bleibt das Wie: ultracool gebrachte Songs mit eindringlichen, auf zwei oder drei Akkordfolgen basierenden Melodien und dazu diesen typischen insistierenden Drive.

Auch auf seinem vierten Album „Troubadour“ bewegt sich Cale keinen Fussbreit aus seinem Metier heraus. Es geht los mit „Hey Baby“: sanft wiegend, im Background ein verhaltener, rhythmusbetonter Bläsersatz. In „Travelin’ Light“ wird das Tempo angezogen, in dem ein Vibraphon neben Rhythmus- und Leadgitarre die Akzente setzt, und verlangsamt sich wieder in einem pulsierenden Wiege-Beat auf „You Got Something“. Lässig wird das Intro zu „Ride Me High“ so lange aus Bass, Schlagzeug und Rhythmusgitarre aufgebaut, bis es auch den letzten Zauderer in den Füssen zuckt. „Hold On“ ist eine jazzige Night-Blues-Nummer, und dann startet ein kreischendes E-Gitarren-Riff den bekanntesten Disco-Rocker, den man von J. J. Cale gehört hat: „Cocaine“. Mit fast ebensoviel Power geht es mit „I’m A Gypsy Man“ weiter. Auch die restlichen Songs der Platte haben viel Rock, Swing und Blues. Niemand spielte so wie J. J. Cale, und ich finde seine Musik keine Sekunde langweilig.

Bildschirmfoto 2021-11-19 um 08.34.30

J. J. Cale, 5, 1979

Produzent/ Audie Ashworth, J. J. Cale

Label/ Island

Er war ein schweigsamer Typ aus dem Bauernstaat Oklahoma, USA, unrasiert unter dem abgewetzten Hut und in allem schwer zu beeindrucken. Seine mehr gemurmelten als gesungenen Texte kamen einsilbig daher, in denen er die Zeit nach Mitternacht, den Wind, den Mond, die Magnolien, die Liebe und das freie Musizieren besang. Ebenso skizzenhaft klang sein Gitarrenspiel auf der Halbakustischen: Elemente von Blues, Rockabilly und Country in Andeutungen und dazu federnde, zum Singen schöne Melodielinien.

Mit seinem fünften Album, das er auch so benannte, hat er einen Klassiker herausgebracht. Bereits die ersten vier Songs „Thirteen Days“, „Boilin Pot“, „I’ll Make Love Tou You Anytime“ und „Don’t Cry Sister“ gehen sofort ins Ohr und nicht mehr raus. Bei “Too Much For Me“ ist man fast geneigt zu sagen, das ist genau der Titel, der auf vielen Alben anderer Musiker das Highlight wäre, einer dem etwas, aber wirklich nur ganz wenig fehlt, um als Klassiker durchzugehen. Das ist wieder der nächste, das traumhafte schöne „Sensitive Kind“ und das Fahrt aufnehmende groovende „Friday“ – unglaublich was dieser Mann für ein Feeling hat.

J. J. Cale inspirierte mit seinen Songs weit bekanntere Kollegen wie Eric Clapton und die Dire Straits, blieb aber zugleich auf seine konsequente Art bescheiden. Er gehört zu den wenigen Legenden in der Rockmusik, die nicht nur für sich ganz alleine ein Genre geprägt, sondern dieses auch unerreicht über Jahrzehnte besetzt haben.