Pretenders, 1979

Produzent/ Chris Thomas, Nick Lowe

Label/ Sire

Wer Ende der Siebziger in England auf Platz eins kommen wollte, musste Eklektizist sein, je cleverer desto smart. Originäres war nicht gefragt, zumindest nicht in den Top 10. Chrissie Hynde wusste das sehr genau, hatte sie doch auf ihrem Weg bereits genügend Experimente durchgemacht und kannte sich im Rock-Business aus.

Das Debütalbum der Pretenders wurde damals von der englischen Musikpresse fast ins Unermessliche als grossartige Mischung von alt/neu gelobt. Zunächst ist das mal Hard-Rock, wie er damals beim jugendlichen Publikum recht beliebt war. „Precious“, der Aufmacher, hat den nötigen Dampf und genügend Stakkato um Eintönigkeit zu umgehen, die folgenden Titel zeigen jedoch trotz dem Widerhaken im Musikus von Chrissie Hyndes spielender Stimme eine schwache Band. Wenn schon Hard-Rock, dann brauchts hier Phil May an der Gitarre oder Stewart Copeland am Schlagzeug, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

Aber dann kommt „Stop Your Sobbing“, der alte Kinks-Titel und der erste Single-Hit der Pretenders markiert den Wendepunkt, hin zum wunderschönen Uuuh-Aaah-Pop, von dem ich bis heute nicht genug bekommen kann. „Stop Your Sobbing“ ist für mich eindeutig der Höhepunkt des Albums (Nick Lowe hatte hier kaum, mal viel die Hand im Spiel). „Kid“ hat ein überdeutliches Shadows-Intro, die Staubschicht der Nostalgie liegt nicht mehr allzu fern, und danach kommt so eine Mixtur aus verquirlter Patti Smith und steif geschlagener Police – und was an „Brass In The Pocket“ so toll sein soll, dass es in England zu einem Nummer 1 Hit wurde, weiss ich auch nicht. Immerhin überzeugt hier Chrissie Hyndes Gesang.

Das Debütalbum der Pretenders ist sicher kein grossartiges Meisterwerk, aber wenn ich mir den verschlafenen mädchenhaften Stil heutiger Sängerinnen anhöre, dann überzeugt mich Chrissie Hyndes Power allemal.

The Go-Betweens, Cattle and Cane, 1983

Text/Musik/ Grant McLennan, Robert Forster

Produzent/ John Brand

Label/ Rough Trade

Der 6. Mai 2006 war im australischen Brisbane ein lauer Herbsttag gewesen, kein Wölkchen am Himmel. Grant McLennan, der Singer-Songwriter und Gitarrist der Go-Betweens, hatte all seine Freunde eingeladen, um sein neues Haus und seine Beziehung zu Emma Pursey zu feiern. Vor der Party wollte er sich noch ein wenig hinlegen. Als die ersten Gäste eintrafen und der Gastgeber nicht aufgetaucht war, schaute jemand nach und fand den 48-jährigen Grant McLennan reglos auf dem Bett liegend. Todesursache: Herzinfarkt.

„The railroad takes him home/ Through fields of cattle/ Through fields of cane“… „Cattle and Cane“ war einer der ersten Songs, die McLennan schrieb. Zuvor waren die Go-Betweens vorallem die Band von Robert Forster gewesen. Forster hatte McLennan auf dem Campus der University of Queensland kennengelernt, und ihn gefragt, ob er nicht in einer Band mitspielen wolle – und das obwohl McLennan überhaupt kein Instrument spielen konnte. Robert Forster war es auch, der die Songs schrieb, während Grant McLennan sich abmühte, den Bass zu beherrschen, um schliesslich mit seinem melodischen Spiel, gegen Forsters schroffe Akkordik und Lindy Morrisons verquere Rhythmik den ersten beiden Platten der Go-Betweens seinen Stempel aufzudrücken.

„Cattle and Cane“ machte Grant McLennan zum gleichberechtigten Singwriter und die Go-Betweens, die fortan von der Spannung zwischen dem melancholischen Melodiker McLennan und dem fiebrigen, effeminierten Forster lebten, zu einer der spannendsten Band der der achtziger Jahre.

Crosby, Stills, Nash & Young, Déja Vu, 1970

Produzent/ Crosby, Stills, Nash & Young

Label/ Atlantic

Ich war nie ein Fan von Crosby, Stills, Nash & Young, möchte aber nicht ein Rest Loyalität gegenüber diesen Granden der amerikanischen Hippie-Musik der 60er Jahre über Bord werfen. Die Melodien und Arrangements aus akustischen Gitarren und Gruppengesang können betören. Zudem brachte das zweite Album „Déja Vu“ mit der Hinzunahme von Neil Young Elemente der Dunkelheit und Mysterie in die Songs, die vorher, ohne ihn, immer etwas von künstlichem Süssstoff hatten.

Auch wenn sich der Sound von „Déja Vu“ nur wenig vom ersten Album unterscheidet und immer noch zu süss, zu perfekt, zu irreal, zu gut ist, um wahr zu sein, gibt es doch einiges von musikalischem Wert. „Helpless“, „Carry On“ und „Teach Your Children“ sind ausgezeichnete Songs, gut gespielt obendrein. Aber für mich wird Crosby, Stills & Nash (ob mit oder ohne Neil Young) immer die Band bleiben deren Alben, den Solowerken von David Crosby und vor allem Neil Young jedenfalls nicht das Wasser reichen kann.

The Allman Brothers Band, Idlewild South, 1970

Produzent/ Tom Dowd, Joel Dorn

Label/ Capricorn

Mit ihrem Album „Idlewild South“ vollzogen die Allman Brothers ihre eigene, musikalische Besitznahme unbekannten Terrains. Ihre Soul-infizierte Countrymusik, die sich des harschen Rocksounds und seiner Rituale bediente, begründete entscheidend ein Genre mit, das bald mit dem Etikett „Southern Rock“ versehen wurde. Die beiden Brüder Gregg und Duane Allman, seit ihrer Jugend heftige R&B-Enthusiasten, wurden mit einer für die damalige Rockszene völlig neuen Bandkonzeption populär. Zwei gleichberechtigte Sologitarristen (Duane Allman und Dickey Betts) verdichteten zusammen mit dem Organisten und Sänger Greg Allman, dem Bassisten Berry Oakley und dem Schlagzeuger Jai Johanny „Jaimoe“ Johanson und Butch Trucks den Sound der Band bis zum Äussersten.

 An der Oberfläche wirken die Songs dieses Genres wie der Triumph des Individuellen über die Zwänge der Gesellschaft. Im Geheimen erzählen sie die Geschichte einer ewigen Landnahme, einer anhaltenden Bewegung ins Unbekannte. Freiheit ist nur dort, wo nichts und niemand ist. „Midnight Rider“ beschreibt einen kurzen Ausschnitt aus dem Leben des „Wanted Man“, eines Gejagten und Outlaw, der nach seinen eigenen Gesetzen lebt. Selbst einen so abgespielten Blues wie den „Hoochie Coochie Man“ spielen die Allman Brothers originell und mit viel Frische.

Elvis Costello, My Aim Is True, 1977

Produzent/ Nick Lowe

Label/ Stiff

Erste Bekanntschaft mit Elvis Costello machte ich im Herbst 1977 in einem Schallplattenladen in der Nähe vom Piccadilly Circus. Auf „My Aim Is True“ sind für mich nach wie vor ein paar der stärksten Kompositionen Costellos darauf. Was und wie Elvis singt, weist für einen Punk-Rocker viel Gefühl auf. Wenn es einen Vergleich mit Graham Parker gibt, so ist dieser ein wirklicher Optimist gegen den selbstquälerischen Realisten Elvis, der hier in zwölf Songs seine sexuellen Erfahrungen und Missgeschicke erzählt. Musikalisch bewegt er sich einerseits im Rockabilly der 60er Jahre, wie etwa auf „Mystery Dance“ wo er sein erstes sexuelles Erlebnis mit einem Mädchen beschreibt, oder auf „No Dancing“, das an die Ronettes erinnert. Anderseits gibt es immer wieder Rhythm’n’Blues wie bei „Sneaky Feelings“ oder auf „I’m Not Angry“. Und „Alison“ ist wohl nach wie vor einer der schönsten Schmachtfetzen, den ich kenne.

Begleitet wird Elvis Costello auf diesem Album von der unbekannten Gruppe The Shamrocks, produziert hat Nick Lowe, der auch für andere Stiff-Musiker, vorallem aber für Graham Parker verantwortlich ist. Ein zweiter Graham Parker ist Elvis Costello nicht geworden, auch nicht „Elvis is King!“ wie es die hundertfach wiederholte Minischrift auf dem winzigen Schachbrettmuster des Covers verkündet. Eher sowas wie der „Mystery Man“, der feststellt: „Don’t you think, that walking on the water won’t make me a Miracle Man?“

The Beatles, Strawberry Fields Forever, 1967

Text/Musik/ Lennon-McCartney

Produzent/George Martin

Label/ Parlophone

Nicht nur die Beatles entwickelten sie rasend schnell. Ihr Publikum nahmen sie mit. Und so kamen wir mit der Zeit auf die Beatles-Song-Regel: Die Stücke, die einem nicht auf Anhieb gefallen, das sind die wirklich guten. Das galt besonders für die Single, die im Frühjahr 1967 erschien. Auf der A-Seite war „Penny Lane“, ein typisches McCartney-Stück: Eingängig, aber man hatte es auch rasch leergehört. Doch was war das für ein Ding auf der B-Seite? „Strawberry Fields Forever“ war das rätselhafteste Stück, das ich zu diesem Zeitpunkt gehört hatte.

Ich sass in unserer Stube in einem Dorf am Jurasüdfuss, 13 Jahre alt, ein schwieriger Junge. Und hörte diese schöne, traurige Musik, die ersten Akkorde auf dem Melllotron, Johns verlorene Stimme, dann die anderen. „Strawberry Fields“, das war das Waisenheim in Johns Nähe, er verbrachte viel Zeit in dessen Garten, das war ein geheimer Ort für ihn. Als er das Stück schrieb, nahm er viel LSD, gleichzeitig spielte er in „How I Won the War“, einer Groteske gegen den Krieg.

Ich wusste damals nicht, wer ich werden würde. Ich wusste nur, dass sich mein Leben nach dem Hören dieser Musik grösser, schöner, farbiger und trauriger anfühlte. Und dass von jetzt an nichts mehr sein würde, wie es gewesen war. Man tendiert bei Erinnerungen zu Übertreibungen ihrer Bedeutung, aber dieses Stück zu hören, war für mich damals ein Erlebnis. Und ist es bis heute geblieben.

Prince, Sign O’ The Times, 1987

Text/ Musik/ Prince

Produzent/ Prince

Label/ Warner Bros.

„Sign O’The Times“ ist das erste Stück auf der ersten Seite des gleichnamigen Doppelalbums (damals kaufte man noch Platten). Prince singt eine aufs Maximum reduzierte Reportage in Strophenform. Es ist der panoramische Blick auf eine moderne Apokalypse eines Musikers, den man auf früheren Alben als maximalen Hedonisten kennengelernt hat, als singenden Erotomanen, funkig, hart, humorvoll, manchmal sentimental und pathetisch, aber noch nie so düster wie hier.

Der Hurrikan Annie reisst das Dach einer Kirche ab und tötet alle Menschen darin, eine junge Mutter bringt ihr Baby um, weil sie es nicht ernähren kann, ein Cousin raucht im September einen Joint und hängt im Juni an der Nadel. So geht das unentwegt, während Prince die Akkorde in die Gitarre peitscht. Je länger der Song dauert, desto deutlicher versteht sich der Titel als Urteil dessen, was der Sänger beschwört: Die Zeichen der Zeit stehen auf Sturm. „Some say man ain’t happy truly until a man truly dies“ heisst es gegen Ende des Songs. Es kann kein Glück auf dieser Erde geben, höchstens in einer anderen Welt.

Da beschwört einer die Erlösung aus der Qual. Ein zutiefst religiöser, gesellschaftspolitisch konservativer, sexuell libertärer Prediger mit Gitarre. Natürlich klingt das, wie so oft bei schwarzen Musikern, mehr wild als fromm, eher lasziv als demütig, aber es das Stück, das mir am stärksten in Erinnerung bleibt, wenn ich an Prince zurückdenke, der am 21. April 2016 mit 57 Jahren gestorben ist.

The Bangles, Walk Like an Egyptian, 1986

Text/Musik/ Liam Sternberg

Produzent/ David Kahne

Label/ Columbia Records

Die Bangles, vier hübsche Mädchen aus L.A., waren in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes. Erstens standen sie Anfang der 80er Jahre ganz klar in der Tradition der Girl Groups der 60er. Zweitens machten sie keinen richtigen harten Rock, sondern irgendwas zwischen Schlager und Folkrock mit Nachdruck auf Gesang. Man hörte den Bangles offensichtlich an, dass sie von Hippie-Bands wie Byrds, Buffalo Springfield oder Mamas and Papas beeinflusst waren.

Einige Songs schrieben die vier Frauen selbst, andere kamen von Profis und Freunden, darunter Alex Chilton und Liam Sternberg. Auch Prince gehörte zu den Bewunderern der Bangles und hatte den Song „Manic Monday“ für deren Karriere gestiftet ( Und – Hand aufs Ohr – sooo toll war der dann auch wieder nicht). Bis 1986 gingen zwei Millionen Stück des Albums „Different Light“ über die Ladentheken dieser Welt. Und der absolute Hit stand auch fest: Liam Sternbergs Variation des Ägypten-Topos. Das wars dann aber auch. Zuviel Erfolg setzte den Girls zu sehr zu. 1989 trennten sich die Bangles. Seit 1999 gibt es sie wieder. Wäre man den Bangles feindlich gesonnen, würde man ihnen verlorene Energie attestieren. Ich sage eher ansprechende Hausfrauen-Rockmusik. Vielleicht muss man sie wirklich live gesehen haben.

Uncle Tupelo, No Depression, 1990

Produzent/ Sean Slade, Paul Q. Kolderie

Label/ Columbia Records

Uncle Tupelo waren eine verlässliche Grösse im entstehenden Americana-Genre der frühen Neunziger, Stichwort: Flanellhemd. Ihr Debütalbum „No Depression“, hatte in unnachahmlicher Weise Post Punk und Alternative Rock mit Country und Folk verbunden. Der Titel des Albums war dem gleichnamigen Song der Carter Family aus den 1930er Jahren entlehnt, den die beiden Songwriter der Band, Jay Farrar und Jeff Tweedy, zu einem musikalischen Meilenstein der Grunge-Ära umdeuteten.

Die Themen von „No Depression“ sind vorallem klassische Motive, die das Dasein in einer amerikanischen Kleinstadt, den Traum von Weggehen und die Angst vorm Ankommen berühren. Der Erfolg des Albums verdeutlichte, dass selbst die Generation Punk dem Sentiment des Country erliegen konnte, wenn dieser authentisch klang und nicht als reaktionäre Nashville-Mogelpackung daherkam.

1994 war es dann mit Uncle Tupelo vorbei, das finale Album „Anodyne“ wurde in Austin, Texas aufgenommen und enthielt auch ein Duett mit Doug Sahm. Zwischen 1995 und 2008 erschien „No Depression“ als gedruckte Musikzeitschrift, heute erscheint sie weiter als social-media-intensive Website. Auch Farrar und Tweedy machten mit ihren eigenen Folgebands weiter, insbesondere Tweedys Doppelalbum „Being There“ mit Wilco gilt als „White Album des frühen Americana.

Phil Ochs, The Early Years, 2000

Produzent/ Tom Vickers

Label/ Vanguard

Phil Ochs, ein Zeitgenosse von Bob Dylan und Pete Seeger, war bekannt für seine lyrischen Texte, seine klare politische Haltung und seinen scharfzüngigen Witz. Er selbst lehnte die Bezeichnung seiner Musik als Protestmusik ab und bevorzugte die Bezeichnung „topical music“ ( das Wort „topical“ heisst soviel wie aktuell). Es ging Phil Ochs also nicht nur um Protest und Gegenkultur, sondern um einen direkten Kommentar zu den politischen Ereignissen seiner Zeit.

„Here’s to the State of Mississippi“ beklagt die rassistischen Zustände in den ehemaligen Südstaaten zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung. „I Ain’t Marching Anymore“ gilt als Hymne an die Friedensbewegung. Doch die Lieder machen auch vor den eigenen Reihen nicht halt. „Love Me, I’m a Liberal“ etwa ist eine beissend sarkastische Kritik der amerikanischen Linken. Phil Ochs steht an der Grenze zwischen altem Folk und neuer Rock Musik und schaffte es nie ganz, diese zu überschreiten. Gerade durch den Zeitbezug seiner Lieder bekommt man so einen Einblick in das aufgewühlte Amerika der späten 1960er Jahre.

Phil Ochs starb jung. Gezeichnet von schwerer manischer Depression, begann er am 9. April 1976 Selbstmord. Bereits Anfang der siebziger Jahre war er eigentlich schon zu Anachronismus geworden: sowohl Bob Dylans berühmter Griff zur elektrischen Gitarre, als auch das veränderte politische Klima hatten den US amerikanischen Folk nachhaltig verändert.