The Yardbirds, Over Under Sideways Down, 1966

Text/Musik/ Jeff Beck, Keith Relf u.a.

Produzent/ Simon Napier-Bell

Label/ Epic

1966 waren die Yardbirds eine der hipsten britischen Bands: Ihre Bluesjahre hatten sie hinter sich gelassen, ihr früherer Gitarrist Eric Clapton spielte nun bei John Mayalls Bluesbreakers. Claptons Nachfolger Jeff Beck lebte seine Experimentierfreude aus: Verzerrung, Rückkoppleungen, Halleffekte. Im Frühjahr 1966 kam Jimmy Page in die Band, erst E-Bass, dann E-Gitarre. So wurden die Yardbirds zu einer Gruppe mit zwei Leadgitarristen und entwickelten ein neues, einflussreiches Bandformat.

„Over Under Sideways Down“ ist ein typischer Song über die Ruhelosigkeit in „Swinging London“: schnelle Autos, bereitwillige Mädchen, coole Drinks. Das Paradies der moralfreien Hedonisten – „it’s all for free“, alles gratis. Mit schneidenden Gitarrenlicks und extrem präsentem Schlagzeug drängt der Song nach vorn, verstärkt durch Keith Relfs schrille Mundharmonika-Phrasen. „“Over Under Sideways“ wirkt wie eine amphetamingetriebene Geisterfahrt durch eine Nacht der Gefühlsverwirrung. Und die schien sich auch innerhalb der Band ausgebreitet zu haben. Zu gross waren die Qualitätsschwankungen, zu gross der Abstand zwischen ihren Hitsingles. Im Herbst 1966 verliess Jeff Beck die Band und wenig später gingen auch Keith Relf und Jim McCarty. 1968 baute Jimmy Page die Band unter dem Namen The New Yardbirds neu auf und änderte später den Namen in Led Zeppelin.

The Who, I Can’t Explain, 1965

Text/Musik/ Pete Townshend

Produzent/ Shel Talmy

Label/ Brunswick

„I Can’t Explain“ aus dem Jahre 1965 ist eine Hymne halbstarker Verwirrung in zwei Minuten und drei Sekunden. Nach dem dreiteiligen Kaskadenriff auf der E-Gitarre, in das Bass und Schlagzeug einfallen, definiert Sänger Roger Daltrey in vier Zeilen das Thema, das von den Backing Vocals mit dem Songtitel wie eine Schlagzeile kommentiert wird: „Got a feeling inside (Can’t explain)/ It’s a certain kind (Can’t explain)/ I feel hot and cold (Can’t explain)/ Yeah, down in my soul, yeah (Can’t explain)“.

Der Sänger ist kaum zu verstehen, er redet wie unter Valium, im Kontrast zur amphetaminen Begleitung seiner Kollegen. Die Mixtur entspricht dem Tablettencocktail von Uppers and Downers, mit dem die britischen Mods sich die Nacht zum Tag machten und umgekehrt. Das Unerklärliche wird unverständlich, anders gesagt: Das Erzählte bildet sich im Gesungenen ab, oder nochmals anders, in der Paraphrasierung Ludwig Wittgensteins: Wovon der Sänger nicht reden kann, darauf weist die Musik hin.

Die Aussage des Songs „I Can’t Explain“ bleibt also für sich gesehen ambivalent. Der Erzähler weiss nicht, was ihm geschieht oder er will nicht sagen, was mit ihm geschehen ist. Statt einer Antwort kommt dieses hektische Gitarrensolo in der Art des frühen Bo Diddley. Worauf der Sänger zurückkommt: I said I can’t explain, yeah/ You drive me out of my mind/ Yeah, I’m the worrying kind/ babe/ I said I can’t explain“.

The Beatles, Love Me Do, 1962

Text/Musik/ Lennon/ McCartney

Produzent/ George Martin

Label/ Parlophone

„Please Please Me“ ist kein uneingeschränkt zu empfehlendes Album, aber es hat überall dort seine Stärken, wo die Beatles selbst die Songs schreiben oder selbst Hand anlegen dürfen. Der eigentliche Hammer des Albums ist für mich das erste Stück auf der B-Seite „Love Me Do“. Ein rasanter Zweiminüter, der sofort ins Ohr und in die Beine geht. „Love love me do/ You know I love you/ I’ll always be true/ So please love me do“ und dann kommt bedeutungsschwanger hinterher: „Someone to love/ Somebody new/ someone to love/ Someone like you“.

Der Text ist hier, unter Auslassung all der vielen wiederholten Verse, in seinem Kern schon komplett wiedergegeben. Ausser dem Ausdruck des Verliebtseins und der Sehnsucht danach, ebenfalls geliebt zu werden, hat dieses Lied nichts zu sagen. „Our greatest philosophical song“, kommentierte seinerzeit selbstironisch Paul McCartney. Weshalb eine grosse Deutungsoffensive hier genauso verfehlt wäre, wie in einem Soul-Song auf „Free“.

The Byrds, Mr. Tambourine Man, 1965

Text/Musik/ Bob Dylan

Produzent/ Terry Melcher

Label/ Columbia

Wir dachten ja, Dylan sänge schräg, aber McGuinn phrasierte seitwärts. Wahrscheinlich sang er einfach von „da oben“, wo die modernen Flugzeuge ihr kriiiiisssssshhhhh ertönen liessen, ein echter Byrd eben, das Geräusch hatte er sich bei diversen Nachmittagen mit Gene Clark und David Crosby auf dem Flughafen von LA. genau eingeprägt. Die Byrds hatten nicht nur die klassische Coolness der Westküste sondern auch die Skepsis des Folksängers, die nicht plötzlich verschwindet, wenn man Rock & Roll singt. Das war ein wichtiger Schritt für die Rock-Musik der 60er – das Verzichten auf Showmanship, man hatte ja tatsächlich etwas zu sagen, etwas Wichtiges, davon wollte man nicht mit albernen Posen ablenken.

Die Byrds waren auch die ersten, die Rock & Roll mit Intellektualismus verbanden. Es war nichts Besonderes, jemand wie Allen Ginsberg backstage bei einem Byrds-Konzert anzutreffen, auch Norman Mailer und Timothy Leary waren dabei, als sie ihr erstes New-York-Konzert gaben. Denn die Byrds waren nicht nur Musik, sondem auch Politik und Mystik. Selbst die letzten post-existenzialistischen-Jazz-Intellektuellen liefen zur Rock-Musik über. Denn was gab es Besseres als die brillante Pubertätslyrik des Bob Dylan? Nur noch die Byrds-Version der brillanten Pubertätslyrik des Bob Dylan, zu der man tanzen konnte, Groovy Chicks anmachen konnte und sich ausserdem noch im Einklang mit den unterdrückten Massen des gesamten Erdballs wusste.

The Rolling Stones, (I Can’t Get No) Satisfaction, 1965

Text/Musik/ Mick Jagger, Keith Richards

Produzent/ Andrew Loog Oldham

Label/ Decca

Dum dum – ba ba baa bababa – dum dum – die Gitarre schnarrt verzerrt und grosskotzig, während die Stimme – „I can’t get no…“ – den Klang eines nasenverstopften schwulen Bürgerlichen hat, der einen gelangweilten Adligen mimt. Mick Jagger, das Chamäleon, das bei der Anti-Vietnam-Demo in London mitmarschierte, kurz darauf ein Kricketmatch besuchte und sich der Vereinigung der Landbesitzer anschloss; das zwischen revolutionärem Gestus und Schickeria-Nähe keinen Widerspruch sah, singt den Song eher mit Arroganz als mit Aggression. Doch wenn Jagger zur Strophe kommt, wenn er in den Sprechgesang, den weissen Bourgeoisie-Rap, fällt, dann bekommt er jene Sachlichkeit, die seine Arroganz glaubwürdig macht: „When I’m watchin’ my TV / And that man comes on to tell me / How white my shirts can be/ Well, he can’t be a man ’cause he doesn’t smoke / The same cigarettes as me.“

Das ist purer Rock ’n’ Roll, gelangweilter Summertime-Blues, vermischt mit jener Blue-Suede-Shoes-Haltung, die keine grössere Beleidigung kennt als die Beschmutzung der blauen Wildlederschuhe. Die eigene Zigarettenmarke wird zum Massstab aller Dinge. Zugleich – und um die Arroganz zu mildern – kehrt er konsum- und bewusstseinskritisch die Werbung gegen sich selbst: Wer mir weisse Hemden verspricht, muss auch meine Marke rauchen. Kürzer und eleganter liess sich die Bewusstseinsmanipulation, wie der Terminus der Zeit damals lautete, kaum erledigen.

The Beatles, A Hard Day’s Night, 1964

Produzent/ George Martin

Label/ Parlophone

Meine erste Langspielplatte war „A Hard Day’s Night“ – ich hatte sie von meiner Tante geschenkt bekommen. Die Eltern hatten für diese Musik nur ein verständnislos-mitleidiges Lächeln übrig. Und dann erst die Haare von diesen Typen! Vorn in die Stirn gekämmt, und hinten berührten sie fast den Hemdkragen. Im Muff der frühen 60er Jahre galt das adrette Aussehen der Beatles als skandalös und ungepflegt. Und ungepflegt und zügellos, aufsässig und provokativ wirkte die Musik. Lehrer und Pfarrer sahen darin den Untergang des Abendlandes heraufdämmern. Die Russen waren als Bedrohung schlimm, aber als Verführer der sauberen Jugend waren die Beatles eine Katastrophe.

Ich legte die Platte auf den Teller wie ein Juwelier ein Diadem auf Samt bettet. Der Tonarm ruckte und zuckte schwerfällig auf die Anfangsrille, leichtes Knistern, und dann, unglaublich, dieser offene und alles öffnende Akkord. Natürlich hatten nicht alle Songs den elektrisierenden Effekt wie das Titelstück und „Any Time At All“. Es gab auch ein paar fröhliche Einweglieder wie „I’m Happy Just To Dance With You“ und „Tell Me Why“, aber die wurden von wunderschönen Stücken wie „And I Love Her“ und „If I Fell“ ausgeglichen –  „A Hard Day’s Night“: Das war für mich nicht nur der Soundtrack des Beatles-Films, das war der Soundtrack des ganzen Lebens.

The Rolling Stones, 1964

Produzent/ Andrew Loog Oldham

Label/ Decca

Um 1960 existierte der Blues in seiner Heimat nur noch als weltfremdes Ideal einer weissen Bildungselite. In Irland und England hörten Geschmacksfreibeuter und Klangterroristen zur selben Zeit lieber Leadbelly und Hank Williams als toupierte Schlagertussis. Mick Jagger und Keith Richards dachten als Kinder, Big Bill Broonzy sei der letzte Überlebende einer seltsamen Rasse – eine Art Pandabär – zum Aussterben verurteilt. Also entschlossen sich all over Great Britan eine Handvoll Jungspunde zu einer Rettungsaktion. In jeder grösseren Stadt gab es bald einen Club, wo man solch fehlgeleitete Teenager samt ihren kettenrauchenden Mentoren den Rhythm und den Blues tun lies.

Ein völlig unpassend zusammengewürfeltes Sextett um den Sänger Mick Jagger und zwei Gitarristen namens Brian Jones und Keith Richards nahm schliesslich 1963 diese Bluessache selbst in die Hand. Richards formulierte das damals sehr treffend, dass Negermusik nur keiner hören wolle, weil die Macher alle alt, hässlich und schwarz seien. Also eliminierten die ansehnlichen Taugenichtse alles Alte und hellten manches Schwarze auf; vorallem fummelten sie am oft gemächlichen Tempo ihrer Helden, schraubten ein wenig am Auspuff herum, packten ordentlich Hysterie in den Tank und legten schliesslich einen Kavaliersstart hin, dessen Bremsspur noch heute nach verbranntem Gummi riecht: das titellose Debüt der Rolling Stones.

eric_burdon_the_animals-when_i_was_young_s_3

Eric Burdon and the Animals, When I Was Young, 1967

Text/Musik/  Eric Burdon And The Animals

Produzent/ Tom Wilson

Label/ MGM

Der Song beginnt sehr harsch – mit sägenden Gitarren. Sie deuten eine Sirene oder ein Bombengeschwader an und erinnern damit an die Zeit, als Eric Burdon und seine Mitmusiker wirklich jung waren. Burdon, der 1941 im britischen Newcastle upon Tyne zur Welt kam, gehört zu einer Generation, die ihre Kriegserfahrungen kaum in Worte fassen kann. Eric Burdon thematisiert die dunkle Vergangenheit mit ebenso vagen wie klaren Bildern: „The rooms were so much colder then/ My father was a soldier then/ And times were very hard/ When I was young.“

Als das Lied 1967 erscheint, sind die äusseren Folgen des Krieges immer noch zu sehen: überall Bauschutt, überwuchertes Brachland und Ruinen. Neben den sichtbaren Zeugnissen der Zeit existieren aber auch die unsichtbaren Wunden, die vernarben, ohne zu heilen: „When I was young, it was more important/ Pain more painful, laughter much louder, yeah“, singt Eric Burdon mit zornig-verletzter Stimme. Er weiss, dass er mit vielen Dingen Schwierigkeiten hat, vor allem auch mit dem, was Mannsein bedeutet: „And for girls, I had a bad aim/ Oh, I meant so very much.“

Letzlich sind die Zeiten hart, der Junge im Lied wächst ziel- und zügellos in eine immer buntere Welt hinein, der er noch weniger gewachsen zu sein scheint. Burdons Fazit ist im Hinblick auf die Kinder- und Jugendjahre eindeutig: „My faith was so much stronger then/ I believed in my fellow men/ I was really so much older then/ When I was young.“

Them, It’s All Over Now, Baby Blue, 1967

Text/Musik/ Bob Dylan

Produzent/ Tommy Scott

Label/ Decca

1972, an einem Wochentag um 21 Uhr lief im ZDF-Hauptprogramm das Fernsehspiel „Die Rocker“. Der Regisseur Klaus Lemke versuchte darin ein authentisches und unverfälschtes Bild vom Hamburger Kiez der frühen Siebziger Jahre zu erstellen. Deshalb wurden auch keine Schauspieler verpflichtet, sondern Laiendarsteller, die sich selbst spielen. Sogar ihre bürgerlichen Namen wurden mit übernommen. Keine Kostüme, sondern ihre tatsächliche Kleidung. Dieser Versuch ist absolut geglückt. Auch 50 Jahre später fasziniert der Film immer noch als herausragendes, einzigartiges Stück Zeitgeschichte aus dem Hamburger Rocker- und Asozialenmilieu der frühen Siebziger. Hier wird geschlägert und gesoffen, den Spiessern der Scheitel gezogen und sich natürlich auch gegenseitig zerfleischt. Zwischendurch gibt es immer wieder coole Sprüche für die Ewigkeit.

Der richtige Sound, von den Rolling Stones über Santana bis Led Zeppelin, verstärkt noch den authentischen Effekt des Films. Und vor allem die Gruppe Them, deren sanftmütiges „Its All Over Now, Baby Blue“ gleich mehrfach erklingt in dem Streifen, u.a. als Kontrast zu einer erotischen Begegnung auf einer Kneipentoilette. Durch den Film von Klaus Lemke erlangte der Song, den Them mit ihrem Sänger Van Morrison bereits in den 60er Jahren veröffentlicht hatte, Kultstatus. Nach der Ausstrahlung von „Rocker“ kam „It’s All Over Now Baby Blue“ umgehend in die deutschen Charts und blieb dort für einige Wochen. Der von Bob Dylan geschriebene Song hat seinen Kult-Charakter bis heute nicht verloren.

The Rolling Stones, Mother’s Little Helper, 1966

Text/Musik/ Mick Jagger, Keith Richards

Produzent/ Andrew Loog Oldham

Label/ Decca

Hausfrauen nahmen gern das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan, bis dessen schädigende Wirkung 1961 bekannt wurde. Danach sorgte Valium für Beruhigung – auch als Ausgleich für die aufputschende Wirkung vom Ampethaminen, die sehr beliebt waren. Die Gewohnheit, morgens Aufputsch- und abends Beruhigungsmittel einzuwerfen, sorgte bei Millionen von Menschen, die man gemeinhin dem braven Bürgertum zuordnete, für regelrechte Drogenabhängigkeit. Die Stones haben diesen unseligen Helferlein durch den Alltag der Mütter einen Song gewidmet: Mein Gott, dieser Stress heutzutage! Und die Kinder, die sind heute Monster! Mutter braucht heutzutage etwas, um sich zu beruhigen. Eine kleine gelbe Pille hilft ihr, durch den stressigen Tag zu kommen. Es gibt nur noch Fertiggerichte, frisches Essen zuzubereiten ist anstrengend geworden. Oder ist sie nur empfindlicher? Eigentlich hat sie ja alles, was sie sich sich gewünscht hat: Ehe, Familie, Wohlstand, die Segnungen der modernen Technik, Komfort – aber die Routine des modernen Lebens ist sinnentleert, und deshalb ist sie unzufrieden und sucht nach Betäubungen. Die Überdosis hat sie schon längst erreicht, und was dann kommt ist der Drogentod.

Das Beruhigungsmittel Valium (Diazepam) führt zu Entzugserscheinungen und Nebenwirkungen wie Angstzustände, Antriebsverlust, Wutanfällen, Halluzinationen, Gefühlskälte und Psychosen. Kein Wunder, dass es keinen Unterschied zwischen Eltern und Heroin-Junkies gibt. Auch die Motive gleichen denen eines gestressten Musikers. Und Keith Richards war gestresst. Er konsumierte schon jung Drogen, erst Alkohol und dann Amphetamin, LSD, Kokain und am Ende Heroin. Später hat Richards mit dem Glauben aufgeräumt, dass Drogen einen Musiker kreativer machen. Im Alter von 77 Jahren sagte er, dass die Drogen sein Leben nicht völlig ruiniert hätten, führe er alleine auf seine robuste, von den sportlichen Eltern geerbte, Konstitution zurück – doch Geld und gute ärztliche Versorgung dürften hier auch wesentlich dazu beigetragen haben.