Jethro Tull, Aqualung, 1971

Produzenten/ Ian Anderson, Terry Ellis

Label/ Chrysalis Records

Nach ihrem relativ bluesigen Debütalbum „This Was“ änderten sich die Dinge bei Jethro Tull schnell. Co-Chef Mick Abrahams verlor den internen Machtkampf gegen Alpha-Anderson und suchte das Weite. Martin Barre hiess der Nachfolger und fortan sollten die von ihm an der Gitarre markant gesetzten Riffs zu einem charakteristischen Merkmal vieler Jethro-Tull-Songs werden – gut zu hören auf dem vierten Album „Aqualung“.

Das im März 1971 erschienene Meisterwerk dreht sich um Gott und die Welt, erzählt die Geschichten einiger seltsamer Gestalten und versammelt neben kleinen Akustikperlen die wichtigsten Stücke Ian Andersons. Und die sind nahezu alle von der Gitarre Martin Barres mitgeprägt. Das Titelstück eröffnet die A-Seite und kommt genau wie sein Pendant „My God“ auf der B-Seite etwas vertrackt daher, akustische Passagen und Hardrock-Elemente halten sich die Waage. Gleiches gilt für das finale „Wind Up“. Straighter fallen das schwer pumpende „Hymn 43“ und die Tull-Erkennungsmelodie „Locomotive Breath“ sowie das gerne mal im Schatten der anderen Knaller übersehene „Cross-Eyed Mary“ aus.

Und die Flöte? Ian Anderson spielt sie heute immer noch, allerdings ohne Jethro Tull und seinen Gitarristen Martin Barre. Der tingelt seit ein paar Jahren durch kleine Clubs auf der ganzen Welt und gibt ziemlich harte Shows.

25 Gedanken zu “

  1. Ich erinnere mich, dass ich „Aqualung” über einen Miniplattenspieler (Stereo war aus Kostengründen nicht drin) auf Tonband (natürlich auch Mono und von meinem ersten mit harter Ferienarbeit auf einer Baustelle verdientem Geld gekauft) überspielt habe. Leider war dadurch das auf der falschen Seite platzierte Gitarrensolo kaum zu hören. Dafür konnte ich sie ein paar Jahre später, am 27. Mai 1978 in der Münchner Olympiahalle für knapp 20 Mark (die Karte habe ich noch) live genießen. Bis heute staune ich darüber, dass man gute Rockmusik auch in ohrenschonender Lautstärke präsentieren kann. Außerdem: Ian Anderson ist ein wundervoller Humorist, der das Leben trotzdem ernst nimmt.

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    1. Auch bei mir sind viele Jahre vergangen, seit ich „Aqualung“zum ersten Mal gehört habe. Mit meinem Lehrlingslohn habe ich mir damals auch nicht viel leisten können, mir aber fast ausschliesslich Platten gekauft, um die Musik auf einem hohen Klangniveau zu erleben. Vielleicht ist die Bezeichnung “Meisterwerk“ ja ein bisschen übertrieben, aber trotzdem ein schönes, dichtes Album, das ich auch heute noch gerne höre. Live habe ich Jethro Tull leider nie erlebt.

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      1. Ich gehe dem Wort „Meisterwerk” überhaupt aus dem Weg, weil mir Superlative generell suspekt sind. Wenn ein Album wie „Aqualung” sich über die Jahre gut gehalten, freue ich mich einfach und genieße.

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      2. Natürlich ist alles immer relativ. Man könnte statt von „Meisterwerk“ auch von „Höhepunkt“ oder zumindest von einem „kleinen Meisterwerk“ sprechen – zumindest aus meiner Sicht. Mir haben Jethro Tull bis zu „Thick As A Brick“ schon gut gefallen, aber es gibt selbstverständlich Leute, die mit dieser Musik nicht klar kommen. Die Geschmäcker sind halt verschieden.

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      3. So ist es. Es gibt den schönen Spruch: Die Katze mag Mäuse. Ich mag sie nicht einmal gebraten. (Klingt auf bayerisch noch viel „weiser”.)

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  2. Ich glaube, das ist das erste Jethro-Tull-Album, das ich mir anhöre. (Home Office hat schon seine Vorteile…)

    Und wenn ich schon erwähne, dass ich zum ersten Mal bewusst Jethro Tull höre, auch wenn mir die Band schon lange ein Begriff ist, hier eine kleine Anekdote: Vor wenigen Jahren unterhielt ich mich mit einer Konzertfreundin über unsere bevorstehenden Konzerte. Sie teilte mir mit, dass sie auch zu Jethro Tull (halt das, was noch übrig geblieben ist) hingeht. Ich verstand den Namen nicht und sah sie fragend an. (In meinem Bekanntenkreis hört keiner Jethro Tull, also wusste ich nicht, wie sich der Name anhört.) Sie wiederholte den Namen noch einmal, ich verstand es nicht. Stattdessen machte sie die Pantomime mit der Querflöte. Anschließend klingelte es bei mir und ich ließ den Schmäh vom Stapel, ob der Kopf der Band Ian oder Ion Anderson heißt. (Letzterer war ja bei „Yes.“)

    Liebe Grüsse aus Wien!

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    1. Damals wurde in Fachkreisen durchaus kontrovers diskutiert, ob Jethro Tull in der Kategorie „Progrock“ oder „Hardrock“ einzuordnen sei. „Aqualung“ ist der Klassiker. Das Album pendelt sich irgendwo zwischen hartem Rock, progressiv, bluesig und akustischem Folk ein. Dazu kommt noch, dass vermutet wurde, es handle sich um ein Konzeptalbum. Obwohl Anderson immer betont hatte, dass es kein Konzeptalbum sei, sind die Songs thematisch geschlossen: Seite A: Soziale Verelendung, Seite B: Die Kirche.

      Ian Anderson brachte die Querflöte in die Rockmusik. Sein Storchenbeinansatz ist Kult. Liebe Grüsse aus Bern!

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  3. Immer wieder gerne.

    Als Teenie haben wir uns satt daran gehört, als junge Erwachsenen Punk/New Wave bevorzugt und aus den Ohren verloren.

    Irgendwann vor ein paar Jahren habe ich mir Aqualung, natürlich auf Vinyl 😉 , neu zugelegt und höre sie immer wieder gerne. Eine tolle Scheibe!

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    1. Musikalisch habe ich die Entwicklung von Jethro Tull von „This Was“ über „Stand Up“ und „Benefit“ bis hin zu „Aqualung“ mitgekriegt. Und das stampfende “Locomotive Breath“ wurde in der hiesigen Tanzdiele immer wieder gespielt. „Aqualung“ gehört für mich noch heute zu den gelungensten Alben von Jethro Tull, auch „Thick As A Brick“ finde ich sehr kunstvoll gemacht, aber irgendwann kam dann das Alter („Too Old To Rock’n’Roll: Too Young To Die“) und der Wiederholungseffekt. Durch Jethro Tull habe ich auch andere Bands wie Bloodwyn Pig, Fairport Convention und Yes kennengelernt.

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  4. Ich war fasziniert von dieser Platte, die ich noch vor Thick as a brick als absoluten Kult erlebte. Mir gefiel das klassische Element, das Ian Anderson mit seiner Querflöte einbrachte. Mein bester Freund und ich hörten damals auch schon manche jazzigen Sachen und so waren uns damals auch schon Jeremy Steig und Herbie Mann bekannt, die aber nicht besser waren. Das brachte Anderson und Tull bei mir einen großen Imagegewinn, weil Rockmusiker normalerweise gegen Jazzer abstinken…
    Eine Geschichte hab ich noch – in einem Interview sagte einmal einer der Shulman Brüder (Gentle Giant), ich glaube es war Derek, Sänger und Chef, daß während sich das gesamte Plattenfirmen Establishment sich gegen sie verschworen hatte, sie einen Auftritt (oder eine Tour? Ich weiss nicht mehr), sie mit Jethro Tull zusammen ein/mehrere Konzert(e) bestritten und Anderson und die Band nicht hätten fürsorglicher sein können. Sie kümmerten sich und waren sehr hilfreich.
    Die Geschichte find ich sehr nett im Gegensatz zu der üblichen Konkurrenz unter den Bands. Kann natürlich auch sein, daß sie sahen, welches Talent bei GG angesammelt war 🙂

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    1. Ian Anderson ist in die Rock-Geschichte eingegangen, weil er die Flöte ins Genre einführte (kann mich an meine Überraschung erinnern, als ich zum ersten Mal „Song for Jeffrey“ hörte). Aber es war viel mehr. Er war nicht nur musikalisch sehr gut, er hatte auch Sinn für Humor und Ironie (zu Bach in die Flöte zu rotzen ist schon geradezu zappaesk). Wenn ich „Thick as a Brick“ auflege und dazu das Zeitungscover lese, habe ich heute noch erfreuliche Musik-Momente und intellektuelles Vergnügen.

      Interessant, dass Du Gentle Giant erwähnt hast. Die waren genial verschwurbelt. Es gab eine Zeit, da habe ich „In A Glass House“ rauf und runtergehört.

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      1. Ich hatte einen Schulkameraden, der mich auf Gentle Giant aufmerksam machte. Ich fand sie toll, diese verschworene Truppe von Brüdern und anderen Mitstreitern. Ich hatte auch eine DoppelLP, die eine Art von Compilation war. Später kaufte ich mir in Seattle die Doppel Live LP auf der auch in a Glass House ist (1977?). Es war erst Jahre später, als es schon das Internet gab, das ich sie wieder entdeckte, als Band, die so genial musizierte wie Wenige. Es gibt schon ein paar Progs wie King Crimson oder auch Yes, aber Gentle Giant haben sich aus lauter Verzweiflung immer wieder neu erfunden, bis sie aufgaben und sich auflösten. Derek Shulman hat übrigens fast sofort die Seiten gewechselt und ist bei einer Plattenfirma als AR Mann soweit ich weiß, untergekommen – viel erfolgreicher als zuvor. Ironie des Lebens!

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    1. Yeah, we’ve talked about „Locomotive Breath“ before. The whole „Aqualung“ album was a milestone. The riffs are great. Even if Ian Anderson with his flute was in the foreground, it was Martin Barre who significant influenced Jethro Tull with his ingenious guitar playing.

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  5. Jethro Tull waren schon eine super Truppe. Allein der Titelsong, „Hymn 43“ und natuerlich der Klassiker „Locomotive Breath“ machen „Aqualung“ ein starkes Album. Wer haette vor Ian Anderson gedacht, dass die Panfloete ein solch fantastisches Rockinstrument sein kann!

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    1. Ich finde die Jethro-Tull-Alben bis und mit „Thick As A Brick sehr schön.
      Klar, es ist Ian Andersons Querflöte, die wesentlich zu dieser Mischung aus Rock und Folk beiträgt, aber gerade auf „Aqualung“ sind es vor allem Martin Barres Riffs und und Solis, die das Album wesentlich mitgeprägt haben.

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      1. „Ich finde die Jethro-Tull-Alben bis und mit „Thick As A Brick sehr schön…“

        Dem kann ich gut zustimmen und erweitere für mich noch um „Songs from the Wood“ und „Heavy Horses“. Ian Anderson ist ein fantastischer Instrumentalist und Geschichtenerzähler. Ein treffliches späteres Beispiel dafür ist „Budapest“ von dem Album „Crest of a Knave“.

        Ich habe Jethro Tull zuletzt 2005 in Quito, Ecuador gesehen und gehört. Anderson, damals fast 60 Jahre alt, flötete auf einem Bein wie in den alten Zeiten. Und das Konzert dauerte fast drei Stunden lang in 2800 Metern über dem Meeresspiegel…

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      2. Klar, gab es nach „Thick As A Brick“ noch ein paar interessante Scheiben, doch für mich hatte die Band im Laufe der Zeit viel von ihrer Originalität verloren. Live habe ich Ian Anderson nie gesehen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass der alte Derwisch dort oben in Quito auf 2.800 M.ü.M. in seinem Element war. Die Leichtigkeit des Seins in dieser Höhe ich ja auch schon gespürt.

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      3. Man sollte immer daran denken, dass Kreativität keine unerschöpfliche Ressource darstellt. Gerade bei den Bands des progressiven Rock erwartete man ständig neue Höhepunkte.
        Genesis oder Yes sind leergelaufen, ebenso Jethro Tull und viele andere. Gentle Giant waren da konsequenter. Die haben einfach aufgehört.

        Tull haben zeitweise unschöne Alben produziert. Als Beispiel mag Under Wraps dafür dienen, wie die ursprüngliche Originalität und Energie offenbar verpufft waren.

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      4. Das mit der Kreativität sehe ich auch so. Vielleicht hätte Mr. Anderson besser abtreten sollen, als die ganze Welt mit den ständig gleichen Songs bespielen zu wollen. Unter dem Strich bleiben aber ein paar gute Alben von Jethro Tull bestehen.

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      5. Ein kluger Satz. Und der trifft auch auf viele andere Musiker zu (und auch andere kreativ Schaffende).
        Freuen wir uns also auf die Werke, die auch nach langen Jahren noch immer ins Herz treffen.

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    1. Ci sono molte cose che puoi dire su „Aqualung“. È un album assolutamente affascinante da una prospettiva lirica e musicale. Direi che questo è uno degli album più interessanti dei Jethro Tull.

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