Tom Waits, Downtown Train, 1985

Text/Musik/ Tom Waits

Produzent/ Tom Waits

Label/ Island

Der Song „Downtown Train“ ist aus dem Album „Rain Dogs“. Er schildert die überfüllten U-Bahnen, in denen all diese Brooklyn-Girls sitzen, die in Manhattan arbeiten oder dort Arbeit suchen, um aus ihren kleinen Welten auszubrechen. Aber natürlich ist damit auch eine offensichtlich unerfüllte Liebesgeschichte verbunden: Der Erzähler hat sich eines der Mädchen ausgeguckt, sich offensichtlich verliebt, hat sie auch verfolgt, kennt ihr Fenster und ihren Treppenaufgang, läuft ihre Strasse runter, an ihrer Haustüre vorbei und bleibt an der Ampel stehen. Und natürlich hofft er, sie wieder in der U-Bahn zu sehen, auch wenn er wie jede Nacht einsam zurückbleibt: „Will I see you tonight on a downtown train/ Every night, every night it’s just the same/ You leave me lonely.“

Das Lied ist bei Tom Waits eine musikalische Miniatur, die er in seinem unnachahmlich knurrenden Gesang vorträgt, ein Lied, das wüst und rumpelig arrangiert ist und dessen Melodie mehr zu erahnen, als zu hören ist. Das Hitpotential des Songs erkannte Rod Stewart, der mit seiner Version weltweit in den Charts landete.

Tom Waits, Jersey Girl, 1980

Text/Musik/ Tom Waits

Produzent/ Bones Howe

Lebel/ Asylum

In den Siebziger hatte Tom Waits eine künstlerische Persona kultiviert, die man sich bei Tageslicht nicht vorstellen konnte. Er war der Poet der verrauchten Bars, der schlecht geschminkten Kellnerinnen, der klapprigen Autos und angebrannten Hamburgers. Wie die Beatautoren Jack Kerouac und Charles Bukowski zelebrierte er ein mythisch überhöhtes Kalifornien, das mehr mit Hollywoods Film Noir zu tun hatte als mit der Glitzerwelt der Siebziger. Musikalisch zeigte er sich dabei durchaus wandlungsfähig, spielte Pianoballaden mit Orchesterbegleitung, Barjazz, R&B, rockige Stücke. Doch die Stimmung seiner Lieder blieb immer ähnlich, was natürlich auch an seiner unverkennbaren Schmirgelstimme lag, die immer nach Whisky und Zigaretten klang.

Mit dem Album „Heartattack And Vine“ nahm Waits dann Abschied von seiner Nachtschwärmer-Figur, allerdings nicht ohne ihr noch ein letztes grandioses Lebewohl hinterherzuschicken: die Ballade „Jersey Girl“ war wie die Quintessenz der langjährigen Zusammenarbeit zwischen Waits und dem Produzenten Bones Howe. Das Lied beginnt mit der Erwähnung der „Whores on Eighth Avenue“, um sich dann in Vorfreude auf den baldigen Kirmesbesuch in New Jersey zu ergehen; im „Sha la la“-Chorus wird das Stück geradezu euphorisch, die sparsame Begleitung unterstreicht hier Waits’ leidenschaftliches Geknarze auf besonders effektive Weise. Bald darauf coverte Bruce Springsteen „Jersey Girl“.

Tom Waits, Heartattack and Vine, 1980

Produzent/ Bones Howe

Label/ Asylum

Tom Waits schreibt keine Musik, die einfach ist oder vordergründig oder leicht verständlich. Mit 30 Jahren hatte er genug Dreck und Abscheulichkeiten gesehen, um einen Song oder ein ganzes Album darüber zu schreiben, aber nicht so viel, dass er sich davon ferngehalten hätte.

Der Titelsong von „Heartattack and Vine“ ist eine karge, unbehagliche Komposition mit warmen, übersteuerten Gitarrentönen und Waits‘ heiserem Gesang. „Es gibt keinen Teufel“, mahnt er, „das ist Gott, wenn er betrunken ist.“ In Anspielung auf die Niederungen des Lebens in L.A. porträtiert Waits Menschen, die fehlerbehaftet sind, aber nicht ohne Aussicht auf Erlösung. „Wenn du wissen willst, wie Wahnsinn schmeckt, musst du dich hinten anstellen“, spottet er. „Wahrscheinlich siehst du jemanden, den du kennst.“

Es ist ein Drogensong, aber auch ein Song über Menschen, ein trostloses, aber irgendwie feierliches Bild eines Lebens in fröhlicher Verzweiflung. Waits klagte gegen Levi’s, die Screamin‘ Jay Hawkins‘ Version in einer Werbung verwenden wollten; die bittere Ironie ist ihm sicher nicht entgangen.

Tom Waits, Swordfishtrombones, 1983

Produzent/ Tom Waits

Label/ Island Records

Es gab Zeiten, da man, wenn man von Tom Waits sprach, oder gar wagte, ein Stück von ihm vorzuspielen, mit einem mitleidigen Achselzucken bedacht wurde, das besagte: „Du findest diese besoffene Stimme, die in verrauchten Spelunken Balladen singt, doch nicht wirklich gut?“… und schon gehörte man zur Abteilung „verrostetes Eisen“.

Doch mit jeder Platte, die Tom Waits herausbrachte, und mit vielen Geschichten, die er erzählte, wuchs die Widerstandskraft gegen hartnäckige Ignoranten. Als dann 1983 „Swordfishtrombones“ erschien, war der Vorwurf, Tom Waits sei ein Fossil, das keine moderne Musik machen würde, endgültig vom Tisch. Erstens hatte er hier endlich sein Album selber produziert und damit sein „Image“ selbst gestalten und ändern können. Zweitens hatte seine Beschäftigung mit Filmmusik Spuren hinterlassen. Wenn seine früheren Balladen und Songs durch Barroom-Flair und Loser-Stimmung geprägt waren, so stellt sich auf „Swordfishtrombones“ sein Zynismus weniger romantisch als vielmehr exotisch dar. Auch die Instrumentierung ist üppiger als auf früheren Alben. Prägend ist der Einsatz der Hammondorgel, die besonders bei einem Instrumentalstück wie „Dave The Butcher“ gleich einer kaputten Kilbiorgel atonale Klänge erzeugt. Tom Waits unverkennbare, Rauch- und Whisky-geschwängerte Stimme schafft es auf „Swordfishtrombones“ jeden Song anders zu singen.

Bei der von Barmusik unterlegten Erzählung „Frank’s Wild Years“ klingt sie so breit und amerikanisch, als wäre es Burroughs, der spricht. „In The Neighbourhood“ bietet einen hymnischen Gesang à la Springsteen, und „Gin Soaked Boy“ könnte auch von Dr. Feelgood gesungen sein, aber es ist eben Tom Waits Stimme, die genauso einzigartig ist wie dieses Album.

Jim Jarmusch, Down by Law, 1986

Regie/ Jim Jarmusch

Produktion/ Alan Kleinberg

Label/ Island Pictures

Die Eröffnungssequenz mit der Kamera in einer endlosen Fahrt durch New Orleans habe ich bei dem Tom Waits Song „Jockey Full Of Bourbon“ bereits erwähnt. Dann werden wir Zeuge, wie die wunderbare Laurette (Ellen Barkin), in ­Negligé und wirrer, weissblonder Haar­spray-Mähne weinend die ganze Plattensammlung, Lebenswerk des arbeitslosen ­Radio-Discjockeys Zack (Tom Waits) aus dem Fenster schmeisst. Zack lässt es geschehen, sitzt tatenlos auf dem Bett, bis Laurette seine Lieblingslederstiefel packt – da, wir ahnen es, ist die Liebe vorbei! Damit fängt der Film aber erst richtig an: Gemeinsam mit dem obercoolen Zuhälter Jack (John Lurie) und dem italienischen ­Lebenskünstler Roberto (Roberto Benigni) landet Zack in einer Gefängniszelle. Zuerst gehen die drei ungleichen Ganoven ­einander gehörig auf den Wecker. Bis zu dem Zeitpunkt, als Roberto, der sich zwar anglophil „Bob“ nennt, aber kaum ein Wort Englisch spricht, die Lethargie seiner Genossen mit einem alten Schlager durchbricht.

„I scream, you scream, we all scream for ice cream“, einer nach dem anderen stimmt mit ein, bis die drei in einem durch­geknalltem Indianertanz ihre Zelle auf den Kopf stellen. Das ist der Anfang einer wunderbaren Freundschaft. Bald darauf brechen die drei aus dem Gefängnis aus, brechen auf, in eine ungewisse ­Zukunft – frei nach dem Vorbild der Holly­­wood­-Filme, die Roberto gesehen hat, getrieben von der Gewissheit: Es kann nur besser werden. Verfolgt von Gendarmen und Gesetz schlagen sie sich durchs Sumpfland und finden in der Einöde unverhofft das Glück, in Form einer rüstig-rustikalen Wirtin (Nicoletta Braschi).

Dieser Schwarzweiss-Streifen, diese Gangster­ballade, dieser postmoderne Film Noir war für mich 1986 ein Glücksfall. Auch heute bleibt „Down by Law“ für mich eine von diesen ewigen Filmperlen, die ich mir immer wieder ansehen kann, sie hat nicht nur die Einsicht, was ein guter Film nicht braucht ( Animationen, Explosionen, Farbe), sondern auch der unsterbliche Satz von Roberto Benigni, Quintessenz aller ­Tragikomödien, der damals genauso zutraf wie heute: „It is a sad and beautiful world.“

Tom Waits, Jockey Full Of Bourbon, 1985

Text/Musik/ Tom Waits

Produzent/ Tom Waits

Label/ Island

Jim Jarmusch lässt seinen Film „Down By Law“ mit einer mal nach links, mal nach rechts fahrenden Kamera beginnen und übersetzt Tom Waits‘ Song „Jockey Full Of Bourbon“, der zu diesem nervösen Absuchen der schäbigen Häuserfassaden von New Orleans erklingt, in poetisch verdichtete Bilder. „Hey little bird, fly away home“, krächzt Waits, „Your house is on fire, your children are alone.“

„Down by Law“ hat mir Mitte der 80er Jahre sehr gefallen. Genau genommen war ich hin und weg, als die ersten Takte von „Jockey Full of Bourbon“ eingesetzt hatten und diese unglaubliche Stimme zu erzählen anhob.  „Rain Dogs“ von Tom Waits war damals eine meiner Insel-Platten. Auch viele LPs – und CDs – später wundere ich mich noch immer über diese Stimme, die eigentlich ein Instrument ist, das mal im rauchigen Bariton haucht, mal hart an der Schmerzgrenze dröhnt, krächzt und scheppert, mal mit Megafon bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wird. Blechern klingt Waits dann, wie überhaupt das Blech eine grosse Rolle spielt bei seinen andern selbstgebastelten Instrumenten. Auch Mundharmonika, Posaune oder Klavier tönen, als quetsche er aus ihnen in ähnlich reduktionistischer Weise das Letzte heraus, wie Charles Bukowski es aus seinem angeblich hundert Wörter umfassenden Vokabular getan hat.

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Tom Waits, Bad As Me, 2011

Produzent/ Tom Waits, Kathleen Brennan

Label/ ANTI-Records

Wer 2011 auf diesem Album von dem 61-jährigen Tom Waits Altersmilde erwartet hatte, wurde bereits im Opener eines Besseren belehrt: „Chicago“ ist eine furiose Fusion aus Minimal Music und Bluespunk, getrieben von einer fiesen Orgel, glühenden R’n’B-Bläsern und den dürren Licks von Keith Richards und Marc Ribot. Und wenn Waits im Titeltrack das aufzählt, was alles „bad“ ist an ihr und ihm, also weshalb sie so gut zusammenpassen, ist man längst schon aufgesprungen – und geniesst die 45 Minuten währende Höllenfahrt durch seinen grotesken Kosmos.  „I’m the detective up late / I’m the blood on the floor/ I’m the mattress in the back / I’m the old gunnysack/ No good you say?/ ha, ha, ha .. that’s good enough for me.“

So läuft es weiter und weiter mit diesem Album. Tom Waits zieht alle Register, von den schmutzigen Barjazz-Balladen und den Beatnik-Posen seiner Anfänge über verzweifelten Rockabilly, schroffen Vorkriegssblues, bizarr verfremdetem Tin-Pan-Alley-Kitsch bis hin zu schwindelerregenden Experimenten. Auch die Soundpalette ist dank Waits‘ Sinn für ausgefallene Instrumente und Geräusche reich und seine Texte von schwarzhumoriger Schärfe. Auf „Bad As Me“ unternimmt Tom Waits nicht den Versuch, sich neu zu erfinden – aber er bleibt unvorhersehbar und kompromissloslos. Altersstarrsinnig eben. Ein tolles Album.