Art Blakey and the Jazz Messengers, Moanin‘, 1959

Produzent/ Alfred Lion

Label/ Blue Note Records

Es groovt, es hat Gospel-Schmelz und ist mit wenigen Tönen so einprägsam wie manche Hookline von den Beatles oder – beinahe – das Klopfmotiv von Beethovens Fünfter. „Moanin'“ heisst das Stück, eine Komposition von Pianist Bobby Timmons – die Titelnummer dieses Albums mit Blakeys gelb eingefärbtem Gesicht auf dem Cover.

Schlagzeuger Art Blakey war ein Meister kompakter und doch lässig durchlaufender Rhythmen, in denen er Akzente setzte durch Drum-Wirbel, die so wirkten, als hole die Musik tief Luft und richte sich auf. Der Gesamtklang der Band schien stolz und kraftvoll afroamerikanisches Selbstbewusstsein zu unterstreichen. Blakey hatte damals die wohl konturenschärfste Besetzung seiner Jazz Messengers: Trompeter Lee Morgan und Saxophonist Benny Golson, Pianist Bobby Timmons, Bassist Jymie Merritt. Ausser dem dem Titelstück stammen vier Nummern von Golson.

In nur ganz wenigen Aufnahmen des Jazz stimmen Inhalt und Atmosphäre so perfekt überein wie auf diesem Album. Der Sound, der in dem berühmten Rudy van Gelder Studio in Hackensack, New Jersey, aufgenommen wurde, hat eine nachtblaue Tiefe und zugleich eine Klarheit, die das Nonplusultra für diese Stücke sind. Alles wirkt organisch: die Themen, die Tempi – und viele hervorragende Soli der Bandmitglieder, vorallem das epochemachende von Lee Morgan im Titelstück.

Bildschirmfoto 2019-10-16 um 20.22.48.png

Lee Morgan, The Sidewinder, 1963

Produzent/ Alfred Lion

Label/ Blue Note

„The Sidewinder“ von Lee Morgan ist eine Besonderheit im Blue Note Katalog. Vielleicht genau weil diese Platte ein exzellentes Beispiel für den Hard Bop Sound darstellt, wie ihn das Label mit seinen Künstlern entwickelt hat. Man nehme einen Pool sehr begabter Instrumentalisten und Komponisten und lasse diese immer wieder in ähnlichen oder verschiedenen Besetzungen in das legendäre Rudy-van-Gelder Studio. Mit diesem Rezept entstand die erstaunliche Souveränität des Zusammenspiels, der die Blue Note Aufnahmen auszeichnet. Dass die Eigner des Labels dann anders als ihre Konkurrenten ihren Musikern vor jedem Studiodate auch noch zwei Probentage einräumten, ist wohl der Hauptgrund für den unbezähmbaren Groove, der sich wie eine Visitenkarte durch einen Grossteil der Blue Note Platten zieht.

All dies kommt auf The Sidewinder“ exzellent zum tragen. Worin also die Besonderheit? Hier gelang nicht nur ein musikalischer, sondern seinerzeit auch ein kommerzieller Erfolg. Das Titelstück wurde zu einem klassischen Juke-Box Hit. Jeden Moment erwartet man dabei, dass beispielsweise Aretha Franklin ihre Stimme erhebt und über dem souligen Teppich anfängt sich Respekt zu verschaffen. Doch dieses Stück funktioniert eben auch ohne Gesang sehr gut. Insbesondere weil die Solisten auf der ganzen Platte „immer auf dem Boden bleiben“ und sich ganz klar zum Rhythmus in Beziehung setzen.
Ein besonders gutes Beispiel dafür gibt Joe Henderson mit seinem Tenorsaxophonsolo auf „Totem Pole“. Ein Genuss wie hier abwechselnd lässig laid-back und treibend vorwärts musiziert wird.

Jede Nummer zieht einem in den Bann. Ein tolles Album für jeden, der es gerne mag, wenn es richtig grooved und swingt. Schwer souliger Hard Bop at its Best!

71t0JuXD4ML._SL1500_.jpg

Charles Mingus, Oh Yeah, 1962

Produzent/ Nesuhi Ertegün

Label/ Atlantic Records

Als der blinde Saxophonspieler Ronald Kirk mit 24 aus Columbus, Ohio zu seinen ersten Plattensessions nach New York reiste,  war ein Niemand, ein Gerücht aus der Provinz. Er stellte sich bei dem berühmten Gesinnungsgenossen Charles Mingus vor, beeindruckte diesen durch seinen Sound und die Tatsache, dass er auswendig dessen Kompositionen spielen konnte. Mingus wurde weich und engagierte Ronald Kirk für 12 Wochen, in denen auch eine Plattensession für Atlantic Records stattfand. Deshalb hören wir Ronald Kirk fast alle Saxophonparts auf  „Oh Yeah“ spielen. Mingus selbst spielt nicht Bass – den überlässt er Doug Watkins – sondern nur Piano, er arrangiert und begleitet die Songs durch Zwischenrufe und bluesigen Gesang und ich vermute, dass die Zusammenarbeit mit dem ebenfalls leicht wahnsinnigen Kirk das Album so verrückt klingen lässt. Dazu kommt mit Brooker Ervin noch ein zweiter famoser Saxophonist, und – mit Songs wie dem Opener „Hog Callin‘ Blues“ zum Beispiel – Vorlagen, auf denen insbesondere Kirk sein Instrument nach Herzenslust blöken, heulen und schreien lassen kann.

Mingus und Rahsaan Ronald Kirk teilten eine enzyklopädische Kenntnis des Jazz, und beide hatten nicht vor, mit ihrem Wissen konservativ umzugehen. So gibt es mit dem wunderbar betitelten „Oh Lord, Don’t Let Them Drop That Atomic Bomb On Me“ einen modernen Gospel samt Chor, so gibt es Musique Concrete bei „Passions of a Man“ und bei „Wham, Bam, Thank You Ma’am“ Thelonius Monk-Zitate. Hätte Monk Mingus‘ Part am Piano übernommen, und Mingus den Bass gespielt, dann wäre „Oh Yeah“ vielleicht sogar noch besser geworden, aber diese Spekulation ist natürlich müssig, es ist Mingus verrücktestes und auch „fröhlichstes“ Album (in Englisch heisst das „Upbeat“) und es gehört zu seinen vielen Klassikern – knapp hinter „The Black Saint and the Sinner Lady“ und „Ah Um“.  Rahsaan Ronald Kirk verliess Mingus‘ Band nach kurzer Zeit wieder und spielte das formidable „Domino“ ein..

CS675969-01A-BIG.jpg

Duke Ellington, Charlie Mingus, Max Roach, Money Jungle, 1962

Produzent/ Alan Douglas

Label/ United Artists Jazz

Im September 1962 begegneten sich drei der grössten Styler, die der Jazz hervorgebracht hatte: der 63-jährige Duke Ellington, der zu dieser Zeit schon mit Vorliebe vor Königen und Maharadschas auftrat, traf auf die gut zwanzig Jahre jüngeren, wütenden und explizit politischen Max Roach und Charlie Mingus. Bei dem Treffen entstand eine stürmische, skizzenhafte und Jam-Sessionartige Platte – was unter anderem daran lag, dass die Sitzungen relativ kurzfristig angesagt worden waren – auf der sich die offenen kollektiven Formen der 60er Jahre bruchlos in die Tradition von City Blues, Stride Piano, Swing und Jungle fügten.

Sinn der Sessions war für Ellington ja auch explizit gewesen, zu zeigen, dass er „Integrationsfigur zwischen den Welten“ sein konnte. Eine Absicht, die er in dieser Zeit auch mit anderen Musikern verfolgte.  Auf „Money Jungle“ arbeiteten weniger drei Solisten miteinander, als eine emanzipierte Rhythmusgruppe mit einem Pianisten und Komponisten: Ellingtons elegantes, aber technisch limitiertes Klavier engt dabei weder Roach’s intellektuelles Schlagzeug ein, noch den rabiaten, blues-durchtränkten Bass von Mingus. Dieser war zwar nominell nicht der Chef im Ring, aber sein Spiel und seine Ideen stahlen den anderen beiden definitiv die Show.

Dass „Money Jungle“ trotzdem eine der großen Jazz-Platten der 60er werden sollte, ist dann doch erstaunlich: Der schwierige und mitunter cholerische Einzelgänger Mingus zerstritt sich während der Aufnahmen mit dem politisch mindestens so engagierten Roach und konnte nur durch Ellingtons Schmeicheleien dazu gebracht werden, weiterzuspielen. Das Ergebnis: Jazz zwischen Avantgarde und Tradition.